Gesetze von der Exekutive

ALLGEMEINVERFÜGUNG Bei Fußballspielen oder Demonstrationen erlassen die Sicherheitsbehörden oft Verfügungen für das Verhalten im öffentlichen Raum, die zwischen Individuen nicht unterscheiden. Ob sie das dürfen, ist umstritten

Sie ist ein alte Bekannte im Polizeirecht: Bereits 1906 prägte der Staatsrechtler Richard Thoma in seiner Schrift „Der Polizeibefehl im badischen Recht“ den Begriff der Allgemeinverfügung. Auch heute noch ist ihr Einsatz nach Meinung des Rostocker Juristen und SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Steffen Wandschneider ein „polizeirechtlich alternativloses und damit auch angemessenes Mittel, um auf eine konkrete Situation reagieren zu können“. Dies gelte auch „im Sinne einer sich abzeichnenden Gefahr“. Wandschneider ist einer der wenigen Experten auf dem Gebiet, er hat seine Dissertation zum Thema verfasst.

Er erläutert die grundsätzliche Notwendigkeit für Allgemeinverfügungen folgendermaßen: „Ursprünglich ging die klassische Rechtsformenlehre von einem doppelten Dualismus aus: Eine Maßnahme war demnach entweder konkret (eine Situation) oder abstrakt (betrifft alle denkbaren Fälle) und zweitens individuell (für einen Adressaten) oder generell (alle müssen sich daran halten).“ Die Verwaltung selbst sollte aber keine abstrakten Regelungen treffen, also keine Gesetze machen, sondern immer nur Einzelfälle anhand von Gesetzen entscheiden.

„Leider lässt sich das Leben aber nicht in vier Schubladen pressen“, so Wandschneider, was dazu geführt habe, dass man auf die Allgemeinverfügung gekommen sei, um konkrete Sachverhalte im Vorfeld generell zu regeln, nach dem Muster: „Immer wenn folgendes passiert, dann soll es wie folgt sein.“ Heutzutage erlässt zum Beispiel die Bundespolizei regelmäßig Allgemeinverfügungen, die die Mitnahme von Glasflaschen, Pyrotechnik oder auch Alkohol auf bestimmten Zugverbindungen untersagen, die zur Anreise zu Fußballspielen genutzt werden.

Diese Allgemeinverfügungen gelten wegen der schlechten Abgrenzbarkeit der Gruppe „Fußballfans“ prinzipiell für alle Reisenden, also auch für die Familie mit Picknickkorb. Natürlich wird diese in der Regel von der Bundespolizei nicht behelligt, es sind allerdings auch schon Fälle bekannt geworden, in denen Polizisten Waggon für Waggon abklapperten und alle Fahrgäste nach ihrem Reiseziel befragte, um mögliche Fans auszusortieren. Ob ein solches Vorgehen legal ist, ist umstritten.

So kippte das Verwaltungsgericht Ansbach im vergangenen November eine Allgemeinverfügung der Stadt Fürth. Diese hatte verfügt, dass sich am Tag des Bundesliga-Derbys zwischen Fürth und Nürnberg keine als Nürnberger Fans erkennbare Personen in der Fürther Innenstadt aufhalten dürften. Das Gericht fand diese Anordnung unverhältnismäßig, da ein solcher „sicherheitsrechtlicher Rundumschlag“ in keinem Verhältnis zu der Tatsache stehe, dass sich potenzielle Gewalttäter von normalen Fans nur schwer unterscheiden lassen, so das Gericht.

Der Nürnberger Strafverteidiger Jahn-Rüdiger Albert, der damals die Klage gegen die Stadt Fürth vertrat, hält Allgemeinverfügungen denn auch „für grundsätzlich problematisch, da sehr leicht die Gefahr besteht, dass hier eine Vielzahl von Personen betroffen ist und eine Abwägung der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall nicht ausreichend möglich ist“. Seiner Auffassung nach sollten Allgemeinverfügungen daher „auf einen engen Kreis akuter Gefahren beschränkt bleiben“.

Steffen Wandschneider hält Allgemeinverfügungen zwar grundsätzlich für „unverzichtbar“, sieht aber auch die Gefahr, dass „der Bogen überspannt“ wird: Beim G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm etwa sei eine Bannmeile um den Tagungsort mithilfe einer Allgemeinverfügung durchgesetzt worden. Dies laufe auf „eine faktische Gesetzgebung hinaus“, denn das vergleichbare, sogenannte „Bannmeilengesetz“ ist immerhin ein Bundesgesetz.  ANDREJ REISIN