Ende der Entnazifizierung

Joseph Napoli, der amerikanische „Entnazifizierungsoffizier“, hat 1949 Bremen verlassen mit der Bilanz, die Entnazifizierung sei ein „Fehlschlag“ gewesen, die Bürokratie würde von denselben Kräften beherrscht „wie in den Nazijahren“. Bürgermeister Wilhelm Kaisen reagierte mit wütenden Kommentaren auf diese Bilanz. 1953 wurden die Entnazifizierungsakten geschlossen. Sie kamen für Jahrzehnte aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes unter Verschluss. Als erster Historiker konnte Hans Hesse die Unterlagen jetzt studieren. „Konstruktion der Unschuld“ heißt sein Buch, erschienen im Verlag des Bremer Staatsarchivs. Wir dokumentieren Einblicke.

Nur drei Jahre nach dem Abtritt des „Befreiungssenators“ Alexander Lifschütz bereitete der Senat das „Abschlussgesetz“ vor.

Die erste Lesung des Entwurfs in der Bürgerschaft am 23. März 1950 wurde von den Parteien auch dazu genutzt, nochmals ihren Standpunkt zur Entnazifizierung darzulegen. Für die CDU eröffnete Ernst Müller-Hermann die Debatte, indem er sogleich der Bürgerschaft zwei Änderungsanträge zum Abschlussgesetz vorlegte. Die CDU wollte eine Möglichkeit schaffen, dass „Hauptschuldige“ oder „Belastete“ die Möglichkeit erhielten, auf Antrag ihr Verfahren überprüfen lassen zu können ...

Die Begründung dieser Anträge nutzte Müller-Hermann zu einer Abrechnung mit der Entnazifizierung im allgemeinen und ihrer Praxis in Bremen. Sie habe „neue Härten und Ungerechtigkeiten“ geschaffen und sie habe „das Recht auf politischen Irrtum nicht anerkannt“. Die Entnazifizierungspraxis habe die „Demokratie in Deutschland mit einer großen Hypothek belastet“ und das Abschlussgesetz müsse daher diese Fehler „berücksichtigen“ und „vermeiden“. Zu den Fehlern gehöre auch, dass unqualifizierte Personen, „die heute noch mit der Entnazifizierung zu tun haben“ und „heute noch den Standpunkt einer Kollektivschuld vertreten, die heute noch von einem Rache- und Vergeltungsdrang beseelt sind, und die die feste Absicht haben, das Gesetz nur dazu zu benutzen, ihren Rache- und Vergeltungsgelüsten nachzukommen“ im Amt seien.

Müller-Hermann schloss hiervon Lifschütz nicht aus: „Sie wissen, dass dieser Vorwurf heute nicht zum ersten Mal erhoben wird, und dass gegen die Amtsführung von Herrn Senator Dr. Lifschütz mancherlei Beanstandungen vorgebracht worden sind.“ Er ... sei der Meinung, dass „wir Deutschland nur dann auf eine gesunde Basis stellen können, wenn wir alle die, die sich ihm anpassen wollen, ohne Klassifizierung übernehmen.“ Zum Schluss appellierte er, die „Entnazifizierung endlich und baldmöglichst zum Abschluss“ zu bringen. (...)

Auch die SPD wollte noch einige Änderungen in den Entwurf eingebaut wissen. Für sie war die Entnazifizierung misslungen, „weil man versucht hat, politische Fragen mit juristischen Mitteln zu lösen.“ Zum Entwurf wollte die SPD gesichert wissen, dass „Minderbelastete“ der britischen Zone nicht automatisch „Mitläufer“ in Bremen würden.

Schneider von der Deutschen Partei (DP) ging in jeder Beziehung über den Beitrag von Müller-Hermann hinaus. Für ihn ging „mit dem Abschluss der Entnazifizierung [...] eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte zu Ende.“ Er ging sogar so weit, das Wiederaufleben „neofaschistischer Kreise“ auf die „verfehlte Art und Weise [...], mit der diese sog. Entnazifizierung betrieben“ worden ist, zurückzuführen. Die Entnazifizierung erinnere ihn an die „mittelalterliche Inquisition und an die Hexenprozesse“. (...)

In der Senatssitzung vom 29. Juni 1951 wurde die endgültige Liquidation der Entnazifizierung beschlossen. Senator Theodor Spitta „bekannte sich“, hieß es im Protokoll, „zu der Notwendigkeit, nunmehr angesichts der gewandelten Verhältnisse durch eine Änderung dieser Praxis zum wirklichen Abschluss der politischen Befreiung beizutragen. [...] Der Senat beschloss antragsgemäß.“

Damit war der Weg frei, die höchstbelasteten Nationalsozialisten im Land Bremen gnadenweise zu „Mitläufern“ umzustufen. (...)

Es entspann sich in der Senatssitzung am 5. Oktober 1951 eine heftige Kontroverse um die Behandlung der Gestapobeamten. Finanzsenator Nolting-Hauff (FDP) war der Ansicht, dass die Rehabilitierung der Gestapobeamten nicht so weit führen dürfe, dass „irgendwelche Pensionen an ehemalige Gestapobeamte gezahlt werden. Es sei nicht vertretbar, dass Aktivisten schlimmster Sorte eine Pension vom Staat erhielten, während Leute, die durch sie ins Unglück gekommen seien, noch auf Versorgung warteten.“

Mit 5:4 Stimmen für den Vorschlag unterlagen die Kritiker im Senat. Einer teilweisen Rehabilitierung der ehemaligen Gestapobeamten stand somit nichts mehr im Weg: Sie erhielten 60 Prozent der Bezüge nach ihrer früheren Stellung bei der Kriminalpolizei, bevor sie zur Gestapo kamen. (...)

Justizsenator Spittas) bat im Juli 1952 den Senat um die Zustimmung zur Begnadigung auch der restlichen Fälle „ohne weitere Überprüfung“. „Nur dadurch könne“, so Spitta, „die praktische Gleichstellung Bremens mit Niedersachsen in der Frage der Entnazifizierung erreicht werden.“ Ausgenommen werden sollten lediglich die Fälle, die durch ein Gerichtsurteil bestraft worden waren und ihre Strafe noch nicht verbüßt hatten. (...)

Daher beschloss der Senat, „die Richtlinien, denen in der Sitzung vom 27. Mai 1952 bereits zugestimmt worden war, in dem Sinne zu bestätigen, dass nunmehr eine pauschale Begnadigung der restlichen Entnazifizierungsfälle geschehen solle, und dass nach Abschluss aller Verfahren eine entsprechende Mitteilung an die Bürgerschaft ergehen soll.“ Ausgenommen waren davon lediglich: Fritz Köster, Walter Döring und Arthur Baumeyer. Sie sollten unmittelbar nach der Verbüßung ihrer Strafhaft gnadenweise umgestuft werden. Damit fand die Entnazifizierung im Land Bremen ihren endgültigen Abschluss.