Die Quelle des Blues

Sein Honig brauchte keinen Zucker. Der einflussreiche Gitarrist Ali Farka Touré ist in seinem Heimatdorf im Norden Malis verstorben. Ein Nachruf

Von DANIEL BAX

Er hatte sich schon zur Ruhe gesetzt und wollte auch keine Platten mehr aufnehmen. Vor allem aber wollte er nicht mehr in verrauchten Konzerthallen vor einem westlichen Publikum auftreten, das die Essenz seiner Musik zu erfassen seiner Meinung nach gar nicht in der Lage war. Doch der britische Produzent Nick Gold, der schon die alten Herren vom Buena Vista Social Club noch einmal für die Nachwelt fit gemacht hatte, ließ nicht locker. Mit einem mobilen Studio reiste er in Ali Farka Tourés Heimatdorf Niafunké im Norden von Mali, um den Musiker noch einmal zu Aufnahmen zu bewegen. Im Hotel Mandé, am Ufer des Niger gelegen, brachte er den betagten Gitarristen mit Toumani Diabaté, einem jungen Meister an der afrikanischen Kora-Harfe, zusammen. So entstand „In the Heart of The Moon“, eines der besten Alben des letzten Jahres, das im Februar mit einem Grammy ausgezeichnet wurde und nun so etwas wie das Vermächtnis des mit 67 Jahren verstorbenen Gitarristen bildet.

Eine vergleichbare Begegnung hatte Ali Farka Touré bereits mehr als zehn Jahre zuvor schon zum ersten Mal den US-Musikpreis eingetragen und weit über die Kreise der üblichen Afrika-Aficionados berühmt gemacht: Sie ist auf „Talking Timbuktu“ dokumentiert, seinem Gitarren-Dialog mit dem Blues-Globetrotter Ry Cooder. Das gemeinsame Album führte nicht nur zu einem weltweiten Boom des so genannten Wüsten-Blues aus Mali, sondern auch zu allerhand Legenden über die möglichen Ursprünge dieser Südstaaten-Musik im Delta des Niger und nicht etwa des Mississippi. Auch die Blues-Dokumentation „Feels like Going Home“ von Martin Scorsese von 2003 knüpfte freudig an diesen Mythos an.

„In Amerika mögen die Blätter sein. Wir haben den Stamm und die Wurzeln“, pflegte Ali Farka Touré zu predigen. In Musikern wie John Lee Hooker oder Otis Redding sah er so etwas wie entfernte Verwandte und glaubte, in deren Musik ein Echo westafrikanischer Traditionen zu erkennen. Tatsächlich erinnern seine spröden, sparsamen und beseelten Balladen an amerikanische Vorbilder. Alie Farka Touré konnte jedoch recht ungehalten werden, wenn man seine eigene Musik deshalb als Blues bezeichnete. Vielmehr schöpfte sein Gitarrenspiel aus den musikalischen Traditionen der Songhai, der Peul und der Tamashek, Völkern im Norden Malis, beeilte er sich dann stets zu erklären.

Ali Farka Touré war das Musterbeispiel eines stolzen Afrikaners und mit seiner groß gewachsenen Gestalt eine imposante Erscheinung. Sein Auftreten strahlte Würde aus, und die forderte er von seiner Umgebung auch ein. „Wenn man einen Skorpion im Mund hat, muss man aufpassen, wohin man seine Zunge bewegt“, antwortete er gerne mit afrikanischen Sinnsprüchen auf knifflige Journalistenfragen, und über seine Musik verbreitete er gerne das Bonmot: „Meinen Honig muss man nicht mit Zucker versüßen.“

1939 geboren, gehörte Ali Farka Touré zu jener Generation, die durch die Unabhängigkeit Malis im Jahr 1960 und die daraus resultierende Aufbruchstimmung geprägt wurde. In den Siebzigerjahren arbeitete er beim ersten nationalen Radiosender, und in vielen Sendungen erklang sein unverwechselbarer Gitarrenstil. Aufnahmen aus dieser Zeit erschienen schon damals in Frankreich auf Vinyl und wurden in der letzten Dekade – in Ermangelung von neuen Aufnahmen – peu à peu auf CD wieder veröffentlicht.

Nach fünfjähriger Abstinenz feierte Ali Farka Touré im vergangenen Jahr sein Comeback auf europäischen Bühnen. Zur Feier seines neuen Albums gab er im Januar in Brüssel ein Gala-Konzert mit seinem Kollegen Toumani Diabaté, es folgten vereinzelte Termine in ganz Europa. Doch am liebsten hielt sich Ali Farka in seinem Heimatort im Norden Malis auf, um sich ganz der Landwirtschaft zu widmen, in der er seine eigentliche Berufung sah. Aufgrund seines Engagements für seine Region sowie seines Renommees wurde er 2004 zum Bürgermeister von Niafunké am Rande der Sahara ernannt, und dort erlag er am Dienstag seinem langjährigen Knochenkrebsleiden.

Mali hat mit Ali Farka Touré einen herausragenden Botschafter verloren. Nachdem das Kulturministerium des Landes am Dienstag seinen Tod verkündet hatte, unterbrachen die nationalen Radiosender augenblicklich ihr Programm, um den ganzen Tag lang immer wieder seine Stücke zu spielen.