„Der Angriff im Bett ist zulässig“

Der Völkerrechtler Claus Kreß über die Zulässigkeit gezielter Tötungen in Afghanistan, im Nahen Osten und möglicherweise sogar in Deutschland

■ 43, ist seit 2004 Rechtsprofessor an der Universität Köln. Er ist Spezialist unter anderem für Kriegsvölkerrecht und Völkerstrafrecht.

INTERVIEW CHRISTIAN RATH

taz: Herr Kreß, in Afghanistan und im Nahostkonflikt werden Aufständische und Terroristen gezielt auch in ihrem privaten Umfeld getötet. Ist „Targeted Killing“ zulässig?

Claus Kreß: Im Rahmen eines bewaffneten Konflikts kann die gezielte Tötung von Kämpfern der Gegenseite durchaus zulässig sein.

Können Sie das genauer erklären?

Dann sollten wir mit der Rechtslage im klassischen Krieg beginnen. Hier ist den staatlichen Streitkräften die Tötung von Soldaten der Gegenseite erlaubt. Dies gilt nicht nur in der offenen Schlacht. Der gegnerische Soldat oder Feldherr darf vielmehr auch in der Mittagspause oder in seinem Bett in der Kaserne angegriffen werden.

Und was wäre eindeutig unzulässig?

Der Staat darf selbst einen noch so gefährlichen Straftäter nicht einfach töten. Das wäre eine extralegale Hinrichtung, die das Menschenrecht auf Leben verletzt. Selbst in Ländern, in denen es bedauerlicherweise noch die Todesstrafe gibt, muss vor deren Verhängung ein fairer Prozess stattfinden.

Und was gilt nun in Afghanistan? Die Taliban sind ja weder eine reguläre Armee noch einfache Kriminelle.

Es sind Aufständische, die gegen die afghanische Regierung und deren internationale Unterstützer kämpfen. Da die Auseinandersetzung längst deutlich über einzelne Anschläge und Scharmützel hinausgeht, ist sie völkerrechtlich als bewaffneter Konflikt zu bewerten. Aufständische dürfen dabei zumindest so lange getötet werden, wie sie unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen.

Und was gilt, wenn ein Taliban zu Hause im Bett liegt?

Das ist weitaus schwieriger zu beantworten. Es fragt sich, ob nichtstaatliche Kämpfer jenseits konkreter Feindseligkeiten wirklich als Zivilisten zu behandeln sind, die nicht bekämpft werden dürfen. Das brächte die staatliche Konfliktpartei dort in eine äußerst schwierige Lage, wo Aufständische tagsüber zum Beispiel als Bauern in ihrem Dorf leben und nachts regelmäßig Anschläge verüben. Ein neues Gutachten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz spricht sich dafür aus, dass diejenigen Aufständischen, die sich kontinuierlich an der bewaffneten Auseinandersetzung beteiligen, zu legitimen militärischen Zielen werden. Sie dürfen deshalb auch außerhalb laufender Feindseligkeiten angegriffen werden.

Sie teilen diese Auffasung?

Ich finde diese Rechtsauffassung im Kern überzeugend; sie wird im Übrigen durch die Staatenpraxis in Afghanistan bestätigt. Allerdings heißt es in dem Gutachten weiter, dass eine gezielte Tötung dann ausscheidet, wenn eine Festnahme ohne nennenswerte Gefahr möglich ist. Diese Einschränkung ist sehr wichtig und zukunftsweisend. Sie stößt jedoch bei den Militärmächten dieser Welt auf erheblichen Widerstand.

Woher soll dann aber ein Isaf-Soldat wissen, ob jemand nur ganz sporadisch oder kontinuierlich für die Taliban kämpft?

Ein einfacher Soldat kann das im Normalfall nicht wissen, und deshalb kann er auch nicht über eine gezielte Tötung entscheiden. Da müssen schon stichhaltige geheimdienstliche Erkenntnisse vorliegen. Im Zweifel muss eine Person als Zivilist behandelt und entsprechend geschont werden.

