Der Schmuck der Äffinnen

Ilija Trojanow erzählt in seinem mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichneten Roman „Der Weltensammler“, wie sich der britische Abenteurer Richard Burton im 19. Jahrhundert mit Hingabe die unterschiedlichsten Weltkulturen aneignet

Eine wirkliche Innenschau der Figur ist nicht möglich, wenn man ihr ihr Geheimnis lassen möchteTrojanows „Weltensammler“ erinnert an Hari Kunzrus Roman „Die Wandlungen des Pran Nath“

von KATHARINA GRANZIN

Ein historischer Roman im engeren Sinne ist „Der Weltensammler“ von Ilija Trojanow sicherlich nicht, obwohl er im 19. Jahrhundert spielt und das Leben einer realen Person als Inspirationsquelle nutzt: des britischen Offiziers Sir Richard Burton, der für sein Land wahrscheinlich unschätzbare Dienste als Kundschafter und Spion in den Kolonien geleistet hat. Doch geht es hier weniger darum, historische Ereignisse dort weiterzuspinnen, wo die Geschichtsschreibung schweigt. Was Trojanow interessiert, ist das Leben und die Identitätssuche zwischen den Kulturen; und das Leben des Richard Burton bietet eine hervorragende Folie, um dieses Thema in Variationen durchzuspielen. Auch Trojanows übriges Werk – meist literarische Reportagen sowie ein weiterer Roman – umkreist auf verschiedenen Bahnen immer wieder dieses weite Feld. Der gebürtige Bulgare ist in Kenia aufgewachsen, schreibt auf Deutsch, lebte lange in Indien und hat heute seinen Lebensmittelpunkt in Südafrika. Trojanow, der zum Islam konvertiert ist und sich selbst einen „anarchischen Sufi“ nennt, ist ein wahrer Experte in Sachen kultureller Aneignung und Fremdheit.

Der Roman ist in drei inhaltlich und formal sehr unterschiedliche Abschnitte gegliedert. Der erste Teil spielt in Indien, der zweite in Arabien, der dritte in Ostafrika, und jeder zeigt einen anderen Richard Burton. Oder zeigt ihn auch nicht. Denn eben das ist eine gewisse Schwäche dieses so farbig, schwungvoll und kenntnisreich geschriebenen Weltromans: Er hält seine Hauptfigur an langer Leine und verliert sich streckenweise in einer recht detailverliebten historischen Reportage. Auch wenn genau dies möglicherweise das eigentliche Thema ist – wie sich jemand zwischen den Kulturen selbst verlieren kann –, so darf der Roman seine Hauptfigur eben nicht gleichzeitig aus den Augen lassen.

Aber wenn man anfängt zu lesen, wird man zunächst umstandslos mitgerissen. Der Indien-Abschnitt hätte für sich allein – mit zweihundert Seiten im Grunde fast lang genug dafür –wahrscheinlich den besseren Roman ausgemacht. Hinreißend erzählt, raffiniert aufgebaut, von subtil ambivalenter Haltung seinem Protagonisten gegenüber, steckt in diesem ersten Teil das ganze Dilemma des Welten sammelnden Charakters. Burton, als junger Offizier auf verlassenem Außenposten in Indien, stürzt sich mit Vehemenz in die fremde Kultur. Studiert die Sprachen, sucht sich einen Brahmanen als Lehrer, vertraut seinem indischen Diener blind und lebt mit einer ehemaligen Devadasi – einer gottgeweihten Priesterkurtisane – zusammen. Doch als die Geliebte stirbt, ohne dass er seine wahren Gefühle offenbart hat, entwickelt der Engländer eine seltsame Psychose: Er schafft sich eine Horde Affen an, die wie Menschen behandelt werden und mit ihm zu Tisch sitzen, während der Gastgeber vorgibt, ihre Sprache zu lernen, und eine der Äffinnen wie eine Geliebte mit Schmuck behängt. Eine reichlich derbe Symbolik, die aber in mehrfacher erzählerischer Transformation kunstvoll gebrochen wird.

