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GeschichteEin vergessener Deutscher

Heute wird der erste "Stolperstein" für einen Afrikaner enthüllt. Mohamed Husen kämpfte als Freiwilliger fürs Deutsche Reich. Die Nazis ermordeten ihn in Sachsenhausen.

An diesem Donnerstagmorgen passiert etwas Historisches in Mitte - doch nur wenige nehmen davon Notiz. Sechs Menschen stehen vor der Brunnenstraße 193. Unten ist ein japanisches Grillhaus eingezogen, die Apartments darüber sehen modern aus. Gunter Demnig tut, was er seit mehr als zehn Jahren tut: Er buddelt "Stolpersteine" ein. Mehr als 12.500 der goldenen Plaketten hat der Berliner Künstler schon eingegraben. Dieser hier ist jedoch ein besonderer: Es ist der erste für einen Deutsch-Afrikaner. "Mahjub bin Adam Mohamed Hussein" steht darauf, darunter der Name, unter dem er den deutschen Behörden bekannt war: Bayume Mohamed Husen. "Wichtig ist, dass jeder Opfergruppe gedacht wird", sagt Demnig.

"Husen ist die eingedeutschte Form von Hussein", erklärt Marianne Bechhaus-Gerst. Sie ist Afrikanistin an der Uni Köln und Verfasserin einer Biografie über Husen. Als Vorsitzende des Vereins "KopfWelten - Gegen Rassismus und Intoleranz" hat sie den Stolperstein gestiftet. Seitdem sie 1993 im Bundesarchiv in Potsdam zufällig auf einen Brief Husens stieß, ließ sie dessen Leben nicht mehr los. Die letzten drei Jahre hat sie an Husens Biografie gearbeitet, die nun erschienen ist.

Das Schicksal der Askari, der kolonialtreuen Soldaten, die in den Afrikakorps dienten, ist kaum bekannt. "Selbst ich als Afrikanistin habe erst spät die nationalsozialistische Verfolgung von Afrikanern aus den Kolonien bearbeitet", erzählt Bechhaus-Gerst. Geboren wurde Husen 1904 in Daressalam, im damaligen Deutsch-Ostafrika, als Sohn eines Askari. Mit nur zehn Jahren meldete sich Husen freiwillig als Kindersoldat und kämpfte für Reich und Kaiser im Ersten Weltkrieg. 1929 emigrierte er nach Berlin. Dort verdingte er sich zunächst als Kellner in der "Wildwest-Bar" im sogenannten "Haus Vaterland". 1932 heiratete er eine Sudetendeutsche, mit der er drei Kinder bekam. Alle Kinder erhielten "deutsche" Namen: Adam, Annemarie und Bodo.

"Der Bodo war eener von uns. Der hatte nur einen jebräunten Teint", sagt Jürgen Hahn. Der Rentner wohnte einst nur einige Häuser neben der Familie Husen und war einer der Spielgefährten Bodo Husens. Auch er hat recherchiert, was aus der Familie geworden war. "'Wer schickt Sie? Wieso interessiert Sie das?', wollten die Behördenheinis von mir wissen", erinnert sich der 68-Jährige. Er fuhr in KZ-Gedenkstätten, wälzte Archive, befragte Anwohner. Dass es nun einen Gedenkstein für Husen gibt, berührt Hahn sichtlich.

Auch nach der Machtübertragung auf die Nazis blieb die Familie in Deutschland. "Husen war eine beeindruckende Persönlichkeit. Er hat mit den Behörden gestritten, hat um seine Rechte gekämpft - als farbiger Mensch im Dritten Reich", betont Bechhaus-Gerst. 1935 spielte er sogar in einigen Leinwandproduktionen der Ufa mit. Er lehrte an der Friedrich-Wilhelms-Universität deutsche Beamte Suaheli. Noch 1941, kurz bevor Husen in das KZ Sachsenhausen deportiert wurde, spielte er den "guten Afrikaner" im Propagandafilm "Carl Peters" an der Seite von Hans Albers. Strafbar soll er sich der "Rassenschande" gemacht haben, da er neben seiner Ehe mehrere Affären gehabt haben soll. 1944 verläuft sich seine Spur in Sachsenhausen. Vermutlich wurde er ermordet. Doch: "Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist", sagt Gunter Demnig und klopft den Stein fest.

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