Teilnahme verweigert

Alles Latente manifest machen: In Romuald Karmakars „Hamburger Lektionen“ (Panorama) bringt Manfred Zapatka zwei Vorträge des Islamisten Mohammed Fazazi zur Kenntnis. Damit knüpft Karmakar an sein „Himmler-Projekt“ an

Manfred Zapatka spielt nie die Rolle von Mohammed Fazazi. Er spricht nur dessen Worte

Der deutsche Schauspieler Manfred Zapatka und der marokkanische Prediger Mohammed Fazazi sind einander nie begegnet. Sie unterscheiden sich durch Muttersprache, Habitus, Weltanschauung und was sonst noch ein Individuum von einem anderen trennt. Alle diese Differenzen sind deutlich sichtbar in Romuald Karmakars Film „Hamburger Lektionen“, in dem Zapatka zwei geistliche Vorträge von Mohammed Fazazi nachstellt. Er spielt sie nicht, er interpretiert sie nicht, er bringt sie zur Kenntnis.

Zapatka spricht eine deutsche Übersetzung. Fazazi hatte Arabisch gesprochen. Zapatka spricht in einem Studio, vor neutralem Hintergrund. Fazazi hatte in einer Hamburger Moschee gesprochen, vor Publikum, zum Ende des Fastenmonats Ramadan im Jahr 2000.

Unter den Zuhörern waren möglicherweise auch Mohammed Atta und zwei andere Attentäter des 9. 11. 2001. Durch diesen Umstand bekommen die Predigten von Mohammed Fazazi ihre besondere Bedeutung. Videobänder, die davon hergestellt wurden, sind nun auch Beweismittel in den Ermittlungen des Bundeskriminalamts.

Für Romuald Karmakar bildeten sie das Ausgangsmaterial, aus dem er die „Hamburger Lektionen“ kristallisierte. Der Film zeigt zwei vollständige Lektionen. Die Reaktionen des Publikums werden durch Inserts dokumentiert, und wenn Fazazi zwischendurch einen Witz auf Marokkanisch machte, dann blickt Manfred Zapatka über seinen Brillenrand und erläutert, dass Fazazi das Folgende auf Marokkanisch gesagt hat. Dann sagt er den Witz – er macht ihn aber nicht.

Auch wenn Romuald Karmakar mit den „Hamburger Lektionen“ wie schon in dem formal ähnlichen „Himmler-Projekt“ einen Zugang zu geheimem Wissen öffnet (und diese Öffnung zugleich konzeptualisiert), bleibt der Film ganz auf der anderen (auf „unserer“) Seite.

Fazazi sprach in seinen Predigten selbst ausführlich über diese zentrale Unterscheidung: Wer gehört zur Umma (der muslimischen Gemeinschaft), wer ist durch „Schutzvereinbarungen“ oder andere Regelungen abgesichert, wer steht auf der anderen Seite und ist letztendlich ein „Feind“ und damit „antastbar“? Er sprach darüber in einem Land, das er als feindlich begriff, in einer Situation, die für ihn durch „Schwäche“ des Islam gegenüber dem Westen charakterisiert war, in einer scharfen Abgrenzung auch gegenüber einem muslimischen Mainstream, wie ihn der von Saudi-Arabien geförderte Fernsehsender al-Iqra repräsentiert.

Die Logiken seines Räsonnements werden deutlich erkennbar – der flexible Bezug auf die unterschiedlichen Traditions- und Autoritätsebenen im Islam, und schließlich der ironische Rückzug auf einen Dezisionismus, der auch islamische Gebote umgehen kann: „Gott weiß es besser“, ist die letzte, unhintergehbare Formel.

Manfred Zapatka spielt dabei niemals die Rolle von Fazazi. Er spricht nur dessen Worte. Das Sprechen ist zugleich Bericht, zu dem Zapatka mit seinem Laien-Arabisch auch noch die Fußnoten der Übersetzer hinzufügt. In jeder Hinsicht geht es um Übermittlung ohne persönliche Teilnahme. Der Schauspieler macht sich zum Gefäß einer Rede, aus der er ursprünglich strukturell ausgeschlossen war – weder als Sprecher noch als Adressat kamen Zapatka oder Karmakar in Frage. Aus dieser Tatsache leiten sie die Berechtigung ihres Films ab.

Hätte man die Originalaufnahmen von Mohammed Fazazi untertitelt und zugänglich gemacht, wäre es mit den Projektionen sofort losgegangen: physiognomische und phonetische Wahrnehmung wirken tief im Unbewussten. Karmakar hingegen wollten ganz offensichtlich alles Latente manifest machen, der in die eigene Sprache übersetzte und auf diese reduzierte Diskurs ist für ihn der Königsweg. Dass dies ein zutiefst den Einseitigkeiten der europäischen, neuzeitlichen Rationalität (der Moderne!) verpflichtetes Konzept ist, ist der blinde Fleck der „Hamburger Lektionen“. Von Himmlers düsterer Rede aus dem Jahr 1943, die nur als Tondokument überliefert ist, wäre jedes authentische Filmbild (nicht zu reden von Zwischenschnitten der beflissenen SS-Schergen) eher ein Gruselmoment als eine Erkenntnis.

Mohammed Fazazi, wie Manfred Zapatka und Romuald Karmakar ihn erschließen, ist kein „Hassprediger“ (auf diesen Begriff würde das Originalvideo unweigerlich hinauslaufen). Er ist vernünftig innerhalb seines eigenen Systems, das strukturell keine Vermittlungsinstanz mit dem System „demokratische Öffentlichkeit“ zulässt, in dem Karmakar und Zapatka operieren. Diese Ausschließung bekräftigen die „Hamburger Lektionen“ durch ihre Form ihrerseits so radikal, dass Schritte von der Übermittlung zur Vermittlung nahezu undenkbar scheinen.

BERT REBHANDL

„Hamburger Lektionen“. Regie: Romuald Karmakar. Mit ManfredZapatka, Deutschland, 135 Min.13. 2., 21.30 Uhr, CineStar 7