Für einmal Superstar

TREFFSICHER Brecht Evens erzählt in „Die Amateure“ mit spritzigem Witz von einer Kunstbiennale auf dem Lande. Sein Comic entpuppt sich dabei selbst als formidables Kunstwerk

Berauscht von der unterwürfigen Aufmerksamkeit der Amateure entwickelt er sich zum Visionär

VON ELISE GRATON

Der Künstler hat die Aufgabe, die Grenzen seiner Perzeption immer wieder zu erweitern und seine Wahrnehmungen so klar wie möglich umzusetzen, damit das Publikum es verstehen kann.“ Diesen ungelenken Satz soll der flämische Comiczeichner Brecht Evens eines Tages im betrunkenen Zustand von sich gegeben haben. Nun eröffnen diese Worte sein neues Album „Die Amateure“. Dessen Hauptfigur ist Pieterjan, ein ambitionierter Künstler, der als Leiter eines Stillebenkurses gerade mal so über die Runden kommt.

Auf die Forderung nach einer Erweiterung der Perzeption, der Wahrnehmung, von Pieterjan im Comic vorgebracht, reagieren die HobbymalerInnen zunächst einmal gar nicht. „Also, Yannick. Was SIEHST du?“, bohrt Pieterjan bei einem Schüler nach. Kurz überlegt Yannick hinter seiner Staffelei und sagt: „Einen Apfel und eine Vase.“

Die Farbe des Neides

Inspirieren kann der zu Höherem berufene Pieterjan seine Klasse nicht. Und auch mit dem eigenen Werk will es ihm nicht so recht gelingen, die zeitgenössische Kunstwelt zu begeistern. Die ausverkaufte Vernissage eines Freundes kommentiert er griesgrämig: „Es wurde noch nie so viel gekokst.“ Und ist dabei von Scheitel bis zur Sohle monochrom in Grün gehalten – der Farbe des Neids.

Schon in seinem vorigen Album, „Am falschen Ort“, ordnete Evens den Figuren einzelne Farben zu und ließ diese auch auf die Schrift in den Sprechblasen übergreifen. Die virtuos in Aquarell gemalte Geschichte einer feucht-fröhlichen Clique und ihres Partylebens zeugte von ungewohnter formaler Freiheit und beinhaltete eine eindringliche Schilderung der Wachstumsschmerzen junger Erwachsener und ihres Ringens um eine eigene Individualität. „Am falschen Ort“ brachte dem 1986 in Hasselt geborenen Zeichner beim Comicfestival von Angoulême den Prix de l’audace – des Wagemuts – und den internationalen Durchbruch.

Kunstevent als Kirmes

Mit „Die Amateure“ widmet sich Evens erneut den zwischenmenschlichen Befindlichkeiten, Hierarchien, Zwängen und Gruppendynamiken, diesmal im Kunstkontext. Dafür verlässt er den urbanen Raum der Galerien und schickt Pieterjan zu einer vielversprechenden Biennale aufs Land. Schon bald entpuppt sich der Kunstevent jedoch als eine Art Kirmes mit Therapiecharakter: Die sechs anderen beteiligten Künstler sind skurrile Dorfbewohner, die sich allein dadurch für die Teilnahme qualifizieren, dass sie „gern malen“. Auch lokale Pfadfinder legen Hand ans Werk, und wenn es bis spät in die Nacht dauert, kommt der Polizist auf ein Bier vorbei und stellt seine Suchscheinwerfer zur Verfügung. Wie sympathisch, könnte man meinen. Pieterjan aber denkt nur: wie dilettantisch!

Doch statt die Flucht anzutreten, lässt sich Pieterjan in der dörflichen Idylle als Superstar der zeitgenössischen Kunst feiern. Seine Phrasen zeigen hier Wirkung. Berauscht von der unterwürfigen Aufmerksamkeit, mir der ihm die Amateure begegnen, entwickelt er sich zum Visionär. Er will die Kräfte aller für ein ambitioniertes Großkunstwerk bündeln. Eine 10 Meter hohe Skulptur soll entstehen – ein gigantischer Gartenzwerg!

Immer wieder nimmt sich Evens die Freiheit, seine Handlung mit ganzseitigen, üppig gemalten, zur Kontemplation einladenden Landschaftsfresken zu unterbrechen. Zitate aus der Kunstwelt schmuggelt er in sein Werk. So wird die zitternde Hand eines an Alzheimer erkrankten Greises zu einer Hommage an Bruce Naumanns Neoninstallationen, das aufgetischte Frühstück erinnert an ein Stillleben von Matisse, und ein manisch kritzelnder Dorfbewohner wird in einem White Cube eingesperrt. Als sich die Katastrophe mit der Enthüllung des Mammutprojektes nähert, darf auch Munchs Schrei nicht fehlen.

Evens schimmernde, farbenfrohe Aquarelltechnik vermählt sich in „Die Amateure“ ebenso kunstfertig wie vielschichtig mit seiner Absicht, die Mechanismen von Autorität, Unterwerfung und Geltungsdrang in der Gruppe offenzulegen. Und ganz nebenbei erzählt er treffsicher von den Unwägbarkeiten des heutigen Kunstbetriebes. Amateure und Kenner werden dieses Buch lieben.

Brecht Evens: „Die Amateure“. Deutsch von Andrea Kluitmann. Reprodukt Verlag, Berlin 2013, 224 Seiten, 34 Euro