Alle außer Mutti

Die Mütter markieren im HipHop jenen Ort, an dem viele Rapper Gefühle zeigen können, ohne schwach zu scheinen

Das Frauenbild im Gangsta-Rap lässt sich in einen Satz gießen: „Alles Fotzen außer Mutti.“ Doch so einleuchtend dieser Satz den Rahmen umreißt, in dem kulturen- und generationenübergreifend der Machismo sein Drama aufführt, so wenig erklärt er. Also: wie kommt es, dass so unterschiedliche Rapper wie Tupac Shakur und der Berliner Krawallo Sido Zeilen rappen wie „Ain’t a woman alive that could take my mama’s place“ („Dear Mama“) oder „Ich geh klaun/ scheiß auf Fraun/ und nehm Drogen/ doch Mama kann mir vertraun“, („Mama ist stolz“)? Ihre Mütter also als den Ort markieren, an dem Gefühle möglich sind?

Rap verhandelt Platte für Platte, Song für Song das große Selbstbehauptungsdrama des heterosexuellen, meist minoritären Unterschichtenmannes. Schwäche zu zeigen ist hier nicht vorgesehen: deshalb würde es das ganze Genre der Mutter-Oden wohl auch kaum geben, hätte nicht Tupac Shakur 1995 mit seinem „Dear Mama“ ein Modell vorgegeben, wie sich diese Schwäche in eine Stärke umschreiben lässt. Dieses Kunststück gelang ihm nicht zuletzt deshalb, weil seine Mutter Afeni Shakur selbst eine wichtige Rolle in jener Generation gespielt hatte, die den HipHop-Kindern voranging. Sie war Black-Panther-Aktivistin, hatte im Gefängnis gesessen und war jahrelang mit dem kleinen Tupac von Wohnung zu Wohnung gezogen, bevor sie nach dem Ende der Bewegung Crack-abhängig wurde.

Diese Geschichte führt Tupac in ihrer vollen Ambivalenz auf, um ihr seine Enttäuschung wie seine Liebe zu gestehen, seinen Weg vom Kleinkriminellen zum umstrittenen Rapstar zu erklären und um Verständnis zu ersuchen. Wobei sich vor allem in den Zeilen „And even as a crack-fiend, mama/ You always was a black queen, mama“ viele Kinder der Inner-City-Bezirke der Achtziger wiedergefunden haben dürften. Sich so zu bekennen bedeutet seitdem nicht mehr automatisch, Schwäche zu zeigen – in einem Genre, dessen liebstes Schimpfwort „Motherfucker“ ist, kann Mutterliebe ein Ausweis von Stärke sein.

Tatsächlich funktioniert fast jedes Mamalied im HipHop seitdem nach dem gleichen Prinzip: auch im deutschsprachigen Rap, wo es zwar keine Crackepidemie zu verarbeiten gibt, allein erziehende Mütter jedoch en masse. „Mama ist stolz“ setzt noch einen zusätzlichen Akzent, indem es die Mutter nicht nur als die Person verhandelt, die trotz allem Mist, den ihr Sohn gebaut hat, immer noch an ihn glaubt. Sido führt seine Mutter als Komplizin ein, als die coole Mutter, die HipHop und das Leben ihres Sohnes versteht. In einer ziemlich gewagten Umkehrung der normalen Sprechersituation verleiht er ihr sogar ungeahnte Macht: „Ich weiß das, wenn ich alt bin/ und Mama noch älter/ hält sie immer noch zu mir/ als wär sie mein Zuhälter“. TOBIAS RAPP