Der Himmel ist weit überm Osten

ROCK Seit ihrer Gründung im Jahr 1987 in Ostberlin spielten Infamis auf kleinen Bühnen ihren amerikanischen Rock. Bis Wim Wenders sie entdeckte

Es geht gleich sehr zweideutig los. „Im Kino gewesen – geweint. Er stirbt jung im Regen – vorbei“. Nein, das ist nicht der Anfang eines Drehbuchs, das demnächst von Wim Wenders verfilmt wird. So eröffnet René Schwettge singend „Im Westen der Himmel“, das neue Album seiner Band Infamis.

Die Assoziation ist aber trotzdem stimmig. Nicht nur, weil Infamis, auch wenn sie aus Berlin stammen, schon länger sehr gern so klingen, als wären sie ein Spätwestern-Soundtrack, und ihr neues Werk auch so betitelt haben, als handelte es von Cowboys, die sich im Sattel langweilen. Sondern vor allem auch, weil „Im Westen der Himmel“ auf dem Plattenlabel von Wim Wenders erscheint. Das heißt einfallsreicherweise Wenders Music und wurde einst gegründet, als der Regisseur keine Plattenfirma fand, die vor zwei Jahren den Soundtrack zu seiner Pina-Bausch-Dokumentation herausbringen wollte. „Pina“, der Film, gewann Preise, und „Pina“, der Soundtrack, verkaufte sich, so sagt der Labelchef, mehr als 50.000-mal.

Das ist, erst recht in diesen Zeiten, eine Menge. Man kann allerdings fest davon ausgehen, dass „Im Westen der Himmel“ von Infamis nicht einmal annähernd solche Zahlen erreichen wird. Selbst obwohl der Name Wenders aktuell gerade dafür sorgt, dass die Berliner Band so viel Presse bekommt wie niemals zuvor – auch weil sich der Filmemacher zusammen mit Infamis-Sänger Schwettge auf einen Interview-Marathon begeben hat.

Unverlangt zugesteckt

Wim Wenders erzählt jedem, der fragt, wie er zum Fan der unbekannten Band wurde, als ihm vor Jahren ein Radiomoderator unverlangt eine Platte von Infamis zusteckte, die er dann erst im Koffer um die halbe Welt transportierte, bevor er sie hörte.

Die Folge dieser Vinyl-Odyssee ist nun eine Aufmerksamkeit, die man der Band vielleicht schon deshalb gönnen sollte, weil sie seit ihrer Gründung in Ostberlin im Jahr 1987 tapfer gegen ihre Unbekanntheit anspielt, sich aber in dieser Zeit kaum mehr als einen sehr überschaubaren Lokalheldenstatus erarbeiten konnte. So lange schon verdienen alle Bandmitglieder ihr Geld mit ehrlicher Arbeit, dass sie nun, nachdem sie einer der bekanntesten Filmregisseure der Welt als ihr größter Fan geoutet hat, auch nicht mehr damit anfangen wollen, noch vom großen Durchbruch zu träumen.

Warum aber ausgerechnet Wenders diese Band so großartig findet, dass er gar das finanzielle Risiko auf sich nahm, ihr Album in einer denkbar prächtiger Verpackung herauszubringen, die nun aussieht wie eine Film-DVD, das erschließt sich sofort, wenn man „Im Westen der Himmel“ hört. Packen Infamis doch das ganze Arsenal des amerikanischen Rock aus und stürzen sich so hemmungslos in amerikanische Klischees, wie das Wenders in seinen Filmen getan hat.

Mit der Slide-Gitarre, die nach Mojave-Wüste riecht, und dem Banjo, das nach Appalachen schmeckt, reiten Infamis zwar nicht über die Prärie, aber spielen doch für Großstadtcowboys. Dazu singt Schwettge, als wollte er vom Sheriff dringend als Kindsmörder verhaftet werden, aber meist bekommen Infamis – wie Wenders in seinen besten Filmen – es dann doch noch hin, das eine oder andere Klischee zu brechen. Schon allein, weil sie diese urdeutsche Ernsthaftigkeit nicht loswerden. Schon wieder etwas, das sie mit ihrem Mentor teilen.

THOMAS WINKLER

■ Infamis: „Im Westen der Himmel“ (Wenders Music/Rough Trade)