Die Burton’sche Sichtweise findet im Indien-Roman einen interessanten perspektivischen und formalen Kontrast in der Erzählung von Burtons Diener, die, von einem ehrgeizigen professionellen Schreiber noch weiter ausgeschmückt, einen großen Teil dieses Abschnitts bestreitet. Auf seinem Posten im muslimischen Sindh perfektioniert Burton die Kunst, sich einer fremden Kultur anzuverwandeln. Er konvertiert zum Islam und lässt sich beschneiden, stellt jedoch seine Sprach- und Verwandlungskünste in den Dienst der britischen Krone. Als angeblicher persischer Handlungsreisender befreundet er sich mit aufsässigen Einheimischen, lässt sich sogar von den Briten foltern, als die Gruppe auffliegt – und es bleibt offen, warum: aus Solidarität mit den Unterdrückten oder aus Angst, seine Verkleidung könnte auffliegen?

Diese unlösbare Ambivalenz zwischen Hingabe an die fremde Kultur und deren Missbrauch nimmt der Arabien-Teil des Romans auf, in dem Burton sich als indischer Muslim auf dem Hadsch nach Mekka ausgibt. Doch gerade die Ambivalenz von Burtons Haltung ist wahrscheinlich das zentrale Problem; denn eine wirkliche Innenschau der Figur ist nicht möglich, wenn man ihr ihr Geheimnis lassen möchte. Die Außensicht, die in der Erzählung des indischen Dieners Burtons Charakter so schillern ließ, verteilt sich im Arabien-Teil auf viele schwer unterscheidbare Nebenfiguren, was ermüdend ist. Zudem wird die Sicht auf die Figur verstellt vom Ehrgeiz des Autors – selbst ein Hadschi –, die Stationen der Pilgerreise besonders authentisch, das heißt ausführlich, zu schildern. Das ist nicht uninteressant, führt aber den Roman als solchen nicht weiter. So ist man erleichtert, wenn Burton im dritten Teil endlich in Afrika angekommen ist, wo er eine Expedition anführen soll; und man erwartet nun, in der Wildnis, so etwas wie die Stunde der Wahrheit.

Diese Erwartung allerdings rührt von einer vorausgegangenen Leseerfahrung, der Lektüre eines Romans, der in seiner Anlage Trojanows „Weltensammler“ so ähnlich ist, dass es lohnen würde, den einen im Spiegel des anderen noch einmal zu lesen. Hari Kunzrus „Die Wandlungen des Pran Nath“, vor vier Jahren in der englischsprachigen Welt ein Riesenerfolg, wurde in seiner deutschen Übersetzung fast vollständig ignoriert. Nahezu spiegelbildlich die Handlung: Ein junger Inder, ein hellhäutiger „Bastard“, fasst den Entschluss, als Engländer zu leben. Mit falscher Identität lebt er in Indien, studiert in Oxford und nimmt schließlich an einer britischen Expedition ins unerforschte Westafrika teil. Während Kunzrus Held in der afrikanischen Wildnis die völlige Auslöschung seiner Identität erlebt, nach der ihm endlich ein Neuanfang in Wahrheit möglich ist, bleibt Trojanows Burton, mittlerweile fast Nebenfigur, einfach ein Engländer, der eine Landkarte zeichnen will und dabei schwer an Malaria erkrankt.

Eine enttäuschende Antiklimax: Nach jenem furiosen ersten Teil, der seine Hauptfigur so nachdrücklich hinterfragt hat, scheint es am Schluss, als habe Trojanow vergessen, dass er mit Burton noch eine Rechnung offen haben könnte. Was als Ideenroman begann, endet in der Dschungelreportage. Aber wunderschön erzählt ist es allemal.

Ilija Trojanow: „Der Weltensammler“. Hanser Verlag, München 2006. 480 Seiten, 24,90 €