„Schlappmännersongs waren auch dabei“

DER LIEDERMACHER Gunter Gabriel kennt sich aus mit den Höhen und Tiefen des Lebens. Große Erfolge, Millionenschulden. Solche Erfahrungen sind auch das Rüstzeug eines Countrysängers. Jetzt bringt er sein Leben in einem Musical auf die Bühne. Ein Gespräch über Johnny Cash, den lieben Tod und geeignete Liegeplätze für ein Hausboot in Berlin

■ Der Mann: Gunter Gabriel, geboren 1942, ist der dienstälteste deutsche Countrysänger. Sein Leben und seine Karriere sind geprägt von außerordentlichen Höhen und Tiefen. Die Mutter stirbt früh, der Vater prügelt den Jungen mit der Hundepeitsche. Gabriel studiert in Hannover Maschinenbau, arbeitet in Berlin als Diskjockey. Durch kernige Songs über Lkw-Fahrer wird er berühmt. Der laut Selbstdarstellung „einzige proletarische Sänger Deutschlands“ schreibt auch viele Lieder für Kollegen wie Peter Alexander, Roland Kaiser, Juliane Werding oder Frank Zander. Mit dem Erfolg kommt der Exzess, schließlich der Absturz. Die Millionen, die er in den Siebzigern gemacht hat, verliert er in den Achtzigern.

■ Die Bühne: 2010 hat Gunter Gabriel einen Riesenerfolg mit dem Musical „Hello, I’m Johnny Cash“, in dem er das Leben und die Musik der Countrylegende, mit der er befreundet war, auf die Berliner Boulevardbühne bringt. Jetzt kommt er mit seinem eigenen Leben auf die Bühne. Am Donnerstag feierte das Musical „Ich, Gunter Gabriel“ im Theater am Kurfürstendamm Premiere. Volker Kühn, den Autor beider Stücke, hat Gunter Gabriel zum Interview gleich mitgebracht. Selbst erschien er humpelnd, mit einer Krücke. Er hat sich am Fuß verletzt. (DUBEL)

INTERVIEW HEINRICH DUBEL
FOTOS WOLFGANG BORRS

taz: Herr Gabriel, vor drei Jahren hatten Sie mit dem Musical „Hello, I’m Johnny Cash“ einen Riesenerfolg. Wie geht es jetzt, mit 71 Jahren?

Gunter Gabriel: Ich habe damals so eine Steilvorlage gekriegt, die hätte ich nie für möglich gehalten. Ich fühle mich gut. Ich fühle mich befriedigt, in Frieden sogar. Allerdings fühle ich mich auch herausgelockt aus meinem Nest. Die Steilvorlage wird in ein Tor verwandelt.

Jetzt spielen Sie auf dem Kurfürstendamm, diesmal sich selbst. Wie verkraften Sie die Arbeit?

Die Proben sind natürlich anstrengend. Und ich mache nebenbei auch noch viele Konzerte, Auftritte und so weiter, am Wochenende eigentlich immer.

Das muss doch ziemlich anstrengend sein, für so ein Musical zu proben?

Ich sage: Musikmachen ist Therapie. Ich bin fit. Klar, morgen kommt jemand und schießt mich ab. Dieser Jemand heißt der liebe Gott. Wenn du positiv denkst – ich habe ja mein Leben lang diese Positivformel drauf – bist du schon mal gerettet. Wenn man Leute, die über hundert Jahre alt sind, fragt, wie sie so alt geworden sind, dann kommt bei allen immer derselbe Spruch: positive Einschätzung von Dingen.

Sie haben so einiges hinter sich gebracht: eine extrem harte Kindheit, dann – bereits mit relativ jungen Jahren – der berufliche Erfolg und bald darauf der totale Absturz. Alkohol, Kokain, Millionenschulden. Trotzdem haben Sie sich nie aufgegeben. Sie sind nicht das Stehaufmännchen, Sie sind quasi der Stehaufmann.

