Erfundene Ichs und andere Figuren

PSEUDONYM Wow, ein deutscher Roman, der was mit Postmoderne versucht: „Aléas Ich“ von Aléa Torik

Ich war ziemlich überrascht, als ich im Café am Heinrichplatz in Berlin-Kreuzberg auf die Autorin Aléa Torik wartete und statt ihrer ein junger Mann an meinem Tisch erschien. Um es gleich zu sagen: Aléa Torik ist nicht, wie man vielleicht besonders als Leser gern annehmen möchte, eine 29 Jahre alte Schönheit aus Rumänien, die mit „Aléas Ich“ ihren zweiten Roman veröffentlicht hat und außerdem gerade an ihrer Doktorarbeit schreibt. Nein, Aléa Torik ist das clever ausgesuchte Pseudonym des unter eigenem Namen erfolglos gebliebenen Schriftstellers Claus Heck aus Oberhausen, Jahrgang 1965, wohnhaft in Berlin-Wedding.

Die Geschichte, die Heck leider nicht selbst schriftlich erzählen möchte und die Aléa in ihrem zweiten Roman auch nicht erzählt, geht ungefähr so: Der Literaturbetrieb hat ihn so lange ignoriert, bis er sich in eine junge Frau mit rumänischem Hintergrund verwandelt hat. Jung, hübsch, geheimnisvoll. Keine Fotos. Der Literaturbetrieb, das sei damit auch gesagt, ist oberflächenbesessen. Er ist auf Verwertung scharf, auf Abbildungskarrieren. Auf interessante Biografien. Claus Heck hatte von all dem nichts zu bieten.

Aber war da nicht mal was, was in Paris nach 1968 losgetreten wurde und bis in die neunziger Jahre in universitären Diskursen höchst populär war, nämlich die Rede vom „Tod des Autors“ (Erfinder: Roland Barthes, kritische Weiterführung: Michel Foucault)? Leider gestorben, die Idee. Sollte man meinen.

Vielleicht hat die Idee außerhalb der Unis auch nie wirklich Fuß fassen können. Der marktwirtschaftlich orientierte Buchmarkt hat sich der Idee nur in Ausnahmefällen angenommen, und das meist notgedrungen; sie half bestimmten Autoren, an den eigenen Mythen zu arbeiten (Salinger, Pynchon). Die anpolitisierten Studierenden fanden die Idee der Postmoderne ohnehin schon immer verdächtig: Die könnte ihm ja auch seine eigene Politisierung weg„dekonstruieren“. Oder sie wurde, wie so vieles aus der postmodernen Theorie, schlicht nicht verstanden.

Aléa Toriks Roman „Aléas Ich“ ist in dem Sinne ein postmoderner Roman – er spielt, innerhalb wie außerhalb seiner Buchdeckel, mit Identitäten. Die Ich-Erzählerin des Romans heißt Aléa, hat einen Roman geschrieben und schreibt einen zweiten. Nebenher erzählt und erlebt sie Dinge mit anderen Figuren oder denkt sich diese Dinge aus. Es gibt Olga, ihre russische Mitbewohnerin, ein Model mit Modelfigur und Modelkarriere. Es gibt Juan, den spanischen Liebhaber. Und es gibt, das sind vielleicht die stärksten Stellen im Buch, die eigene Geschichte, die in Rumänien, in Sibiu (früher Hermannstadt) begann.

Eine erfundene (Auto-)Biografie nennt das Claus Heck. Natürlich kommen vor: das einfache Landleben, viele Bücher, die bäuerliche Familie, Ceausescu, die Securitate, die vielen sich überkreuzenden Nationalitäten. Aléa Torik ist dabei mitnichten eine „Siebenbürger Sächsin“, sondern Tochter eines deutschen Emigranten, der eine Rumänin geheiratet hat. Aber ja, im heutigen Sibiu leben auch nur noch handgezählte Deutsche.

Stadt der Verrückten

Aléa flüchtete aus dieser Einfachheit ins komplizierte und kaputte Bukarest, und da sie sich da mit ihrer deutschen Sprache allein fühlte, weiter in „die Stadt der Verrückten“, nach Berlin. Dort zog sie mit Olga zusammen, verliebte sich in Juan, während Romulus sich in Olga verliebte, und Aléa später in Romulus. Nebenher bildete sie – Stichwort Securitate – einen Verfolgungswahn aus.

Der Schriftsteller Clemens Setz hat einen sehr tollen Gastauftritt in dem Roman, der insgesamt etwas zu lang geraten ist.

Die erfundenen Biografien, wenn man das mal so kalt durchleuchten mag, sind unspektakulär, aber warm erzählt: Man kommt den scheinbaren Figuren sehr nahe. Die Enttäuschung, die hier spoilerhaft vorweggenommen sei, dass Aléa Torik nur eine Erfindung ist, kann schon groß sein. Andererseits spricht gerade auch das für das Buch: Torik gelingt es, eine weibliche Perspektive durchzuerzählen. Späterhin wird sie natürlich aufgelöst, oder zumindest konterkariert. Aber ich will auch nicht alles verraten.

Ein Alain Robbe-Grillet ist Aléa Torik respektive Claus Heck (der sich im Internet hat outen lassen von einer Feministin, die sich kritisch mit Autoren, die unter weiblichem Pseudonym schreiben, auseinandergesetzt hatte – eine auch sehr lustige und vielsagende Geschichte, die bei anderer Gelegenheit mal ausführlicher erzählt werden sollte) bei aller Sympathie und aller Kunstfertigkeit natürlich nicht. Dafür sind die Konstruktionen in „Aléas Ich“ nicht scharf, und die Abgründe nicht tief genug.

Aber große deutsche Romane, die etwas mit Postmoderne versuchen, hat es bislang auch so noch nicht viele gegeben. Hier ist zumindest einer, der es probiert.

RENÉ HAMANN

Aléa Torik: „Aléas Ich“. Osburg Verlag, Hamburg 2013, 424 Seiten, 19,95 Euro