Nachdenken in der Idylle

Die dänische Regierung versucht mit diplomatischer Offensive die Wogen zu glätten. Selbstkritik wächst in den Medien und der Bevölkerung

AUS ODENSE REINHARD WOLFF

Hans Christian Andersens Geburtsort Odense ist Dänemarks drittgrößte Stadt. Sie ist idyllisch und würde bestens auf die Titelseiten von Touristenbroschüren passen. Dass Dänemark einer halben Welt plötzlich nicht mehr als Synonym für Idylle gilt, sondern als Hort islamischer Gotteslästerung, prägt die Stimmung auch in Odense. „Wir haben eine lebensgefährliche Regierung“, murmelt ein älterer Herr kurz angebunden vor einem Supermarkt und fügt hinzu: „Ich hab sie nicht gewählt, hoffentlich wachen die anderen jetzt auf.“

Eine Mittfünfzigerin, die mit einer etwa gleichaltrigen Frau aus dem Laden kommt, lässt sich gerne auf ein Gespräch ein. „Ich hab das gerade mit meiner Nachbarin diskutiert“, deutet sie auf diese: „Ich muss sagen, wir haben das ehrlich nicht gewusst. Dass das so wichtig ist für Muslime mit Mohammed-Bildern und so.“ Die andere Frau wirft ein: „Ja, es muss sich etwas ändern. Die ganze Zeit hat die Regierung gesagt, dass das Ausland uns bloß nicht versteht und wir unser Ausländerproblem bestens im Griff haben. Ich meine aber, es wird Zeit, dass wir uns an die eigene Nase fassen und fragen, warum uns plötzlich so viele kritisieren.“

Die Momentaufnahme in Odense spiegelt wider, was Meinungsforscher ermittelt haben. Bei der Frage, ob arabische Medien, extreme Imame, Teile der dänischen Presse oder der sture Ministerpräsident Rasmussen die Verantwortung für die Eskalation der Wut in der islamischen Welt tragen, verschiebt sich in den letzten Tagen das Schwergewicht langsam von den beiden Erst- auf die beiden Letztgenannten. Ein Schlaglicht auf die Stimmung in Dänemark wirft vielleicht die Tatsache, dass alle Versuche der Konservativen, antiislamische Protestaktionen zu starten, bislang ohne Echo geblieben sind.

Die Mediendebatte dreht sich in Dänemark nicht wie derzeit in vielen anderen europäischen Ländern um die Frage der Meinungsfreiheit. Diese Debatte war schon im Herbst im Anschluss an die im Ausland kaum beachtete Veröffentlichung der Karikaturen geführt worden. Fast einmütiges Resultat: Die Veröffentlichung der Mohammed-Zeichnungen war natürlich durch die Pressefreiheit gedeckt. Dies hat mittlerweile auch die Justiz bestätigt. Die Meinungsfreiheit in Dänemark ist umfassender als in den meisten europäischen Ländern und deckt beispielsweise auch die Veröffentlichung von Nazisymbolen. Heiß diskutiert wird demgegenüber die Frage von Verantwortung und Macht bei Ausübung der Pressefreiheit. „Voltaire hat nach oben getreten, Jyllands-Posten nach unten“, nahm ein TV-Kommentator Bezug auf den jetzt gern zur Verteidigung des Karikaturennachdrucks in Anspruch genommenen französischen Philosophen.

Keine dänische Zeitung druckte im Übrigen bisher diese Karikaturen nach. Auch nicht die im gleichen Konzern wie Jyllands-Posten erscheinende liberale Politiken. Die in einem Kommentar in ihrer Freitagsausgabe ihre Haltung bekräftigte: „Es dreht sich bei dieser Sache nicht in erster Linie um Meinungsfreiheit.“ Noch am Mittwoch hatten die 12 Zeichner versucht, einen Nachdruck ihrer Karikaturen in anderen Blättern zu stoppen.

Auf politischer Ebene verstärkte die Regierung in Kopenhagen ihre diplomatischen Bemühungen. Man hält jetzt Gesprächsbereitschaft für angezeigt, die man vor zwei Monaten brüsk abgewiesen hatte, als Botschafter arabischer Ländern in Bezug auf die Karikaturen ausdrücklich darum baten. Offenbar im Bemühen, diese Kursänderung nicht allzu deutlich werden zu lassen, hatte Ministerpräsident Rasmussen kurzerhand die Botschafter aller in Kopenhagen akkreditierter Länder zu einem Treffen geladen. Die Dänische Volkspartei, Mehrheitslieferant der Regierung, heizt dagegen weiter ein. Sie will alle Imame des Landes verweisen, die im jetzigen Konflikt „dänische Interessen geschädigt“ hätten.