Hochzeit nach drei Monaten

HAUSBESUCH Weil im Auto noch ein bisschen Zeit war, küsste sie ihn. Kurz darauf trennten sie sich von ihren Partnern

VON SUSANNE MESSMER
(TEXT) UND AMÉLIE LOSIER (FOTOS)

Berlin, im südlichen Teil von Neukölln. Zu Hause bei Anne Stephanie (29) und Sven Wildermann (22) und ihrer Katze Caspar (1).

Draußen: Hier, südlich des Stadtrings und unweit der Stadtautobahn, zeigt sich Neukölln eher von seiner schroffen Seite. Anders als im aufblühenden Szeneviertel weiter nördlich gibt es noch keine angesagten Kneipen und Bioläden. Stattdessen eine Shell-Tankstelle, ein ehemaliges Nagelstudio, ein Cateringrestaurant und das Bierlokal Knock Out. Das graue Wohnhaus stammt aus der Gründerzeit.

Drin: Zwei frisch renovierte Zimmer im ruhigen Seitenflügel. Auf der Einkaufsliste Sagrotan. Sven: „Ich habe neun Monate in WGs gewohnt, das hat mir gereicht. Manchmal habe ich geputzt wie ein Weltmeister, und nach zwei Stunden war alles wieder dreckig.“ Im Schlafzimmer Schrankwand und Bett im passenden Design, im Wohnzimmer ein schwarzes Klavier. An den Wänden gerahmte Fotos von Anne Stephanie und Sven als frisch verliebtes Paar, außerdem Kunstdrucke von Woolworth. Anne Stephanie: „Die sind so kitschig, dass sie schon wieder gut sind.“ Im Regal alphabetisch sortierte Taschenbücher und Reclambändchen, darunter Romane von Thomas und Heinrich Mann, Arthur Schnitzler, Gustav Freytag. Einen Fernseher gibt es nicht. Anne Stephanie: „Ich lese viel lieber. Allerdings nur Autoren, die schon tot sind.“

Wer macht was? Sven studiert im vierten Semester Informatik an der FU Berlin. Nebenher arbeitet er als Aushilfskraft bei einem grünen Energieunternehmen. Anne Stephanie schließt in diesem Jahr ein Redaktionsvolontariat bei der Märkischen Allgemeinen in Potsdam ab („eine Ochsentour“). Seit über drei Wochen betreut sie einen Wettbewerb, bei dem der schönste Hund Brandenburgs gekürt werden soll: „Hunde stehen mir momentan Oberkante Unterlippe.“

Wer denkt was? Sven „geht derzeit sehr im kollegialen Arbeiten auf“, auch wegen der „flachen Hierarchien“. Anne Stephanie will nach ihrem Volontariat am liebsten über Menschen schreiben, die „entrechtet und stehen gelassen“ worden sind. Der Kinderwunsch der beiden soll in den nächsten vier, fünf Jahren Wirklichkeit werden. Anne Stephanie: „Ich will nicht sechzig sein, wenn mein Kind Abitur macht.“

Anne Stephanie: Kommt aus einem kleinen Ort zwischen Köln und Bonn, Einzelkind: „Meine Eltern haben mich behütet, waren aber auch kritisch.“ Abitur musste sie sich „erkämpfen“. Sieben Jahre Studium der Germanistik: „Ich habe mir ein bisschen Zeit gelassen.“ Nebenher freie Mitarbeit für den Kölner Stadt-Anzeiger, nach dem Studium Volontariat bei einer Zeitung in Kassel: „Ich habe mich in dieser Stadt überhaupt nicht wohl gefühlt.“ Abbruch des Volontariats, zurück nach Bonn. Auf der Suche nach einem neuen WG-Zimmer Sven kennen gelernt und ihm nach drei gemeinsamen Bonner Monaten nach Berlin gefolgt.

Sven: Kommt aus dem Emsland, „da, wo man heute sieht, wer morgen zu Besuch kommt, weil alles so flach ist“. Ältere Schwester und älterer Bruder, der in Berlin Agrarökonomie studiert und voraussichtlich den Hof der Eltern übernehmen wird. Abitur auf einem katholischen Gymnasium, danach Freiwilliges Soziales Jahr der Kultur in der IT-Abteilung im Haus der Geschichte in Bonn, dann das Studium in Berlin.

Das erste Date: Anne Stephanie war abends mit einer Freundin bei McDonald’s, sie setzten sich auf den Platz vorm Hauptbahnhof. Während die Freundin mit ihrem Exfreund telefonierte, lief Sven vorbei. Man lächelte sich an. Sven wollte eigentlich Geld holen („Aber da ging sie mir schon nicht mehr aus dem Kopf“). Also zurück zu McDonald’s, Burger kaufen. Anne Stephanie: „Ich habe ihn rübergewunken und ihm von meinen Pommes abgegeben.“ Svens Straßenbahn hatte Verspätung, also fuhr sie ihn zur Kinoverabredung. Weil im Auto noch ein bisschen Zeit war, küsste sie ihn. Telefonat am selben Abend, nächstes Treffen am übernächsten Abend. Trennung von den jeweiligen Partnern kurz darauf, ebenso schnell die Entscheidung, sich ein großes WG-Zimmer zu teilen. Hochzeit nach drei Monaten, Umzugswagen nach Berlin wenige Tage später.

Die Hochzeit: Anne Stephanie: „Es gibt Paare, die zehn Jahre zusammen sind und nicht mehr die Kurve kriegen.“ Sven: „Wir waren beide sicher, dass wir das nicht möchten.“ Standesamtlich, nur zu zweit, sie im dunklen Abendkleid mit einem Strauß roter Nelken, er im dunklen Sakko mit Nelke im Knopfloch. Danach Abendessen in einem italienischen Restaurant und Hochzeitsnacht in einem Vier-Sterne-Hotel mit Blick auf den Rhein.

Der Alltag: Bei Regen lässt er das Rennrad stehen und sie nimmt ihn ein Stück mit dem Auto mit. Abende werden meist zu zweit verbracht, am Wochenende immer gemeinsam gefrühstückt. Anne Stephanie: „Trotzdem gibt es uns nicht nur im Doppelpack.“ Sven: „Ich mache auch manchmal was mit Kommilitonen.“ Anne Stephanie: „Solange er keine Drogen nimmt, ist es okay.“

Wie finden Sie Merkel? Anne Stephanie: „Manchmal sympathisch, wenn sie zum Beispiel mit den Kindern ihres Mannes im Urlaub herumturnt.“ Sven: „Ihre Politik ist nicht meine. Aber an sich finde ich sie grundsolide. Sie macht ihren Job.“

Wann sind Sie glücklich? Anne Stephanie: „Wenn wir uns angucken und ich sehe, dass er strahlt. Vorhin im Auto zum Beispiel.“ Sven: „Wenn wir Besuch haben und endlich wieder für uns sind. Oder wenn wir abends im Bett den ‚Tatort‘ gucken.“

Nächstes Mal treffen wir Rahel Kidane und Daniel Measho in Hamburg. Interesse? Mailen Sie an hausbesuch@taz.de