Unbekannter Gast

BESUCH Als Kandidat und Heilsbringer zum Anfassen zog Barack Obama 2008 in Berlin die Massen in seinen Bann. Als US-Präsident kehrt er nun zurück. Ist er noch einer von uns?

■ From dusk to dusk: Heute gegen 20 Uhr landet die Air Force One mit Barack Hussein Obama nebst Familie, Polit-Entourage und Sicherheitsklimbim in Tegel. Von da aus geht’s ins Ritz Carlton am Potsdamer Platz. Erst am Mittwoch beginnt der US-Präsident sein eng getaktetes Berlin-Programm: Erst Humtata am Schloss Bellevue, dann Gespräch und Lunch mit Angela Merkel. Um 15 Uhr epochale Rede (mindestens) vor 4.000 Gästen auf dem Pariser Platz. Peer Steinbrück darf mal für die Fotografen im Hotel vorbeischauen. Großes Dinner im Schloss Charlottenburg, Verdauungsschlaf anschließend auf dem Nachtflug zurück nach Washington.

■ No way: Obama ist der wichtigste Mensch der Welt (mindestens), deshalb gilt während seiner Anwesenheit die extreme Sicherheitsstufe „1+“. Wo Obamas monströse Limousine unterwegs ist, bleibt Staatsgeheimnis, aber die Polizei rät, die Innenstadt weiträumig zu umfahren. Leichter zu verschmerzen als die Umleitung vieler Busse dürfte die Sperrung der U55 zwischen Hauptbahnhof und Brandenburger Tor sein. (taz)

Obama und das Foto des Jahres

So hohen Besuch bekommt man ja selten zum eigenem Geburtstag. Schon deshalb war klar: Wenn sich dieser junge, Hoffnung verheißende, smarte, lässige, coole, linke Präsidentschaftskandidat herablässt, zu meiner Feier eine Rede zu halten, dann muss ich da auch hin. Was er damals gesagt hat? Vergessen. Wie er sich präsentiert hat? Keine Ahnung, es war so voll, dass ich nur die Bäume des Tiergartens sah, nicht den Kandidaten. Was im Kopf gelieben ist? Dieses eine Agenturfoto, das später in mehreren Zeitungen erschien: vorn ganz klein Barack Obama, winkend. Der Rest des Bildes randvoll mit Menschen, die tatsächlich nicht applaudieren, sondern eine Digitalkamera hochhalten, um Obama zu fotografieren.

Ein Moment, der sich nicht wiederholen lässt. Erstens dürfen die Massen ohne Einladung diesmal nicht kommen. Zweitens hätten sie heute alle Smartphones statt Kameras in der Hand. Drittens weiß jeder, dass Obamas Geheimdienst all die so entstehenden Onlinefotos filtern würde – was weder smart noch lässig noch links ist. Und viertens hat sich Obama im Termin gerirrt. Ich hab doch erst im Juli Geburtstag. Da muss ich dieses Mal also nicht hin.

GEREON ASMUTH

Warum gibt es keine US-Merkel?

Konnten die nicht einfach mal still sein? All die Nörgler, die sich über Obama, sein Pathos, seine Jünger lustig machten? Immerhin stand den USA Großes bevor: die Überwindung der Bush-Ära und der Neubeginn mit einem schwarzen Präsidenten. War da nicht ein bisschen Pathos erlaubt – inklusive dem Handyfoto bei Obamas Auftritt an der Siegessäule?

Fünf Jahre später, das gebe ich zu, würde ich nicht mehr hingehen. Wahrscheinlich weiß es das Weiße Haus längst, auch wenn ich dazu noch nichts gepostet habe. Eine öffentliche Rede ist nicht vorgesehen. Bitte kein Vergleich mit 2008. Obama wäre ein Verlierer.

Ein Heilsbringer war er nicht für mich. Auch die schnelle Enttäuschung über seine magere Bilanz konnte ich nicht verstehen. Aus dem Popstar war ein Präsident geworden, dem die Republikaner ordentlich zusetzten. Deshalb habe ich mich über seine Wiederwahl gefreut.

Wahrscheinlich würde ich auch über Prism nur mit den Achseln zucken, wäre da nicht dieses Pathos gewesen. Yes we can. Nun heißt es: Yes we scan. Zu Recht.

