Eine stürmt weiter

PORTRÄT Anna Maria Sturm verabschiedet sich vom „Polizeiruf“ (So., 20.15 Uhr, ARD). Eine Befreiung, sagt sie

„Als Schauspielerin bin ich verpflichtet, bei Sinnen zu bleiben, mich weiterzuentwickeln“

AUS MÜNCHEN DAVID DENK

Eine Szene wie bei einer Pensionierung: Anna Maria Sturm wird unter Applaus der Kollegen nach vorne gebeten, sie guckt etwas verlegen in die Runde, die Chefin sagt ein paar warme Worte, nochmals Applaus, Blumenstrauß. Und raus. – Tatsächlich sind wir hier auch bei einer Art Pensionierung. Oder sagen wir besser Frühpensionierung. Anna Maria Sturm ist 30.

München, Audimax der Hochschule für Film und Fernsehen am Donnerstag vergangener Woche: Gerade hatte im Rahmen des Filmfests der fünfte Münchner „Polizeiruf 110“ Premiere, „Der Tod macht Engel aus uns allen“. Sturm spielt an der Seite von Matthias Brandt ein letztes Mal die junge, ziemlich bayerische Polizistin Anna Burnhauser. Über beides wird hier gleich noch zu reden sein: das „an der Seite von“ und die so präsente Herkunft von Schauspielerin wie Figur.

Erst mal aber muss eine Frage erlaubt sein, die sich nicht wenige hier im Saal stellen: Ja, spinnt die denn?!

Streng genommen ist es wohl keine Frage, eher ein Stoßseufzer, denn es ist wohl für viele klar, dass man so was nicht macht: ohne Not aus einer so beliebten wie angesehenen Krimireihe auszusteigen und die Sicherheit von zwei Filmen pro Jahr in den Wind zu schlagen. Sturm weiß um die Fallstricke ihres Berufs und hat es trotzdem gemacht. Oder gerade deswegen. Man könnte also auch sagen: Mutig, echt mutig. Wie würde sie selbst ihre Entscheidung nennen?

Das Mädchen

Als Treffpunkt hat Anna Maria Sturm einen recht münchnerischen Italiener an der Maximilianstraße vorgeschlagen – nicht gerade der Ort, an dem man „das Mädchen mit dem Heu im Haar“ erwarten würde. So hat Cornelia Ackers, die „Polizeiruf 110“-Redakteurin vom Bayerischen Rundfunk, die Sturm bei der Premiere den Blumenstrauß überreicht hat, die Oberpfälzerin mal genannt.

Einerseits hat Sturms Wahl praktische Gründe: Sie kommt leicht verspätet von der Besprechung mit einem Regisseur an den Kammerspielen gleich um die Ecke, dem Theater, an dem sie hauptsächlich arbeitet, nachdem sie einem Vertragsangebot der Berliner Schaubühne wegen Anna Burnhauser einen Korb geben musste. Andererseits ist Anna Maria Sturm nicht der Typ, der Journalisten gleich in ihr Stammlokal bestellen würde.

So viel steht fest, sonst aber wenig. Auch ein Mädchen vom Land kann doch ein Faible für Edelitaliener haben. Vielleicht isst sie ja viel lieber Vitello tonnato als Schweinsbraten. Ja, da ist sie wieder, die Schublade der bodenständigen Landbayerin, aus der die gebürtige Regensburgerin seit ihrem Filmdebüt in Marcus H. Rosenmüllers Neoheimatfilm „Beste Zeit“ vor sechs Jahren nicht herauskommt – zumindest nicht vor der Kamera. Auf der Bühne sieht die Sache zum Glück anders aus. Auch deswegen spielt Sturm so gerne Theater. „Ich habe sehr lange gebraucht, mich mit diesen Schubladen abzufinden“, sagt sie. „Aber anscheinend ist der Mensch so. Jemanden gleich verorten zu können bringt eine Art Sicherheit.“

Anna Burnhauser war dann – nach den Fortsetzungen „Beste Gegend“ und „Sommer der Gaukler“, beide wieder unter der Regie von Rosenmüller – die Institutionalisierung dieses Rollenbildes. Vor der Entscheidung, die Rolle aufzugeben, habe sie weniger Angst gehabt als davor, bis in alle Ewigkeit nur diese Anna Burnhauser zu spielen – oder andere Anna Burnhausers. „Ich wollte nicht dauerhaft in einer Reihe eine bayerische Rolle spielen, weil ich die Befürchtung habe, ein Rollenklischee zu bedienen, aus dem ich vielleicht nie wieder rauskomme.“ Zwar habe sie für jeden Film nur etwa acht Tage gedreht, doch für anderes blockiert gewesen sei sie durch die Sperrzeiten viel länger: „Ich musste einige wirklich tolle Projekte absagen.“

Ursprünglich zugesagt hatte sie in der Hoffnung auf eine komplexere Figur. Doch schon nach dem ersten oder zweiten Film sei klar geworden, dass Anna Burnhauser vor allem für die „bayerische Farbe“ zuständig gewesen sei. Wie Sturm das ausspricht, mit energisch gerolltem niederbayerischem R, klingt es wie eine Strafe. Und das war es für sie auch, von der Zusammenarbeit mit tollen Regisseuren wie Dominik Graf oder Hans Steinbichler sowie ihrem Schauspielkollegen Matthias Brandt, die sie hervorhebt, mal abgesehen. „Als Schauspielerin bin ich verpflichtet, bei Sinnen zu bleiben, mich weiterzuentwickeln und darum zu kämpfen, in meiner Arbeit möglichst zufrieden zu sein.“ Den letzten Dreh habe sie nach ihrer schweren Entscheidung umso mehr genossen. „Ich habe mich echt befreit gefühlt.“