Ich würde sagen, ich bin kein Weicheimann. Ich bin ein Männermann, der auch erträgt, wenn er was in die Schnauze kriegt und auf der Erde liegt.

Und dann trotzdem weitermacht.

Ja, und dann schreie ich auch schon mal. Als ich jetzt meinen Fuß verletzt habe, hab’ ich geschrien. So laut haben Sie noch keinen schreien hören.

Herr Kühn, es sieht aus, als seien Sie sind ganz verliebt in Gunter Gabriel. Wie lange kennen Sie sich?

Volker Kühn: Noch nicht so lange. Wir haben uns durch das Cash-Projekt kennengelernt. Ich hatte den Auftrag vom Renaissance Theater, ein Stück über Johnny Cash zu machen. Gunter hat das zuerst abgelehnt, weil er sagte: Ich bin kein Schauspieler. Dann haben wir gesagt: Nach Cash machen wir eine zweite Sache.

Gunter Gabriel: Aber nur deshalb, weil Cash so gut lief. Wenn Cash ein Flop gewesen wäre, hätten wir nichts gemacht.

Es gibt einige Überschneidungen im Leben von Johnny Cash und Gunter Gabriel. Die Erlebnisse von Gunter Gabriel sind teils in das Johnny-Cash-Stück eingeflossen. Inwieweit kann man das jetzt umgekehrt auch bei „Ich, Gunter Gabriel“ erwarten? Also: Wie viel Johnny Cash steckt in Gunter Gabriel?

Gunter Gabriel: Johnny Cash kommt aus den USA, das ist eine ganz andere Historie. Aber er kommt eben auch aus einer einfachen Arbeiterfamilie, genau wie ich. Das neue Musical ist eine Geschichte über mein Leben. Wo ich herkomme, warum ich jetzt mit 71 Jahren so ein verdammtes Musical kriege. Irgendwas muss ich ja richtig gemacht haben. Einiges habe ich auch falsch gemacht. Das Falsche ist das Interessante – genau wie bei Cash.

Bei „Hello, I’m Johnny Cash“ hat man schon gemerkt: Das Publikum reagierte stark auf Gunter Gabriel – obwohl es um Johnny Cash ging.

Viele Worte, die Volker mir im Namen von Johnny Cash in den Mund gelegt hat, hätten meine eigenen sein können. Das finde ich faszinierend. Ich habe Momente, wo ich melancholisch werde. Ich glaube sogar, dass man im Alter noch mehr fähig ist, Gefühle rauszulassen, als als junger Bengel. Das ist eine Erfahrung, die ich großartig finde. Ich lerne wieder Gedichte auswendig. Ich weiß natürlich, warum das so ist: Es ist bald zu Ende. Ob es nun zehn Jahre sind oder zwanzig Jahre, ist scheißegal. Ich weiß, ich bin auf der Zielgeraden. Das fordert mich heraus, nicht im Nichtstun zu erstarren und zu sagen: Lieber Tod, warte noch bis Sonnabend, sondern ich sage: Komm, ich will noch was rausholen.

Das Musical erzählt also nicht nur aus Gunter Gabriels Leben, sondern ist auch Einschätzung der Gegenwart und Betrachtung der unabwendbaren Zukunft?

Ich glaube, der entscheidende Song, der uns alle beschäftigt, ist „Me and Bobby McGee“ von Kris Kristofferson, den ich übersetzt habe: „Freiheit ist ein Abenteuer“. Freiheit, das ist das zentrale Thema – in diesem Song, im Theater und überall. Das hat mich immer weitergetrieben. Ich will frei sein innerhalb der Leitplanken, die mir zur Verfügung stehen. Natürlich ist kein Mensch wirklich frei, das ist klar, aber ich mache mein Leben nicht fest an dem, was ich an Besitztümern habe. Das ist ein zentrales Thema im Musical: zu zeigen, es kommt nur darauf an, was hier oben los ist (tippt sich an den Kopf).