Hat auch die Bundeswehr derzeit in Afghanistan die Befugnis zur gezielten Tötung von Taliban?

Ja. Das ist nach Lage der Dinge von dem recht offen formulierten UN-Mandat gedeckt, von dem die Bundesregierung ja mit Zustimmung des Bundestags Gebrauch macht.

Wenn Ussama Bin Laden in einer afghanischen Höhle aufgespürt würde, dürfte er dann getötet werden?

Er dürfte getötet werden, wenn auch al-Qaida als Partei eines bewaffneten Konflikts in Afghanistan einzustufen wäre. Das erscheint mir inzwischen aber überaus zweifelhaft – anders als im Jahre 2001, als al-Qaida noch Basen in Afghanistan innehatte. Inzwischen weist al-Qaida wohl keine gefestigte militärische Struktur mehr auf, sondern ist eher ein loses Terrornetzwerk. Deshalb darf man einzelne Al-Qaida-Terroristen nicht töten, es sei denn, sie sind gerade selbst im Begriff, einen tödlichen Angriff auszuführen. Diese Personen müssen dann also in der Regel festgenommen und abgeurteilt werden. Für Bin Laden müsste dasselbe gelten.

Die USA sehen sich aber noch immer im Krieg mit al-Qaida.

Das stimmt leider. Ich bin aber optimistisch, dass unsere amerikanischen Freunde im Zuge des anhaltenden transatlantischen Dialogs von ihrer gefährlichen These eines globalen bewaffneten Konflikts mit al-Qaida abrücken werden.

Nehmen die Amerikaner für sich auch das Recht in Anspruch, Al-Qaida-Kämpfer beispielsweise in Deutschland zu töten?

Das ist die Gefahr der amerikanischen These vom grenzenlosen bewaffneten Konflikt mit al-Qaida. Nach meinem Eindruck thematisieren die USA die angesprochene und durchaus denkbare Folgerung aber nicht ausdrücklich, sondern versichern nur, dass gezielte Tötungsaktionen in Europa nicht zur Debatte stünden. Solche Versicherungen haben indessen nicht jeden beruhigt.

Besteht denn zwischen Israel und den Palästinensern ein bewaffneter Konflikt, der gezielte Tötungen erlaubt?

In den von Israel besetzten Gebieten im Westjordanland muss Israel prinzipiell mit polizeilichen Mitteln gegen Terroristen vorgehen. Allerdings wurden die Terrorangriffe während der zweiten Intifada ab 2000 so massiv, dass man von einem bewaffneten Konflikt sprechen konnte. In dieser Phase kam auch die gezielte Tötung palästinensischer Kämpfer in Betracht.

Und was ist mit Gaza?

Israel: Als erster demokratischer Staat hat Israel offensiv die präventive Tötung von Terroristen propagiert. In den Jahren der zweiten Intifada von 2000 bis 2005 wurden nach israelischen Angaben rund 300 Palästinenser getötet, weil sie Anschläge geplant haben sollen. Außerdem seien dabei auch rund 150 unbeteiligte Zivilisten und Angehörige umgekommen, die sich in der Nähe befanden. Der Oberste Gerichtshof Israels billigte 2005 die Strategie – sofern eine Festnahme unmöglich ist und die Zahl der zivilen Opfer gegenüber dem militärischen Nutzen nicht unverhältnismäßig ist.

■ Dubai: Vermutlich der israelische Geheimdienst Mossad hat im Januar den Hamas-Waffenhändler Mahmud al-Mabhuh getötet. Er wurde in einem Hotelzimmer in Dubai mit einem Kissen erstickt. Nach Angaben der Dubaier Polizei gehörten zu dem Killerkommando 26 Personen, die mit gefälschten europäischen Pässen einreisten. Die Hauptkritik der europäischen Regierungen gilt bislang dem Missbrauch der Pässe.

