zwischen den rillen
: Im Mittelpunkt von Irgendwo

Große Wörter in soliden Songs: Tomte erteilen mit der neuen Platte „Buchstaben über der Stadt“ Lektionen in Pathos

Ein Umzug ist nichts Besonderes, ein Umzug nach Berlin schon einmal gar nicht, wie ganze Landstriche Schwabens, Bayerns oder des Rheinlands bezeugen können. Neu ist, dass nach dem Niedergang Kölns die einzige ernst zu nehmende Konkurrenz, nämlich Hamburg, unter dem Wegzug ihrer „stärksten und schönsten Söhne“ (wie es in dem Tomte-Song „Was den Himmel erhellt“ heißt) zu leiden hat. Hieß es früher, dass alles, was malt, in Köln haust, alles, was schreibt, sich in Berlin sammelt, und alles, was vernünftige Musik machen möchte, nach Hamburg zieht, so scheinen diese Zeiten passé: Nach entscheidenden Teilen der wichtigsten Band dieses Landes, Tocotronic, sind jetzt auch vier Fünftel Tomte von Hamburg nach Berlin gezogen.

Klar, dass so ein Umzug nicht ohne Abschiedsplatte mit Wink in die Zukunft abgeht. Die Erwartungen an „Buchstaben über der Stadt“, der insgesamt vierten Platte von Tomte, waren entsprechend hoch. Das Gemauschel nach dem ersten Hören war ebenfalls nicht ohne: Von neuer „Gefühligkeit“ war die Rede, gar von „Kettcarisierung“. Tatsächlich bietet die Platte musikalisch nicht viel Neues. Sie ist nett, bleibt aber hinter dem guten Vorgänger „Hinter all diesen Fenstern“ zurück. Der Hang zu Wehmut und ausgedrückter Tristesse ist einem Hang zu Überschwang, Kitsch und Glätte gewichen.

Neue Lektionen in Pathos: Zwischen großen Wörtern (Himmel, Wolken, Sturm, Schatten, Sonne, Licht, Herz) macht sich Emphase breit, wie in den schlichten Liebesliedern „Ich sang die ganze Zeit von dir“ oder der fast schönen Schlussballade „Geigen bei Wonderful World“. Manchmal aber nur schlierige Diffusität. Da werden Katzennamen lustig gefunden und Reisen besungen oder von erhabenen Momenten erzählt. Manchmal ziemlich verklärt (bei der Liebe im hohen Alter zum Beispiel ist alles aus Gold), meistens ziemlich verklärend und selten nachvollziehbar. Und alles im Griff der im bekannten Stil konstant und solide daherrockpoppenden Band.

Der große Schritt für Tomte fand tatsächlich mit „Hinter all diesen Fenstern“ statt. Ein Album voller Hymnen, wehmütig und vollmundig, groß und offen. Wem die „Fenster“ nicht gefallen haben, der oder die wird mit den „Buchstaben“ erst recht Schwierigkeiten bekommen. Alle anderen können sich entscheiden, ob das neue, leicht unreflektierte Pathos wie in „Warum ich hier stehe“ („Die Sonne scheint so oder so/ Die Wolken entscheiden, ob du sie siehst“) besser die eigene Lebenslage ausdrückt als das transzendente Pathos in Stücken wie „Ich und mein Hund“ (das Stück mit dem definitiven Satz zu jeder Form von Beziehung: „Endlich etwas, das länger als vier Jahre hält“). Ein Slogan oder ein Purzeln aus allen Wolken.

Das entscheidende Stück der neuen Platte ist „Was den Himmel erhellt“: eine Erklärungshymne in Richtung in Hamburg Hinterbliebene, eine Selbstdarstellung im Rückblick: „Ich habe mich mit Gott geprügelt/ ich habe dem Mond gesagt, was mir nicht passt.“ Für die Selbstüberhöhung sind Männer wie Marcus Wiebusch (Kettcar) oder Thees Uhlmann (Tomte) ja berüchtigt. Der Erfolg, zuletzt mit dem Film „Keine Lieder über Liebe“, schien den beiden Freunden und Geschäftspartnern nicht nur Recht zu geben, sondern machte ihr Reden bzw. Singen erst wahrhaftig: Die Position ist da, also greift man gern zu einem „Wir“, das unbewusst alles andere ausschließt. Man fühlt sich als Mittelpunkt von irgendetwas, einer Liebe, einer Stadt, einer Welt. Heraus kommen Schönheiten wie „In der Stadt mit Loch …“ („New York“), aber auch Stilblüten wie „Du flehst in Telefone/ mit in den Himmel gereckter Hand“. Wenig Zwischentöne, viel Grobmalerei. Es wird halt schwierig, wenn der Stil beginnt, sich selbst zu feiern. Uhlmanns immer mehr leiernder und in die Breite gezogener Gesang tut da schnell ein Übriges.

Bevor Missverständnisse aufkommen: Natürlich bleibt Tomte eine gute Band. Die hohen Erwartungen kann ihre neue Platte, die endlich den totalen Durchbruch in die Charts und TV-Sendungen bringen soll, allerdings nicht erfüllen (noch etwas, was sie mit der letzten Kettcar-LP gemein hat). „Es leuchten Buchstaben über der Stadt/ die mich zum Mann gemacht hat“ ist zwar ein erhabenes Gegenfazit zum mitlaufenden Fehlfarbenverweis. Schaut man jetzt auf den Himmel über Berlin, ist der Grauschleier allerdings immer noch nicht weggewaschen.

Gespannt darf man sein, wie Tomte auf die neue Stadt, auf das neue Umfeld reagieren werden. Auf das genuin (West-)Berliner Gesamtwerk von Mutter zum Beispiel oder auf das von Stereo Total. Oder auf neuostdeutsche Bands wie NMFarner, wobei gesagt werden muss, dass die Position einer guten Neuostberliner Band ja immer noch vakant ist. Besonders gespannt aber darf man auf die neue Blumfeld-Platte sein, die als Nächstes ansteht. Es geht besser. RENÉ HAMANN

Tomte: „Buchstaben über der Stadt“ (Grand Hotel Van Clef)