Zu Beginn Ihrer Karriere sind Sie in der ZDF-Hitparade aufgetreten, dem Hort des deutschen Schlagerwahns. Sie haben auch haufenweise Schlagertexte und -musik für andere Interpreten geschrieben. Und doch haben Sie den Schlager mit Songs wie „Hey Boss, ich brauch mehr Geld“ ganz anständig transzendiert.

Ich hab ja musikalisch nicht viel drauf, nur drei, vier Griffe, und damit hat es sich. Das war eigentlich auch das, was Cash drauf hatte. Meine Lieder waren orientiert an der Machart, wie Cash Songs gemacht oder übernommen hat: Drei Harmonien und fertig. Dann aber muss eine Botschaft kommen. Und die Botschaften waren eben da.

Volker Kühn: Gunters Erfolgsnummern, die zum Teil wochenlang in den Charts waren, sind eigentlich Anti-Schlager. Wenn man sich die Texte ansieht, die er da gemacht hat – das ist ein Leitfaden für Dinge, die im Schlager nicht laufen. Wenn ich das so sagen darf: Er ist eine naive Kraft. Seine Unbändigkeit, sein Freiheitsdrang, den er früher schon gehabt hat, wo er viel angeeckt ist. Wenn er anfängt, Texte zu schreiben, die eigentlich überhaupt nicht ins Schema passen. Was schreibt der denn jetzt? – Vom Vater, der besoffen ist? Das kann ja wohl nicht sein. Dass er sich damit durchgesetzt hat, ist doch sensationell. In dem Stück versuche ich das zu thematisieren.

Es gab also keinen Karriereplan?

Gunter Gabriel: Ich habe da kein Kalkül gehabt. Das kam alles aus dem Bauch. Da war auch viel Zufall und Glück dabei. Ich war hier in Berlin Diskjockey in der Dachluke am Mehringdamm – da, wo heute das BKA-Theater ist. Da habe ich als 28-Jähriger für 14-Jährige Musik aufgelegt. Wir hatten jeden Sonntag eine Hitparade. Da gab’s Stimmzettel, die gewünschten Songs wurden dann gespielt: Smokie und James Brown, was weiß ich. Und dann habe ich als Special einen Song selber gesungen, und das war „Me and Bobby McGee“. Ich habe das auf Deutsch gesungen und die Kiddies haben immer dieses Lied auf Eins gewählt. Das war merkwürdig. Ich war ja nur Diskjockey, nichts Besonderes, aber die haben das immer auf Eins gewählt. Das Playback war von Peter Orloff. Der hatte das produziert für Nancy Wood oder Renate Kern, ein ganz billiges, dämliches Dings. Aber da sagte mein späterer Produzent und Verleger Tommy Meisel: Nimm es doch mal auf. Nebenan ist das Studio. Geh mal rein und mach das. Das war mein erster Song. Nicht, weil ich das so erfunden hätte, sondern weil es ein Feedback von den Kiddies gab. Ich wollte nur ein bisschen entertainen.

Sie sind als Musiker bekannt. Doch eigentlich sind Sie Songwriter.

Songwriter war ich für Hansa, dem Label hier in Berlin. Ich musste deren Schlagerfuzzies bedienen. Ich war froh, dass ich in so einer Szene überhaupt mal drin war, weil ich ja früher immer am Rande stand und überlegt habe, wie ich in die Musikszene reinkomme. Ich habe gesagt, dann fange ich als Songschreiber bei euch an.

Wie viele Songs haben Sie denn geschrieben?

Ungefähr tausend. Es waren nicht alles große Ergüsse. Es waren auch ein paar Schlappmännersongs dabei.

„Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst“ – der Hit von Juliane Werding – ist auch von Ihnen?

