„Roma werden instrumentalisiert“

ANTIZIGANISMUS Nicht die Roma sollten sich ändern, sondern die Europäer lernen, mit Minderheiten umzugehen, sagt Kenan Emini. Gerade Deutschland trage dafür Verantwortung. In einer Roma-Selbstorganisation kämpft der Göttinger gegen Abschiebungen. Und dafür, dass „alle bleiben“ dürfen

■ lebt seit 2000 in Deutschland. Er ist Vorsitzender des Roma-Center Göttingen (http://roma-center.de). Der Verein organisiert unter anderem die Initiative „Alle bleiben“.

taz: Herr Emini, Ihre Initiative heißt „Alle bleiben“. Wie meinen Sie das?

Kenan Emini: Es geht darum, die Abschiebungen zu beenden. In der Initiative haben wir Roma uns organisiert. Wer durch den Krieg sein Land verlassen musste, hat das Recht hier zu bleiben.

Damit stehen gegen eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung.

Uns ist das bewusst. Manche sagen, es können nicht alle bleiben, wegen der Kriminellen. Aber Leute, die verfolgt werden, sollen Asyl bekommen.

Was ist mit Straftätern?

Dafür gibt es Gerichte.

Und der Vorwurf, Roma würden klauen, wären in Zwangsprostitution involviert?

Roma sind Schauspieler, Fußballer und Politiker. Die will niemand sehen. In Göttingen etwa gibt es eine Problemsiedlung, in der viele Deutsche leben, viele Alkoholiker, die Polizei ist oft da. Niemand redet darüber. Geht es um Roma, kommen Probleme sofort in die Zeitung.

Warum sollte Deutschland so viele Menschen aufnehmen?

Deutschland hat mit der Nato Krieg gegen Serbien geführt. Etwa 10.000 Roma sind hier seit mehr als 13 Jahren nur geduldet. Das sind doch nicht so viele. Deutschland trägt die Mitverantwortung. Nach dem Krieg hört die nicht auf.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sagt: Armutsflüchtlinge nutzen Deutschland aus.

Selbst als Roma im Kosovo 1999 durch die UCK verfolgt wurden, bekamen sie kein Asyl. Und das war in Zeiten des Krieges. Was er sagt, stimmt einfach nicht.

Flüchten die Menschen denn nicht vor der Armut?

Nicht nur deswegen. Mit dem Krieg hat sich der Nationalismus in Serbien verstärkt. Roma werden diskriminiert. Wir haben keinen Schutz, obwohl wir dort Hunderte Jahre gelebt haben.

Wie schlimm ist die Diskriminierung?

Arbeit geht an Serben, selbst wenn Roma hochqualifiziert sind. Eltern wollen nicht, dass ihre Kinder mit Roma-Kindern unterrichtet werden. Neonazis attackieren Roma. Zuletzt hat in Novi Sad ein Skinhead einen Jungen getötet.

Und die Behörden?

Sie betrachten es nicht als rassistische Attacken. Es gibt viele Storys, angeblich war der Grund nie, dass das Opfer Roma war. Das ist die Standardpolitik in Serbien.

Warum?

Die Serben wollen erfüllen, was der Westen verlangt, um in die EU zu kommen. Deswegen sagen sie auch nicht, dass es Diskriminierung gibt. Dabei werden mit den Abschiebungen der Antiziganismus und die romafeindlichen Stereotype befeuert und erst produziert.

Wie das?

Wenn die Leute nach Jahren zurückkehren, sind ihre Häuser zerstört oder es wohnen andere darin. Als viele Roma nach Jahrhunderten endlich integriert waren, kam der Krieg. Wer ein eigenes Haus und einen Job hatte, lebt nach der Flucht auf der Müllkippe. Das erfüllt das klassische Bild vom dreckigen Roma. Es produziert Antiziganismus.

Gibt es nicht auch positive Vorstellungen?

Ja, aber nicht alle Roma sind wie Carmen, tanzen und machen Musik. Für die meisten ist wichtig, dass Roma arm sind und arm bleiben. Dann kann man über sie schreiben und die Regierungen können EU-Gelder für Integrationsprojekte beantragen.

Was spricht dagegen?

In die Verwaltung solcher Projekte fließen Millionen. Bei den Menschen kommt das Geld nicht an. Roma werden instrumentalisiert. Nur ist es so: Wir leben seit Jahrhunderten in Europa. Wir sind nicht die, die sich integrieren sollten, sondern die Europäer sollten lernen, wie man mit Minderheiten umgeht. Dabei hat Deutschland eine besondere Verantwortung.

Es gibt jetzt ein Mahnmal für die 500.000 durch die Nazis ermordeten Sinti und Roma…

Darauf haben wir viele Jahre gewartet. Aber auch heute erwächst daraus Verantwortung: Die Nationalisten, die in Tschechien, Serbien oder in Ungarn Roma angreifen und töten wollen – die Ideologie ist ein Produkt des Nationalsozialismus. Und sie wächst wieder.  INTERVIEW: JPB