Rosalie Thomass findet es „sehr schade, dass Anna Maria beim ‚Polizeiruf‘ zu wenig von ihrem Talent zeigen konnte“. Die Schauspielerin kennt und mag Sturm, seit sie in „Beste Zeit“ beste Freundinnen gespielt haben, eine wichtige Etappe ihrer jungen Karrieren, deshalb haben sie auch immer noch Kontakt. Deshalb, und weil Sturm „wahnsinnig lustig“ sei. Thomass bewundert sie „für den Mut, auch eigensinnige Entscheidungen zu treffen“: „Ich glaube, nicht jede Schauspielerin würde sich das trauen.“

Für eine große Stärke der Kollegin hält Thomass ihre „gesunde Naivität“, dass sie sich nicht so viele Gedanken darüber mache, was andere über sie denken. Bevor das irgendwer in den falschen Hals kriegt, gucken wir kurz in eine Szene aus Sturms Abschieds-„Polizeiruf“ rein, die diese Gabe schön illustriert: Frustriert von der Unterforderung durch ihren Chef von Meuffels, der sie im Innendienst versauern lässt, sitzt Burnhauser spätabends an ihrem Schreibtisch, mit den Tränen ringend, bevor sie in den Nebenraum geht, wo für die kleinen Besucher des Präsidiums ein Kasperletheater steht. „Ja, was ist denn passiert?“, lässt sie das Kasperle fragen, und der Wachtmeister, in dem ihre andere Hand steckt, antwortet: „Na ja, der Hanns von Meuffels, der ist immer so gemein zu mir, und ich mache Überstunden die ganze Zeit, und ich wollte eigentlich nach Aubing gehen.“ Der Satz versandet in Schluchzen.

Dass das dann nicht so banal ist, wie es sich vielleicht liest, sondern direkt ins Herz trifft, liegt an Sturms Schauspielkunst, dieser ungestümen Natürlichkeit und Unmittelbarkeit. Thomass erinnert die Pferdefreundin Sturm daher an ein Wildfpferd. Kollegen, die dreimal hinterfragen, ob ihre Figur so was auch tut, würden der Szene ihre Kraft nehmen, indem sie womöglich gar ein Augenzwinkern mitspielen, sich über die Figur erheben, diese labile Heulsuse. Nichts läge Anna Maria Sturm ferner. Sie spielt, was im Drehbuch steht, und hält sich nicht für klüger als der Autor – was in diesem Fall auch wirklich besonders töricht wäre: Das feinsinnige Buch von Günter Schütter, so zart wie hart inszeniert von Jan Bonny, ist ein Geschenk für jeden Schauspieler (und für den Zuschauer sowieso).

Schließlich schmeißt Anna Burnhauser noch ein Telefon aus dem Fenster und packt ihre Sachen. Ihr reicht’s. Raus hier, dalli.

Die Zornige

Ein grandioses Kabinettstückchen, wie sich in der Filmhandlung die Unzufriedenheit der Darstellerin in ihrer Rolle spiegelt – auch wenn Anna Maria Sturm für Vandalismus viel zu wohlerzogen ist. Während des Interviews rutscht sie immer wieder ins Sie. Viele ihrer Sätze enden in einem mädchenhaft-verlegenen Kichern. Das ist die zurückhaltende, ja schüchterne Seite der Anna Maria Sturm.

Und noch eine Facette gibt es in der guten Stunde mit Sturm zu entdecken: die zornige, gesellschaftskritische Anna Maria, die die Versnobbung ihres Drittwohnsitzes Berlin (neben ihrem Heimatort Schwandorf und München) geißelt, den Egoismus des Menschen und dessen Geringschätzung anderer Lebewesen. Da macht sich das Erbe ihrer Mutter bemerkbar, einer Umweltaktivistin und früheren Grünen-Landtagsabgeordneten. „Wenn ich Zeitung lese, wird mir schlecht, was so alles in der Welt passiert“, sagt sie, „und dann stehe ich auf einem Empfang, wo alle sich für den Nabel der Welt halten.“ Manchmal sei das schwer zu ertragen – dann gewinnt aber doch wieder ihre gute Kinderstube die Oberhand: „Schreib bloß nicht, dass alle dumm sind! Vielleicht bin ich es ja selbst. Das kann schließlich auch sein.“

Im Herbst geht Anna Maria Sturm mit einem Künstlerstipendium für einen Monat in die USA. Sie hat sich Projekte für mindestens ein Jahr vorgenommen: ihr Englisch zu verbessern, über künftige Projekte nachzudenken, nach New York zu fahren, eine neue musikalische Lesung vorzubereiten, Kontakte zu amerikanischen Agenturen zu knüpfen. „Es muss nicht unbedingt Hollywood sein“, sagt Sturm, „aber ein Ziel ist es auf jeden Fall, auch international zu arbeiten“, weit weg von Bayern. „Es gibt so viele coole Filmemacher.“ Anna Maria Sturm ist Kollegin geworden, aber Fan geblieben, immer auf der Suche nach Futter für ihre eigene Arbeit. „Niemals würde ich sagen: Ich bin Anna Maria Sturm, Punkt.“

Die Reise geht also weiter, immer weiter. Wie war das noch gleich in „Beste Gegend“? „Auf Fahrtwind und Freiheit! Keine Kompromisse!“, schwören sich die beiden Freundinnen im Film. Anna Maria Sturm könnte es nicht besser formulieren.