Nach der Moderne ist in der Moderne

MODELLSTUDIE Der junge Berliner Architekt Robert Burghardt hat eine Planstudie als Alternative zum geplanten Bau des Stadtschlosses entworfen. Sein wuchtiges Gebäudemodell zitiert Klassiker der Architekturmoderne

Modernismus: Neue Bauformen schaffen neues Bewusstsein. Es führt zu neuem gesellschaftlichen Sinn

VON KITO NEDO

Armes Stadtschloss! Alle wollen es haben, niemand will dafür bezahlen. So erklärte Bundesbauminister Peter Ramsauer (CSU) unlängst zu den Kosten einer Kuppel für den Stella-Bau, sie entsprächen „zehn Ortsumgehungen oder acht Kilometern vierspuriger Autobahn“. Was soll dieser Geiz? Dass die vielbeschworene Kostengrenze von 552 Millionen Euro unhaltbar ist, gilt sowieso als sicher. Die Frage ist nur noch, wie viel hundert zusätzliche Millionen der Schlosstraum die Steuerzahler kosten wird. Doch dazu wird bislang hartnäckig geschwiegen. Realistische Zahlen könnten das Projekt doch noch gefährden: Schließlich verschlang allein die Vorbereitung des Baugrundes über 100 Millionen Euro.

Volle Kostenkontrolle

Dass trotz solcher Unsummen am Schloss festgehalten wird, darüber kann sich der junge Berliner Architekt Robert Burghardt nur wundern. Selbst ein Monumentalbau wie das von ihm im Rahmen einer TU-Diplomarbeit vorgeschlagene „Denkmal für die Moderne“, das er freilich viel lieber anstatt des tatsächlich beschlossenen Humboldt-Forums errichtet sähe, „wäre auf jeden Fall günstiger“. Als Gründe für die höhere Kostentransparenz und bessere Kostenkontrolle nennt der Architekt vor allem die vorwiegende Verwendung von Stahlbeton und viele wiederkehrende architektonische Elemente. Kleinteilige, langwierige und teure Steinmetzarbeiten wie für die Schlossfassade wären bei der Ausführung seines Denkmalentwurfs nicht nötig.

Doch letztlich waren Kosteneffizenz und schnelle Bauzeit für den Architekten gar keine Kriterien, nach denen er sein Projekt erarbeitete. Intensiv beschäftigte er sich hingegen mit Referenzbauten der architektonischen Moderne, wie die Marseiller Unité d’habitation von Le Corbusier, dem Moskauer Rusakow-Arbeiterklub von Konstantin Melnikow oder dem umstrittenen Wohnkomplex „Robin Hood Gardens“ der britischen Brutalisten Alison und Peter Smithson. Burghardt nutzte sie und weitere für seine Zwecke, indem er sie im Cut-and-Paste-Verfahren zunächst zerlegte und einzelne Teile oder ganze Gebäude anschließend zu etwas Neuem, eben seinem Moderne-Denkmal zusammensetzte.

So entstand ein gewaltiger, patchworkartiger Riegel, der sich auf den Plänen wie ein eben gelandetes Raumschiff über die gedeckelte Spree zwischen Marx-Engels-Forum und Schlossplatz erhebt und diese beiden städtischen Areale zu einer neuen Einheit verbindet. Dabei ging es dem Architekten um mehr als reines Design: „Mir war es wichtig, mit Architektur zu arbeiten, die eine kommende oder andere Gesellschaft antizipieren wollte und in der verschiedene Realismus-Strategien stecken.“ Dass „Realismus“ in der Architektur oft mit „Funktionalismus“ oder „Rationalismus“ übersetzt wird, ist Burghardt durchaus bewusst. „Der Begriff Funktionalismus ist irreführend und greift zu kurz, es geht nicht nur um reine Funktionalität, sondern um mehr.“ Eine Nutzung des Gebäudes ist bei Burghardt nicht vorgesehen, ihm geht es um das Potenzial eines leeren Riesenhauses, das verschiedene Begehrlichkeiten wecken soll, ohne sie zu erfüllen.

So fügen sich in den Plänen und Zeichnungen für das Denkmalprojekt, die derzeit in einer Wandvitrine auf dem Korridor im 8. Stock der Architektur-Fakultät der TU am Ernst-Reuter-Platz ausgestellt sind, die vielfältigen Zitate und Referenzen auf Meilensteine der architektonischen Moderne zu einer anschaulichen Geschichte der Bewegung, anhand derer man sich ihre Siege und Niederlagen vergegenwärtigen kann. Der Summe wie ihren Teilen ist der modernistische Gedanke gemeinsam, dass neue Bauformen ein neues Bewusstsein schaffen und so schließlich zu einem neuen gesellschaftlichen Sein führen können.

Denn mit dem handfesten Rekurs auf Projekte von Le Corbusier, Melnikow, Hannes Meyer oder Lina Bo Bardi, die als Zeugnisse der Avantgarde längst zum kulturellen Erbe der Gegenwart zählen, will Burghardt keineswegs die Musealisierung der Moderne vorantreiben. Die gewählte Form eines Denkmals will er als „Trick“ verstanden wissen: Es gehe eben gerade nicht darum, die Moderne zur Vergangenheit zu erklären, sondern ihre Geschichte als einen Erfahrungsschatz für Gegenwart und Zukunft lebendig zu halten. Auch in der Gegenwart liefen schließlich noch immer „moderne“ Prozesse ab, wie die ständige Revolutionierung der Produktionsmittel oder die Auflösung traditioneller Bindungen. Die Moderne als abgeschlossen zu betrachten sei im Moment gar nicht möglich, eher herrsche eine Art Gleichzeitigkeit: „Wir befinden uns in der paradoxen Situation, sowohl in der Moderne als auch nach der Moderne zu leben.“

Versprechen im Mülleimer

Was jedoch im Mülleimer der Geschichte gelandet ist, das sind die Versprechen, die im Zuge der Modernisierung mit diesen Prozessen ursprünglich verknüpft waren. Burghardt sagt: „Der Glaube, dass der Modernisierungsprozess zu gestalten ist, ist der Gesellschaft abhandengekommen.“ Doch wie viel ist die Modernisierung wert, wenn mit ihr nicht mehr die Ideen einer neuen, gerechteren und freieren Gesellschaft verknüpft sind? Deshalb soll sein Denkmal kein sentimentales Projekt, kein utopisches, kein Mahnmal im Sinne eines „Nie wieder!“ sein. Lieber wäre es ihm, die Leute würden darin eine Aufforderung im Sinne eines „Immer wieder!“ sehen und Fragen stellen. „Wie wollen wir leben, und wie kann uns Architektur dabei dienlich sein?“

Was würde also passieren, wenn die Verknüpfung von Architektur und Emanzipation wieder lebendiger würde und keine leere Designphrase bliebe? Auf jeden Fall könnte man sicher auf Bauminister verzichten, die alles nur in Autobahnkilometern zu denken vermögen.

■ Robert Burghardt: Denkmal für die Moderne, Korridorausstellung 8. Etage, TU Berlin, Institut für Architektur, bis auf Weiteres www.denkmal-für-die-moderne.de