PETER UNFRIED NEUE ÖKOS
: Die Drei-Komma-sieben-Schlappe

Wir schafften 3,7 Liter auf hundert Autobahnkilometer. Spitze. Dachten wir. Wie es ist, deklassiert zu werden

Jahrelang waren wir die ungeschlagenen Angeberweltmeister in der Königsdisziplin „Familie, deren Auto den wenigsten Sprit auf hundert Kilometer verbraucht.“ 3,7 Liter Diesel auf der Autobahn, 3,3 über Land, und als Weihnachten und Ostern zusammenfielen, schafften wir einmal sogar 2,7. Eigentlich eine zivilisatorische, gesellschaftliche und technologische Selbstverständlichkeit. Aber dann halt doch noch nicht.

Solange es in unserer Umgebung Revolutionäre gab, die mit alten Daimlern fuhren und „acht Liter sind doch auch nicht schlecht“ brummten, erzogen wir unsere Kinder auf der Basis von Exzellenz-Automobilität. Man kann sogar sagen, wir entwickelten so etwas wie eine innerfamiliäre Identität aus der Formel drei Komma irgendwas.

Gut, mein Bruder hat auch ein Dreiliterauto. Objektiv gesehen ist es besser, weil es mit regionalem und regenerativem Pflanzenöl fährt. Aber genau dadurch steigt der Verbrauch, und er hat auch mal eine Vier vor dem Komma. Meine Mutter hat auch ein Dreiliterauto. Sie fährt kaum damit und hat dadurch eine viel bessere Gesamtbilanz. Aber zu dem Auto haben wir sie gezwungen. Und meine Schwester hat gar kein Auto. Also ist sie auch keine Konkurrenz.

Es wird daher jeder einsehen, dass wir eindeutig die Größten waren. Bis letzten Sonntag sehr nahe Verwandte der anderen Ahnenlinie zur Tür reinkamen. Sie hatten gerötete Wangen und ein seltsames Strahlen im Gesicht. So haben sie früher nicht mal gestrahlt, wenn sie vom Geheimkonzert der neuesten In-Band zurückkamen.

Ich: „Was ist denn mit euch los?“

Und die: „Dreieinhalb Liter“.

Und ich: „Wie … dreieinhalb Liter?“

Sie zeigten aus dem Fenster auf die Straße. Es sieht eigentlich wie ein normales Auto aus, bisschen rot vielleicht, hat vier Türen, und es passen zwei Große und zwei Kleine gut rein. Ich nenne die Marke nicht. Jedenfalls hatten sie es gerade in Wolfsburg abgeholt.

„Ein Schnitt von drei Komma fünf? Also seid ihr nicht Autobahn gefahren, sondern gemütlich über Land zurückgegurkt.“

Nein, nein. Autobahn. Immer mit 120. Und das Beste: Die Anzeige habe ihnen bei der Ankunft mitgeteilt, dass sie mit der Tankfüllung „noch 1.040 Kilometer“ fahren könnten. Sie lächelten beseelt, packten ihre Kinder in das Teil und brausten davon.

Danach saßen wir um den Tisch und schwiegen uns an. Die ungelöste Katzenfrage hat die Kernfamilie in Jung und Alt gespalten (zwei für eine Katze, zwei dagegen). Seit wir im Champions-League-Spiel für Barcelona waren statt für den VfB, ist der Opa nicht gut auf uns zu sprechen. Und nun auch noch das. 3,5 Liter auf der Autobahn mit Tempo 120 – jenseits unserer Möglichkeiten. Irgendwann sagte Penelope: „Eigentlich ist es ja schön, dass die jetzt auch so ein tolles Auto haben.“

„Eigentlich ist es großartig“, brummte ich, „denn darauf haben wir ja immer hingearbeitet.“

Aber irgendwie ist es auch bitter, wenn man nicht mehr an der Spitze der Avantgarde steht.

Der Autor ist taz-Chefreporter. Foto: Anja Weber