Die Frische der Improvisation

Ohne Skript gedreht: In Vanessa Jopps Ensemblefilm „Komm näher“ genießen die Schauspieler Gestaltungsfreiheit

Dialoge werden im Kino oft in Schuss-Gegenschuss-Schnittfolgen inszeniert. Dabei erlebt man als Kontinuität, was beim Dreh zeitversetzt vonstatten geht. Der Eindruck, dass Rede und Antwort Teil desselben Zeitflusses sind, wird erst am Schneidetisch hergestellt. Zwar stehen sich die beiden Darsteller beim Dreh gegenüber, doch die Kamera fängt zunächst einen der beiden ein, nach dem Umbau erst den anderen. Es entstehen zwei unabhängige Dialogstränge; sie miteinander in Beziehung zu setzen ist Aufgabe der Montage. In Vanessa Jopps Spielfilm „Komm näher“ ist das anders. Jopp arbeitete ohne ausformuliertes Drehbuch, die Dialoge waren nicht festgelegt, die Schauspieler improvisierten die Dialoge. Weil solche Spontaneität nicht zustande käme, bliebe ihr die Kontinuität des Gesprächsflusses versagt, wurde die normale Drehanordnung erweitert: Statt nur einer Kamera kamen zwei zum Einsatz; statt einer Tonangel zwei. Die Herausforderung lag darin, die Geräte, die beiden Kameramänner (Rainer Klausmann, Christian Klopp), die Tontechniker und die Beleuchter aus dem Bildfeld herauszuhalten. Schließlich sollte die Kamera, die die erste Figur filmte, nicht sichtbar sein, sobald die zweite Figur ins Bild rückt.

Das Ergebnis dieser Anordnung hat tatsächlich viel Frische. Es ist schön zu verfolgen, wie die Schauspieler ihre Sätze bald fließen, bald stocken lassen und dabei den Tonfall des Films nah an den alltäglicher Gespräche rücken. Vor allem ist es schön zu beobachten, wie sie immer wieder die grundlegende Situation des Films ausgestalten: Zwei Figuren gehen aufeinander zu, doch bevor aus der Begegnung Nähe entsteht, stoßen sie sich – mal absichtsvoll, mal unfreiwillig – vor den Kopf und ziehen sich daraufhin zurück.

Ein wenig traurig daran stimmt nur, dass die Schauspieler in manchen Szenen der nächstliegenden Auflösung zustreben. Einmal etwa muss die ehrgeizige Landschaftsarchitektin Ali (Stefanie Stappenbeck) ihre Vorstellungen preisgeben, da ihr Entwurf vom Auftraggeber nicht geschätzt wird. Sie ringt sich dazu durch, mit steinernen Flächen zu arbeiten, wo sie Gras, Bäume und Wasser eingeplant hatte. Als reichte das nicht, um ihr Dilemma zu veranschaulichen, folgt eine aus der Distanz gefilmte Szene: Die Architektin und der Mann mit dem Geld stehen in einem Hotelzimmer, sie wendet ihm den Rücken zu, er öffnet ihr den BH.

In solchen Augenblicken scheinen die Schauspieler der Freiheit der Improvisation nicht gewachsen. Statt sie zu genießen, flüchten sie sich ins Klischee. Umso schöner, dass es als Kontrast die Begegnungen zwischen Mathilda (Meret Becker) und dem Polizisten Bronski (Hinnerk Schönemann) gibt: Wie die beiden sich ineinander verlieben und sich zugleich gegenseitig blockieren, ist schmerzlich und komisch zugleich. CRISTINA NORD

„Komm näher“. Regie: Vanessa Jopp. Mit Meret Becker, Hinnerk Schönemann u. a. Deutschland 2006, 97 Min.