Im Westen geht der Spaltpilz um

SPANDAU In der Kleinstadtidylle rings ums Rathaus tobt ein erbitterter Kampf: Der kleine Kreisverband der Grünen, die hier AL heißen, ist gespalten: Die Abtrünnigen werfen der Mehrheit vor, nicht „grün“ genug zu sein. Das lässt die Gegenseite nicht auf sich sitzen

■ Gebiet: Der Westbezirk hat eine Gesamtfläche von 9.187 Hektar. Sein städtischer Ursprung geht auf das 8. Jahrhundert zurück, die heutige Altstadt wurde um 1200 besiedelt. Im Jahr 1920 wurde Spandau mit anderen Ortsteilen zu einem Bezirk zusammengeschlossen und der Großgemeinde Berlin angegliedert. Der bevölkerungsreichste Ortsteil Staaken gehörte zur sowjetischen Besatzungszone. Er zählt erst seit 1990 wieder zu Spandau.

■ Industrie: In Spandau produzieren Großbetriebe wie Siemens, Osram und BMW. Außerdem befinden sich große Ent- und Versorgungswerke sowie zahlreiche Klein- und Mittelbetriebe im Bezirk.

■ Bevölkerung: Mit insgesamt 223.305 gemeldeten Bürgern ist Spandau der Bezirk mit den wenigsten Einwohnern in Berlin. Die BürgerInnen sind im Durchschnitt 44,6 Jahre alt – damit liegen sie leicht über Berlins Durchschnitt.

■ Migrationshintergrund: Etwa 30 Prozent der Einwohner sind laut dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg Menschen mit Migrationshintergrund. Der Ausländeranteil im Bezirk (11,5 Prozent) liegt unter dem Gesamtberliner Durchschnitt (14,5 Prozent).

■ Miete: Laut der Internetplattform www.immowelt.de liegen die durchschnittlichen Mietpreise (kalt) für 40 bis 80 Quadratmeter große Wohnungen bei 4,47 Euro bis 6,92 Euro pro Quadratmeter.

VON MILENA MENZEMER

Innenstadtberliner entwickeln in der Spandauer Altstadt leicht Urlaubsgefühle. Schon die Anreise hat meditative Effekte: Die Linien U7 und S5 nähern sich nur langsam dem Randbezirk. In der Altstadt angekommen, setzt sich die Entschleunigung fort. Die Spandauer schreiten nicht zielstrebig über ihre quadratischen Pflastersteine, sie schlendern – vorbei am efeuberankten Rathaus, an Kaufhaus, Metzger und Konditor. Passanten lassen ihre Räder unangeschlossen stehen, Senioren verzehren Blechkuchen mit Sahne. Nur vereinzelte Bettler, Biertrinker und wild frisierte Jugendliche stechen aus der Kulisse. Ab und zu donnert ein Flugzeug über die Altstadt.

Kaum zu glauben, dass in dieser Idylle ein politischer Kampf erster Güte tobt. Doch ein Riss zieht sich durch den Spandauer Ableger der Partei Bündnis90/Die Grünen: Es geht um Verkehrspolitik, um Machtverhältnisse, um Arbeitsweisen, ums Prinzip. Innerhalb des Grünen Kreisverbandes, dem aktuell rund 120 Mitglieder angehören, hat sich 2010 eine kleine Oppositionsgruppe gebildet. Seit letztem Jahr gibt es dazu noch eine lose organisierte grüne Opposition der grünen Opposition der grünen Opposition.

Der Streit fängt beim Namen an: Der Spandauer Kreisverband heißt wie in alten Zeiten „Alternative Liste Spandau“ (AL). Die „Alternative Liste“ sei noch immer ein Synonym für Basisdemokratie und linke Grünen-Politik aus Westberlin, erklärt Kreisvorsitzende Angelika Höhne. Bodo Byszio, Sprecher der abtrünnigen Grünen Perspektive Spandau (GPS), kann diese Namensnostalgie nicht nachvollziehen. „Und dann hat die AL ein individuelles Logo, das vom Blumen- und Igelstandard abweicht. An ihren Wahlständen erkennt man sie kaum als Grüne“, klagt er.

Im Oktober 2010 gründeten vier unzufriedene AL-Mitglieder die GPS. Im Juli 2011 wurde die Gruppe vom Landesverband offiziell als AG anerkannt. Sie widmet sich zwar nicht wie alle anderen Berliner Grünen-AGs einem speziellen Fachthema – dafür aber einem Territorium: Spandau. „Wir sind die Alternative der ‚Alternative‘“, kichert Günter Kuhnle, das zweite von geschätzt 13 GPS-Mitgliedern.