■ USA: Die USA haben nach den Anschlägen von 9/11 ein geheimes Mordprogramm gegen Al-Qaida-Führer gestartet. CIA-Chef Leon Panetta hatte es erst im Juli 2009 gestoppt. Bis dahin soll kein einziger Mord ausgeführt worden sein. Ende letzten Jahres berichtete eine US-Zeitschrift, dass der CIA in Deutschland die Ermordung des deutschsyrischen Kaufmanns Mamoun Darkazanli vorbereitet haben soll. Die USA bestreiten das.

■ Afghanistan: In Afghanistan führt die internationale Isaf-Truppe eine Liste von Taliban, die zur Festnahme (capture) oder Festnahme/Tötung (capture/kill) ausgeschrieben werden. Man vermutet, dass das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr an der Abarbeitung der Liste beteiligt ist. Ob die Bundeswehr auf der Todesliste stehende Taliban bereits gezielt getötet hat, ist unbekannt. (chr)

Aus Gaza hat sich Israel zurückgezogen. Dort hat die Hamas-Regierung ein De-facto-Regime errichtet. Gegen den massiven Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen durfte sich Israel 2008/2009 militärisch wehren. Dies war ebenfalls ein bewaffneter Konflikt, in dem Israel auch einzelne Hamas-Kämpfer gezielt bekämpfen durfte.

Jüngst wurde der Hamas-Waffenhändler Mahmud al-Mabhuh in Dubai getötet. Die Täter kamen vermutlich vom israelischen Geheimdienst Mossad. Wäre dies dann als zulässige Tötung einzustufen?

Nein, auch wenn Israel hinter der Tat steckt, was ich nicht weiß, war es ein strafbarer politischer Mord. Denn von einem bewaffneten Konflikt zwischen Israel und der Hamas in Dubai kann keine Rede sein. Im Übrigen wäre die Tötung selbst im bewaffneten Konflikt unzulässig gewesen. Denn die Täter trugen Zivilkleidung. Im bewaffneten Konflikt verstößt ein solches Vorgehen gegen das Völkerrecht und ist ein Kriegsverbrechen. Außerdem hätte Israel die Souveränität der Vereinigten Arabischen Emirate verletzt. Denn gegenüber diesem Staat, zu dem Dubai gehört, stand Israel im Tatzeitpunkt kein Selbstverteidigungsrecht zu.

Stichwort Souveränität: Ist es zulässig, wenn die USA in Pakistan oder im Jemen mit Drohnen und Raketen vermeintliche Terroristen jagen?

Solange die USA von dort aus nicht angegriffen werden, besteht kein amerikanisches Selbstverteidigungsrecht. Ob die Drohnenangriffe die Souveränität der hiervon betroffenen Staaten verletzen, hängt deshalb davon ab, ob sie mit deren Zustimmung durchgeführt worden sind. Hierzu gibt es unterschiedliche Angaben.

Sind Drohnen und Raketen zulässige Waffen für eine gezielte Tötung im bewaffneten Konflikt?

Grundsätzlich ja. Verboten ist dagegen etwa der Einsatz von Gift sowie von biologischen und chemischen Waffen.

Ist der Einsatz von Bomben und Raketen für gezielte Tötungen nicht schon deshalb unzulässig, weil dabei oft viele Unbeteiligte sterben?

In dieser Allgemeinheit lässt sich das schwer beantworten. Fest steht, dass die trotz aller Sorgfaltsmaßnahmen unvermeidbare Tötung von Zivilisten bei einem militärischen Angriff ein fürchterliches ethisches Dilemma begründet. Das Völkerrecht untersagt allerdings nur die Verursachung von unverhältnismäßigen zivilen Begleitschäden. An diesem nur schwer zu konkretisierenden Maßstab ist auch der Einsatz von Bomben und Raketen bei einer gezielten Tötung zu messen.