Mehr Joint als Venture

ÖKONOMIE Meinhard Miegel sucht den Ausstieg aus dem Wachstumsmodell, findet ihn aber nicht

Von einem Miegel erwartet man Genaueres, als nur die herrschende Zukunftsblindheit zu beklagen

VON DIETER RULFF

Als Dennis Meadows Anfang der 1970er-Jahre die „Die Grenzen des Wachstums“ aufzeigte, fand das Buch seinen Resonanzboden in einer Alternativbewegung, die nur zu gern bereit war, über die Schwächen der Analyse hinwegzusehen, um sie in die eigene radikale Kritik des kapitalistischen Modells und des damit verbundenen Konsumterrors zu implementieren. In dem Maße, wie sich diese Bewegung parlamentarisch orientierte, wurde aus der Systemveränderung eine Systemverbesserung, Ökologie mutierte von einer Grenze des Wachstums zum Wachstumsmotor, den auf Trab zu halten nicht nur für die ehemalige Umweltministerin Merkel, sondern auch für die Linke ein unverzichtbares Paradigma ihrer Politik geworden ist.

Diesen geistigen Gleichklang stört das neue Buch von Meinhard Miegel mit einem Furor, der an die Anfangsjahre der Bewegung gemahnt. „Exit. Wohlstand ohne Wachstum“, das klingt nach kargem Selbstversorgerleben in der Aussteigerkommune auf dem Hunsrück, aber nicht nach dem Werk eines ehemaligen Vordenkers und Planers der CDU, der vor acht Jahren noch die damalige rot-grüne Regierung mit seiner Klage über „Die deformierte Gesellschaft“ auf den neoliberalen Trab bringen wollte. In der Tat schlägt Miegels neues Werk einen Ton an, wie er auch am Küchentisch besagter Kommune geherrscht haben mag. Da wird darüber lamentiert, dass „große Teile der Welt am Wirtschaftswachstum hängen wie Alkoholiker an der Flasche“.

Die aktuelle Krise sei „der vorläufige Höhepunkt einer umfassenden gesellschaftlichen Fehlentwicklung“. „Im Rausch“ und „Ritt auf dem Tiger“ heißen die einschlägigen Kapitel, die die „Fehlentwicklung“ von „Wachstumswahn“ und „Expansionsdrang“ beschreiben. Diese sei angelegt in der zweihundertjährigen Geschichte der frühindustrialisierten Staaten, in denen das antike sakrale Bewusstsein von den Grenzen des Menschen dessen schier grenzenloser Selbstverwirklichung im materiellen Wohlstand gewichen sei. Dessen weiteres Wachstum sei zu einer Hypothek auf die Zukunft geworden, „zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte geht es um wirkliche Existenzfragen“. Und Miegel weiß die Antworten.

Heidegger’sches Mäandern

Und seine Antworten sind enttäuschend. Nicht dass seine Kritik, die im Ton so irritierend fundamental daherkommt, falsch wäre, nicht dass seine Klage über die herrschende Zukunftsblindheit nicht allzu berechtigt wäre, doch von einem Intimus der kapitalistischen Verhältnisse, vom jahrelangen Leiter eines Instituts für Wirtschaft und jemandem, der die Wachstumszwänge in zahlreichen Gesprächen mit Managern aus erster Hand erfahren hat, würde man doch gern Genaueres darüber erfahren, wie die zwanglosere Fassung der Formel Geld–Ware–Geld lauten kann, wie ein Unternehmen der Profitmaximierung entsagt, ohne den Untergang zu riskieren; zumal auch er jeden Tag verfolgen kann, wie Regierungen an dem Versuch scheitern, selbst die Exzesse des Finanzkapitals unter Kontrolle zu bringen, und erst recht daran, nachhaltige Politik zu betreiben. Miegel klagt die Entwicklungen an, doch er durchdringt sie nicht.

Dieses Manko teilt er allerdings mit etlichen eher links beheimateten Kennern der kapitalistischen Materie. Er hüllt die globalen und sozialen Verteilungskämpfe, die mit einer dezidiert ökologischen Politik verbunden sind, in einen Kulturpessimismus ein, der in der Gemeinschaft, sei es Familie, sei es Volk, seine Aufhebung findet. Er redet vom „wir“, das wie Heideggers „man“ die Öffentlichkeit konstituiert und sich durch „Nichteingehen auf die Sachen“ auszeichnet. Wir dürfen nicht mehr, wir müssen, wir sollten. Er mäandert im Gleichgewicht zwischen der Zahl der Menschen, ihren materiellen Ansprüchen und den Kapazitäten der Erde, um alles letztendlich auf einen „eigentlichen“, „menschenspezifischen“ Wohlstandsbegriff zu vereinen, der sich darin entfaltet, „bewusst zu leben, die Sinne zu nutzen“, Freude an der Natur, der Kunst, dem Schönen, dem Lernen zu empfinden, intelligente Verkehrssysteme und gelegentliche Stille inklusive. Spätestens an dieser Stelle würde unsere Kommune beifällig nickend den ersten Joint anzünden.

Meinhard Miegel: „Exit. Wohlstand ohne Wachstum“. Propyläen, Berlin 2010, 304 S., 22,95 Euro