Bleiche Frauen unterm Stroboskop

KUNST „Twilight Zone“ in der Galerie Nord versucht sich an einer Neudefinition des Grusels, doch die Konventionen sind stärker

Das Grauen lauert am Wäscheständer. Zur dramatischen Musik von Hitchcocks „Die Vögel“ flattern auf dem Monitor schwarze Socken heran und hängen sich selbstständig zum Trocknen auf. Binnen wenigen Minuten wimmelt das eben noch leere weiße Trockengestell von schwarzen Gebilden, die krähengleich im Wind flattern – und zwar, der Gravitation trotzend, nach oben. Welches unheimliche Phänomen die Naturkräfte außer Kraft gesetzt hat, erfährt man nicht. Nach knapp fünf Minuten ist die Videoarbeit „Hitchhiking – The Birds“ von Frederik Foert schon wieder vorbei. Die orchestrale Horrormusik klingt noch nach im Ohr, während man aus der Galerie Nord des Kunstvereins Tiergarten auf die Turmstraße schaut, wo sich sommerlich gekleidete Passanten an den Fenstern der Galerie Nord vorbeischieben. Die durchdringenden „Melonen, leckerleckerlecker!“-Rufe des Obstverkäufers gegenüber haben plötzlich etwas Bedrohliches.

Die Ausstellung „Twilight Zone“ will das Unheimliche im Alltag erkunden, das Zwischenreich zwischen Traum und Albtraum, dem Normalen und dem Schrecklichen. Die Schau ist eine Gemeinschaftsaktion der sechsköpfigen Gruppe montanaberlin, die Gastkünstler wie Frederik Foert dazu eingeladen hat, sich mit dem zu beschäftigen, was uns, jenseits von Splatter und Grusel, die Haare zu Berge stehen lässt. Nach Ansicht der Kuratoren Esther Horn und Jörn Gerstenberg, die auch zu den Ausstellenden gehören, ist die Angst vor höheren Mächten in unserer entwickelten Zivilisation einer Furcht vor den Risiken des menschlichen Fortschritts gewichen. Das Apokalyptische, rätselhafte Zeichen und Begegnungen, unerklärliche Einzelschicksale werden eingemeindet in einen medialen Dauerstrom von Nachrichten, aus dem sich unsere kollektive Paranoia speist. Unser Sicherheitsempfinden prägt die Wahrnehmung der Welt.

Schon Kleinigkeiten genügen, diese Wahrnehmung zu stören, die Ordnung der Welt ins Wanken zu bringen. Die Installation „Dem Staub ein Gegengewicht“ von Nadine Rennert etwa spielt gut gelaunt mit Schauerkonventionen des 19. Jahrhunderts: Ein Homunkulus, der aussieht wie mit Staub überzogen, scheint ein schäbiges Puppenhäuschen zu tragen. Von der anderen Seite betrachtet, wo ein paar weiß bestrumpfte Kinderfüße unter dem Ding hervorschauen, wirkt das Ensemble bedrohlich. Die Hand des Homunkulus greift von oben in das Haus hinein, deutlich sieht man an seinen Fingern die monsterhaften Nähte. Gegenüber am Fenster sitzt ein anderes Wesen, das auf einem Kinderstuhl sitzt und den Kopf in einem Pappkarton verbirgt. Das Kinderhändchen, mit dem sich das Wesen abstützt, gibt dem Ganzen etwas unangenehm Mutiertes.

Apparat, Monster, Teufel

Auf den streng geometrischen PVC-Drucken von Jörn Gerstenberg lässt sich das Unheimliche nicht auf Anhieb erkennen. Irgendetwas an den eleganten Kompositionen, die Ansichten von Wohnungen, Spiel-oder Sportplätzen zeigen, stimmt nicht. Ob es das käferartige Objekt in der Ecke ist oder der verrutschte Fluchtpunkt? Die großformatigen Ölgemälde von Esther Horn zeigen apokalyptische Landschaften, eine Frau allein in großstädtischer Ödnis, Baumstümpfe, die kahl in einen unnatürlich gefärbten Himmel ragen.

So ganz kommen die gezeigten Werke allerdings nicht aus den Konventionen des Schauderns heraus, die seit dem 19. Jahrhundert die kollektive Wahrnehmung beherrschen: Marcin Cienskis Gemälde zeigen bleiche Frauen und Vögel, Markus Vaters Animation „The Cave has been moved“ breitet ein scherenschnitthaftes Panorama aus Erhängten in toten Bäumen und Insektenschwärmen aus. Nur eine Arbeit, Gerstenbergs „Angelus Novus“, das einen unheimlichen Soldaten oder Agenten zeigt, streift thematisch die Überwachungs-und Terrorangst, die sich längst als neue kollektive Paranoia unserer Zeit etabliert hat. Alle anderen Exponate – ob ambivalente Fotos von Maschinenteilen und Müllsäcken oder umgestürzte Reliquiensäulen mit Wachsköpfen darin – bleiben dem Kanon dessen verhaftet, was traditionell als gruselig gilt: Apparate, Monster, Teuflisches.

Einen heiteren Schlusspunkt bildet die Animation „Berghain-Novelle“ von Florian Göpfert und Alekos Hofstetter: Durch ein schlichtes Papiermodell des Berghain-Gebäudes stürzen Schatten, Stroboskopblitze erhellen Ketten am Boden und dräuende Kellereingänge, dazu wummert ein tiefer Bass. Am Ende quellen dunkle Wülste aus den Fenstern der Fassade. Blut? Tomatensaft? Bloody Mary? Darauf schnell einen Tomatensalat aus dem Sortiment des unheimlichen Obstverkäufers von gegenüber. NINA APIN

■ Bis Samstag, 27. Juli, Dienstag bis Samstag 14–19 Uhr. Turmstr. 75