Alle zwei Wochen tafelt die Grüne Perspektive in einem indischen Restaurant unter einem riesigen Knüpfbild. Bei Rindersuppe und Reisgerichten diskutieren sechs Kommunalpolitiker den Schmuck ihrer Wahlkampfstände und die Inhalte ihrer Website. Sie blasen ihr Sommerfest ab, alle weiteren Terminfragen werden auf Doodle ausgelagert.

Ein weiteres GPS-Mitglied, Volker Thurner, erklärt die Gründe für die Unzufriedenheit mit der AL. „Wir wollen Themen intellektuell durchdringen und nicht nur organisatorisch arbeiten.“ Die GPSler wünschen sich zum Beispiel mehr Klima- und Verkehrspolitik. Dem entgegnet AL-Kreisvorsitzende Höhne: „Wir haben basisdemokratische Prinzipien und flache Hierarchien.“ Der Kreisverband habe inhaltliche AGs, deren Ergebnisse müssten aber stets mit dem Plenum rückgekoppelt werden.

Darauf wiederum erwidern die GPS-Mitglieder, sie würden sich ja gerne im Plenum der AL einbringen, sähen sich daran aber gehindert. „Immer dieselben Leute besetzen die Gremien. Und die stimmen nur für ihre eigenen Anträge“, klagt etwa Susanne Zissel. – „Unsinn!“, antwortet Höhne. „Sie glauben, dass unserer Wähler nur Stimmvieh sind?“ Aber die Mehrheit entscheide, so Höhne. Trotzdem fühlt sich die GPS ausgeschlossen. Kuhnle berichtet: „Viele Mitglieder des Kreisverbandes wohnen im Gebäude der Geschäftsstelle. So können sie spontan immer ihre Unterstützer dazuholen.“ Höhne weist auch diesen Vorwurf zurück. Man habe grundsätzlich feste Termine für Sitzungen, sagt die Kreisvorsitzende.

Ein Jahr nach der Abspaltung der GPS, 2011, war es soweit: Die Streitigkeiten wurden erstmals vor Gericht ausgetragen. Höhne erinnert sich: „GPS-Mitglieder haben unsere Listenaufstellung zu den BVV-Wahlen angefochten. Sie hätten damit fast unsere Teilnahme an der Wahl gefährdet!“ Das Verfahren sei durch zwei Instanzen gelaufen, dann habe der Landeswahlleiter festgestellt: alles rechtens.

Das würde Manfred Kurt Vormelker sicher anders nennen. Für ihn ist nichts rechtens bei den Spandauer Grünen. Der 55-Jährige sitzt in der Fußgängerzone der Altstadt und redet sich so in Rage, dass sein Kaffee kalt wird. Grund: Gegen ihn läuft ein Parteiausschlussverfahren. Diesmal hat Höhne die Verhandlung selbst initiiert. „Die AL will Ruhe vor mir. Die wollen sich vor meiner Kritik schützen“, sagt Vormelker. Höhne nennt einen anderen Grund: Vormelker habe andere Grüne diffamiert und verleumdet, sein Verhalten sei mit grünen Grundprinzipien nicht mehr vereinbar.

Tatsächlich hat Vormelker einige Kritik am Kreisverband. So behauptet er, dieser habe einen schlechten Ruf innerhalb der Partei. „Ich wurde auf überbezirklichen Veranstaltungen schon von anderen Grünen gemobbt, weil ich von der AL aus Spandau kam“, sagt er. Der Landesverband sehe kein Problem in der Arbeitsweise der AL, erklärt ein Sprecher der taz.

Vormelker schimpft trotzdem: „Die AL versperrt sich gegen alternative Meinungen und Neuerungen. Ihre Internetseite ist schrott. Die kennen Twitter nicht und kommunizieren noch per Postkarte.“ Die Anschuldigungen gipfeln in der Aussage, in der AL herrschten „nordkoreanische Verhältnisse“.

Und so kam es zur nächsten Abspaltungen vom kleinen grünen Kreisverband. Mit seinem Parteikollegen Christian Piko gründete Vormelker vor etwa einem Jahr den „Grünen Frühling“. Sie seien aktuell zwei Mitglieder, hätten aber Sympathisanten, berichtet Piko. Ziel der Gruppe ist laut Vormelker: „Der Kern der AL muss ausgetauscht werden.“ Er sagt es mit dem bedeutungsschwangeren Gesicht eines römischen Staatsmanns: „Ceterum censeo AL esse delendam. Im Übrigen glaube ich, dass die AL zerstört werden muss.“

Die Kreischefin möchte von all dem nichts mehr hören: „Wir sind keine Selbsthilfegruppe.“