Sexarbeiterinnen wechseln ins Altersheim

Aussteigewillige Prostituierte können sich in Bochum und Dortmund zu Altenpflegerinnen oder Verkäuferinnen weiterbilden lassen. „Sie sind es gewohnt, sich zu vermarkten und mit fremden Körpern zu arbeiten“

DORTMUND/BOCHUM taz ■ Prostituierte haben Fähigkeiten, die sie auch in andere Berufe einbringen können. Die Frauenberatungsstellen „Mitternachtsmission“ in Dortmund und „Madonna“ in Bochum bieten in Zusammenarbeit mit der Diakonie Westfalen Aussteigerinnen die Möglichkeit, sich im Bereich Marketing/Verkauf oder in Pflegeberufen weiterzubilden. Prostituierte mit geringer Schulbildung oder Migrantinnen können alternativ dazu an einer viermonatigen Basisqualifizierung teilzunehmen, bei der sie Deutsch lernen oder EDV-Kenntnisse erwerben können.

Von dem bundesweit einmaligen Modellprojekt sollen auch Bewohnerinnen von Frauenhäusern profitieren können. „Diese Frauen verbindet, dass ihr Selbstbewusstsein am Boden ist“, sagt Mechthild Eickel von der Prostituiertenselbsthilfe Madonna in Bochum. Das Land NRW und der Europäische Sozialfonds stellen für das Projekt etwas über eine Million Euro zur Verfügung. Bis zu 20 Monate lang können die Beraterinnen ihre Klientinnen bei ihrer Berufsfindung begleiten. „Die müssen ja erst einmal herauskriegen, was sie können und was sie wollen“, so Eickel.

Der Beruf der Verkäuferin oder der Altenpflegerin liege nahe, sagt Gisela Zohren von der Dortmunder Mitternachtsmission: „Die Frauen müssen sich auch am Telefon schon vermarkten.“ Auch für die Pflege von alten und behinderten Menschen eigneten sich ehemalige Prostituierte überdurchschnittlich. „Sie sind es gewöhnt, mit fremden Körpern zu arbeiten und haben niedrigere Hemmschwellen“, so Zohren. Wenn sich Frauen für andere Berufe entschieden, würden sie natürlich auch darin unterstützen.

In Nordrhein-Westfalen arbeiten etwa 45.000 Frauen in der Prostitution. Um die Frauen für die Umschulung zu gewinnen, hat die Dortmunder Mitternachtmission bereits die Hälfte der ihnen bekannten Prostituierten in der Stadt aufgesucht: „Die Frauen waren neugierig, zehn haben sich angemeldet“, berichtet Gisela Zohren. Man erhoffe sich, dass durch Mund-zu-Mund-Propaganda auch andere Prostituierte zur Teilnahme animiert würden. „Dafür geben sie aber nicht alle sofort ihre Arbeit auf“, sagt sie.

Auch Rita Kühn von der Diakonie in Westfalen, die das Projekt koordiniert, ist sehr zufrieden. In Vorgängerprogrammen hätte man aussteigewillige Frauen zwar in eine einjährige Umschulung gesteckt, sie aber nicht so lange begleiten können. Neu ist auch die enge Vernetzung mit Unternehmern, Bildungsinstitute und Frauenhäusern.

Ende 2007 läuft das Projekt aus, eine Fortsetzung ist nicht gesichert. „Wir hoffen, dass unser Modell Nachahmer findet“, sagt Kühn. NATALIE WIESMANN