Illusionen fürs Album

Gerhard Paul hat eine große Geschichte der Kriegsbilder geschrieben. Ob historische Schlachtengemälde oder Polaroid-Fotos aus dem Golfkrieg – die Bilder sollen den Krieg sinnvoll erscheinen lassen

Bilder vom Krieg, ganz gleich ob gemalt, gefilmt oder fotografiert, scheinen einem besonderen Paradox zu unterliegen: je mehr wir von ihnen zu sehen bekommen, desto weniger wissen wir über das, was sie eigentlich zeigen. Dies ist zumindest die These des Flensburger Historikers Gerhard Paul, die er in seinem neuen Werk „Bilder des Krieges – Krieg der Bilder“ über „die Visualisierung des modernen Krieges“ ausbreitet.

Letztlich entziehe sich „der industrialisierte Krieg der Vergangenheit wie der elektronische Krieg der Gegenwart […] der bildlichen Repräsentation“. Wozu dann aber der Aufwand, so könnte man fragen, mit dem Kriege seit Anbruch der Neuzeit medial begleitet werden? Zunächst einmal dienen Kriegsbilder recht profanen Zwecken, etwa der Propaganda oder der Sicherung des Nachruhms großer Feldherren. Dies ist die Instrumentalisierung von Bildern zu Herrschaftszwecken, die die Medien spätestens im Ersten Weltkrieg zur gleichberechtigten Waffe im militärischen Kampf werden ließen.

Werden Fotos des Krieges dagegen in Schnappschussmanier von den beteiligten Soldaten gemacht, kommen sie in ihrer Funktion eher Urlaubspostkarten gleich – selbst wenn sie so grausige Motive wie die Gefolterten von Abu Ghraib zeigen. Das ist die Perspektive der populären Aneignung von Kriegsbildern.

Jenseits davon jedoch haben Bilder des Krieges eine viel weiter gehende Funktion, wie Gerhard Paul deutlich macht. Sie sind Bestandteil eines Mechanismus, mit dem die Krieg führenden Gesellschaften ein Selbstverständnis herstellen. Auf diese Weise wird im Diskurs über die Sinnhaftigkeit von Kriegen entschieden.

Kriegsbilder haben allerdings ein entscheidendes Problem: Sie stiften auch dort Sinn, wo dieser nicht vorhanden ist; sie ordnen das chaotische Geschehen der Schlacht zu einem logischen Ganzen, indem jede Einzelhandlung, jeder einzelne Tod eine Funktion zugewiesen bekommt. In Pauls Worten: „Die modernen Bildmedien Fotografie, Film und Fernsehen […] versuchten das katastrophisch antizivilisatorische Ereignis des Krieges zu einem zivilisatorischen Akt umzuformen, ihm eine Ordnungsstruktur zu verpassen, die dieser per se nicht besitzt. Auf diese Weise trugen und tragen die medial generierten Bilder des Krieges zur immer wieder neuen Illusion seiner Plan- und Kalkulierbarkeit bei.“

Mit dieser Generalthese im Rücken streift Paul durch die moderne Kriegsgeschichte und ihre Ikonografie. Die einzelnen Kapitel beziehen sich überwiegend auf jeweils einen konkreten Krieg: von Napoleons Feldzügen bis zu George Bushs „Krieg gegen Terror“.

Angegliedert ist diesen historisch einordnenden Großkapiteln jeweils ein reich bebildeter „Visual Essay“, in dem Paul die wesentlichen Kriegsbilder der jeweiligen Epoche im Detail analysiert und kommentiert. Er hat dabei stets verschiedene Ebenen im Blick: die technischen Bedingungen der Bildproduktion, den äußeren Rahmen, den die Krieg führenden Militärs etwa durch Zensurbestimmungen und Bildverbote setzen, die Entwicklung der Massenmedien, die daran angelehnte stetige Verfeinerung von Propagandastrategien und die Verknüpfung militärischer Motive mit populären Gebrauchsformen und ästhetischen Vorlieben der jeweiligen Zeit.

So konstatiert Paul etwa für den Wehrmachtssoldaten der NS-Zeit, dass dieser „als gut ausgebildeter Facharbeiter des Krieges“ porträtiert wurde, „der sich nach der Schlacht seinen Feierabend verdient hat, sich einen Schluck aus der Flasche genehmigt und sein ‚Werkzeug‘ reinigt“.

Auf seiner Tour d’horizon durch die Bildgeschichte des Krieges umkreist Paul stets einige zentrale Themen: Dürfen die Toten gezeigt werden, oder wird der Tod tabuisiert? Wie stellt man die Versorgung von Verwundeten dar, wie porträtiert man den Feind? Dabei kommt er zu durchaus überraschenden Erkenntnissen. So weist Paul nach, dass mit der modernen Bildberichterstattung eine „Demokratisierung“ von Kriegen stattfindet: Während auf früheren Schlachtengemälden vor allem die Heerführer ins rechte Licht gerückt wurden, kamen spätestens mit dem Film auch die einfachen Soldaten in den Blick.

Und: Seit der Erfindung der Fotografie entzog sich kein Krieg mehr den Blicken der Öffentlichkeit, konnte also nicht mehr im Geheimen geführt werden. Zudem stellt Paul fest: Die Bilder überlagern mittlerweile den realen Krieg, sodass der Erfolg militärischer Kampagnen weniger an ihrem wirklichen Verlauf als an ihrer medialen Interpretation gemessen wird. Man denke nur daran, wie 1972 Nick Uts Bild des napalmverbrannten Mädchens Kim Phuc die Wahrnehmung von Vietnam als schmutzigem Krieg geprägt hat.

Gerhard Paul hat ohne Zweifel ein großes und wichtiges Buch geschrieben, das schnell zum Standardwerk werden wird. Die Analyse hätte allerdings mitunter schärfer sein können – etwa bei der Unterscheidung der propagandistischen Strategien des Militärs von den journalistischen Darstellungstechniken der Kriegsberichterstatter.

Auch die konkreten semiotischen Analysen einzelner Bilder bedürften der Präzisierung. So manche Wiederholung im Text fällt störend auf, dazu gehört der häufig bemühte Topos des „Einswerdens von Kamera und Waffe“. Solche Unschärfen sind aber bei einem Großwerk wie dem von Gerhard Paul nur schwer zu vermeiden.

THYMIAN BUSSEMER

Gerhard Paul: „Bilder des Krieges. Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges“. Ferdinand Schöningh/Wilhelm Fink, München/ Wien 2004, 528 Seiten, 49,90 Euro