Ja. Gerade wo das Musical jetzt in Arbeit ist, wundere ich mich selber, dass ich auf so einen Quatsch gekommen bin, dass das so abging, wo ich jetzt zum Teil bei den Proben Tränen in die Augen kriege – „Freiheit ist, sich selbst erleben, sich niemals wirklich aufzugeben“. Wie konnte ich denn nur solche schönen Worte finden? Ich bin am Staunen. Als ich selber singen wollte, hat Peter Meisel, der damals Ricky Shayne und Howard Carpendale produzierte, zuerst gesagt: „Wie du aussiehst, du brauchst nicht zu glauben, dass wir eine Platte mit dir verkaufen!“

Gibt es in dem Stück einen jungen Gunter Gabriel und wer spielt ihn? Oder spielen Sie sich selbst die ganze Zeit?

Volker Kühn: Theater ist immer Behauptung. Er ist der 16-Jährige, wenn das Theater behauptet, er ist der 16-Jährige.

Gunter Gabriel: Ich spiele den ja nicht, sondern erzähle, wie es war, als ich 16 war, als ich meinen Vater zusammengeschlagen habe, und warum ich das gemacht habe, und was für eine beschissene Jugend ich hatte.

„Ich bin kein Weichei. Ich bin ein Männermann, der auch erträgt, wenn er was in die Schnauze kriegt“

Ärger haben Sie zuletzt bekommen, als Sie 2004 in Eisleben das Publikum beschimpft haben. Die Leute sollten nicht immer meckern, sondern lieber Probleme lösen. Und dann haben Sie gesungen „Ihr habt ja soviel Zeit, sonst wärt ihr nicht am Nachmittag schon hier. Ich hab leider keine Zeit, ich muss meinen Arsch in Bewegung halten, damit die Knete stimmt.“

Das lag eigentlich nur daran, dass ich mein Handy nicht bezahlt hatte. Ich konnte den Veranstalter einfach nicht anrufen, dass ich später komme. Ich bin in einen Stau geraten und als ich endlich kam, war die Musikanlage verstellt. Da passte vorne und hinten meine Stimme nicht, meine Gitarre fiel aus. Ich habe mich über mich selber geärgert, weil ich meine Rechnung nicht bezahlt hatte und keinen benachrichtigen konnte. Das war natürlich idiotisch.

Haben Sie jemals das Stück gehört, das DJ Koze mit Ihrer Eislebener Ansage gemacht hat? Wie fanden Sie das?

Ich habe Dankeschön gesagt. Hat mich gefreut, die Platte hat sich sehr gut verkauft. Ich bin da nicht pikiert. Ich kann über die Sachen, die ich gemacht habe, auch lachen. Das in Eisleben war Scheiße.

Man hört, Sie wollen den Berliner Ausflugsdampfer Rheinland kaufen und ihn als Partyschiff hier über die Seen schippern lassen?

Das ist nur eine Idee. Das sind Möglichkeiten, die ich dann auch ergreife, wenn es soweit ist. Jetzt ist erstmal das Musical dran. Und dann kommt die Rheinland. Davon hängt nicht mein Wohl und Wehe ab. Entscheidend ist, dass ich mit meinem Hausboot nach Berlin komme, dass ich hier eine neue Heimat finde.

Warum wollen Sie nach Berlin?

Ich muss aus Hamburg jetzt mal raus. Fünfzehn Jahre reichen. Jetzt muss ich nach Berlin. Ob ich dann hier bleibe und wie lange, das ist eine andere Sache. Ich bin ein unruhiger Geist in der Beziehung.

Haben Sie sich schon Liegeplätze angesehen in Berlin für Ihr Hausboot?

Natürlich, mehrere.

Wo, wird noch nicht verraten?

Ich brauche da kein Geheimnis draus machen. Außerdem ist es noch gar nicht so weit. Ich habe Liegeplätze etwas außerhalb, in der Havel und in Werder, Leest. An der Scharfen Lanke und am Spandauer Hafen und in Potsdam habe ich Möglichkeiten und dann noch direkt vorm Grundstück von Günther Jauch. Das wäre für mich der größte Spaß, dass ich mal ein, zwei Tage direkt in seinem Blickfeld liege – als Gag.