Warum gibt es keinen deutschen Obama, haben vor fünf Jahren viele gefragt. Vielleicht müsste man heute fragen: Warum gibt es keine amerikanische Angela Merkel? UWE RADA

Geträumt von einer besseren Welt

Ich bin stocksauer auf Barack Obama – aber nur, weil er mich nicht zu seiner Rede eingeladen hat. Im Ernst: Ich würde wieder hingehen, genauso gern wie 2008. Man sollte seine damaligen Versprechungen nicht mit den Wünschen seiner deutschen Fans verwechseln. So hat Obama nie ein pazifistisches Programm entworfen. Auch 2008 in Berlin sagte er nur, dass der Irakkrieg falsch gewesen sei und er den Kampf gegen Terroristen in Afghanistan und Pakistan wichtiger finde. Gesagt, getan. Bei den internationalen Problemfällen Libyen, Syrien und Iran hat sich Obama eher zögerlich verhalten. Zum Glück. Und Guantánamo!? Ja, er versprach das Lager schnell zu schließen. Allein, er fand und findet dafür keine Mehrheit im US-Kongress. Ebenso wenig wie für soziale Pläne. Das ist sein Problem, nicht seine Schuld. Ich gebe zu: Ich habe an jenem warmen Juliabend 2008 auch vor mich hin geträumt – von einem Mann, der die USA und die Welt ein klitzebisschen verbessern könnte. Der sich eher für die Homo-Ehe und eher gegen freien Waffenhandel ausspricht. Und der im Zweifel kompromissbereiter auftritt als andere Präsidenten. All das tut er. LUKAS WALLRAFF

Spaß mit Pathos und Utopie

Obama, das war dieses stecknadelkopfgroße Etwas vor der Siegessäule. Wir kamen nicht wirklich nah an ihn heran an jenem Julitag vor fünf Jahren. Trotzdem war es gut, dabei zu sein. Die Erleichterung darüber, dass die drückende Bush-Ära bald ein Ende haben würde, war zum Greifen. Es machte Spaß, Obama zuzuhören. Wie er redete. Dieses Pathos, das hierzulande kaum jemandem über die Lippen kommt. Was er redete. Er sprach von einer atomwaffenfreien Welt. Was für eine Utopie!

Sicher, auch heute ist die Welt weit davon entfernt, atomwaffenfrei zu sein. Viele von seinen Versprechen hat Obama nicht eingelöst. Trotzdem wäre ich gerne wieder in den Tiergarten gegangen. Wegen des Pathos, das ich ihm – immer noch – abnehme. Für jedes halbwichtige Fußballspiel wird auf dem 17. Juni eine Festmeile aufgebaut. Schade, dass das für so ein politisches Event nicht passiert.

ANTJE LANG-LENDORFF

Korsett und gezielte Tötungen

Wer von Obama richtig enttäuscht ist, hatte die falschen Erwartungen. Er oder sie hat sich blenden lassen von messianischer Rhetorik und bestechendem Charisma. Es gibt keinen zweiten Politiker, der Worte so zum Leuchten bringt wie Obama. Aber in der Realpolitik gibt es kein Heil, dort zählt nicht das bessere Argument, dort regieren Zwänge. In diesem Korsett hat Obama einiges erreicht, vor allem die Gesundheitsreform, an der Clinton kläglich gescheitert war. Die Bankenregulierung hat er mit angezogener Handbremse betrieben, mag sein, weil Republikaner und Wall Street zusammen unbesiegbare Gegner wären. Der Malus des Friedensnobelpreisträgers ist, dass er den Krieg gegen den Terror nicht beendet, sondern unsichtbar gemacht hat. Und damit noch gefährlicher, unberechenbarer. Kann sein, dass er als Präsident in die Geschichte eingeht, der den Krieg strukturell stärker entgrenzt hat als George W. Bush mit dem manipulierten Angriffskrieg auf den Irak. Mit der Praxis der gezielten Tötungen durch Drohnen hat Obama einen rechtsfreien Raum geschaffen, der kaum wieder zu schließen sein wird. Das ist dann doch ein Grund, enttäuscht zu sein.

STEFAN REINECKE