Wieder Proteste in Paris

StudentInnen und SchülerInnen demonstrieren erneut in der französischen Hauptstadt gegen den umstrittenen Erstanstellungsvertrag der Regierung

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

„Chirac, de Villepin, Sarkozy – eure Probezeit ist vorbei“, skandieren die jungen Leute auf dem Boulevard Saint-Michel. „De Villepin, du bist am Ende – die Jugend ist auf der Straße“, ertönt es ausgelassen ein paar Reihen weiter über den französischen Regierungschef.

Die ältesten DemonstrantInnen an diesem Dienstag sind Mitte zwanzig. Immer mehr SchülerInnen schließen sich ihnen an. Für die 16- und 17-Jährigen ist es der erste Streik. „Unter dem Pflaster liegt der Strand“, hat ein Mädchen auf ihren Karton gemalt. „Meine Mutter war im Mai 68 noch zu jung, um mitzumachen“, sagt Laurence, „aber heute ist sie auch gegen den CPE.“

Aus Protest gegen den „Contrat première embauche“ – „erster Arbeitsvertrag“ – sind mehr als die Hälfte der französischen Universitäten blockiert. Nicht nur die StudentInnen, sondern auch ein großer Teil von ProfessorInnen und Verwaltungspersonal streiken. Auch Universitätsrektoren verlangen die Rücknahme des Vertrags, der für Beschäftigte unter 26 Jahren eine zweijährige Probezeit vorsieht – mit täglicher Kündbarkeit ohne Angabe von Gründen.

Um die Kritik der Opposition abzukürzen, hat Premierminister Dominique de Villepin das Gesetz mithilfe des Artikels 49-3 durch das Parlament gepaukt. In „Verantwortung der Regierung“ können damit Gesetze geschaffen werden, ohne dass eine Debatte und Abstimmung stattfindet. Für die DemonstrantInnen ist der CPE ein „Contrat première exclusion“ – ein „Vertrag Erste Ausgrenzung“. Sie rufen: „Wir sind keine Sklaven.“

Die ersten sind schon vor drei Wochen in den Streik getreten. Darunter Sarah und Lynn, 18-jährige Wirtschaftsstudentinnen in Paris. Seit sie den Premierminister am Sonntagabend in Erklärungsnot im Fernsehen gesehen haben, glauben die beiden jungen Frauen fest daran, „dass der CPE verschwindet“. In den vergangenen drei Wochen waren Sarah und Lynn „jeden Tag mobilisiert“. Sie haben demonstriert, neue MitstreiterInnen an Universitäten und Schulen gesucht und auf Vollversammlungen diskutieren gelernt.

Von den 1.500 StudentInnen, die am Vormittag in einem Hörsaal der Pariser Universität Tolbiac über die Proteste abgestimmt haben, waren nur 20 gegen die Blockaden am Eingang. Darunter die beiden jungen Frauen. „Ich will ja gerade mehr Demokratie“, erklärt Lynne, „deswegen fände ich es auch besser, wir würden den anderen, die nicht streiken wollen, den Zugang zu den Hörsälen gestatten.“

Der Demonstrationszug am Dienstag beginnt an der Place d’Italie im Süden der Hauptstadt. Gleichzeitig laufen überall in Frankreich Demonstrationen. In Paris ist offiziell das Parlament als Ziel angegeben. Doch unterwegs ändert sich die Route. An Straßenkreuzungen diskutieren junge Leute an der Spitze des Zuges darüber, wohin sie als Nächstes ziehen wollen.

Zohra und Chaíma haben sich der Bewegung erst an diesem Morgen angeschlossen. Ein paar StudentInnen sind in ihre Schule in der östlichen Vorstadt Bondy gekommen. Jetzt ziehen die beiden 17-Jährigen händchenhaltend mit den Älteren durch Paris. „Der CPE ist einfach ungerecht“, murmelt Zohra: „Wir müssen so lange studieren, und danach sollen wir noch wie Papiertaschentücher behandelt werden.“

Zahlreiche Kinder aus Einwandererfamilien haben sich der Bewegung angeschlossen. Der CPE ist Teil des „Gesetzes über die Chancengleichheit“, wie der Premierminister es genannt hat. Dazu gehört auch eine verkürzte Schulpflicht. Ab 14 Jahren sollen Kinder mit schulischen Problemen eine Lehre anfangen können. Der Premierminister versteht das als eine Antwort auf die Unruhen vom vergangenen Herbst in den Vorstädten und auf die Jugendarbeitslosigkeit, die in besonders verelendeten Banlieues zwischen 40 und 50 Prozent beträgt.

Die StudentInnen sehen das anders. „Wer schon mit 14 die Schule verlassen und arbeiten muss, hat später keine Chance im Leben“, erklären sie. Anstatt die soziale Unsicherheit zu bekämpfen, sorge der CPE dafür, dass die Unsicherheit auf alle Beschäftigten ausgedehnt werde. Auf einem bunten Transparent fasst das ein spöttischer Slogan zusammen: „Liberté, égalité, précarité – so schön ist dein Frankreich, Villepin.“