Daniel Bahrs Politik wird zu einem Pflegefall

SOZIALVERSICHERUNG Der Pflegebeirat der Bundesregierung sollte Vorschläge erarbeiten, wie Demenzkranken besser geholfen werden kann. Doch er weigert sich. Grund: Der Gesundheitsminister macht keine Finanzzusagen

VON HEIKE HAARHOFF

BERLIN taz | Demenzkranke in Deutschland werden vertröstet. Mit höheren Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung jedenfalls können sie vorerst nicht rechnen: Der Pflegebeirat der Bundesregierung hat beschlossen, keinerlei konkrete Finanzierungsszenarien zu empfehlen, mit denen sich die derzeitige Ungleichbehandlung von geistigen gegenüber körperlichen Einschränkungen im Leistungsrecht abschaffen ließe.

Das geht aus einem vertraulichen Entwurf für den „Bericht des Expertenbeirats zur konkreten Ausgestaltung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs“ hervor, der am Freitag an die mehr als 50 Mitglieder des Beirats verschickt wurde und der taz vorliegt. In dem 218-seitigen Papier heißt es: „Die Beispielsrechnungen verstehen sich […] als analytische Werkzeuge zur Unterstützung der gesetzgeberischen Entscheidung über ein neues Leistungsrecht, ohne dass der Expertenbeirat sich ausdrücklich für ein Beispiel oder eine Kombination entscheidet.“ Das Problem der Leistungsgerechtigkeit in der Pflegeversicherung bleibt damit ungelöst.

Der Bericht soll voraussichtlich am 24. Juni Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) übergeben werden. Er gilt als Messlatte für die schwarz-gelbe Pflegepolitik. Dem Beirat sitzen der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller (CSU), sowie der Exchef des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenkassen, Klaus-Dieter Voß, vor. Im März 2012 hatte die Regierung ihn beauftragt, zu klären, wie die schon seit sieben Jahren von der Politik versprochene Gleichbehandlung körperlicher und geistiger Einschränkungen im Leistungsrecht umgesetzt werden könnte.

„Inhaltsleere Frechheit“

Als Grundlage diente dem Gremium ein Bericht des Pflegebeirats der Vorgängerregierung aus dem Jahr 2009. Bahr betonte stets, dass nur noch kleinere Schritte zur Umsetzung fehlten. Doch der neue Beirat ist an seiner Aufgabe gescheitert: „Wir werden eine inhaltsleere Frechheit überreichen, ohne dass ersichtlich wird, was für die Pflegebedürftigen dabei herumkommt“, sagte ein enttäuschtes Mitglied der taz. Schuld, das hatte der Vorstand des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenkassen, Gernot Kiefer, vorige Woche in der taz kritisiert, habe der Bundesgesundheitsminister. Denn er habe sich geweigert, zu benennen, wie viel Geld für die Unterstützung der Pflegebedürftigen aus der Pflegeversicherung zur Verfügung stehen solle. Ohne diese „politische Wertentscheidung“, so Kiefer, könne keine vernünftige Verteilung über die verschiedenen Gruppen von Pflegebedürftigen erfolgen.

In dem Pflegebeiratsbericht spiegelt sich dieser Konflikt wider: So spricht sich der Beirat zwar für die Abschaffung der bisherigen drei Pflegestufen aus und fordert eine kleinteiligere Staffelung in künftig fünf Stufen. Welche Leistungen in welchem Umfang aufgrund welcher Bemessungskriterien und welcher Relationen zueinander diesen Pflegestufen zugeordnet sein sollen, bleibt jedoch offen.

Mit Sprengkraft

Zum tatsächlichen Aufwand bei Demenzkranken oder dazu, was sinnvolle Leistungsbeträge sein könnten, steht im Bericht nichts. Die Autoren stellen nur lapidar fest: „Es gibt eine Vielzahl an Argumenten und empirischen Hinweisen dafür, dass der Gesamtaufwand für Pflege und Betreuung mit den Pflegegraden ansteigt. Dies gilt für die häusliche und für die vollstationäre Versorgung.“

Die wenigen konkreten Vorschläge des Berichts dagegen haben Sprengkraft. So sollen die bislang eigenständig finanzierten „zusätzlichen Betreuungskräfte“ in Pflegeheimen in das normale Entgelt einbezogen werden. Für demenzkranke Heimbewohner brächte das Nachteile gegenüber der heutigen Versorgung. Pflegeexperten ärgert auch, dass der Zugang zu Leistungen weiterhin an die Prognose gekoppelt werden soll, dass der Pflegebedürftige „voraussichtlich mindestens 6 Monate pflegebedürftig“ sein wird. Wer nach einem Krankenhausaufenthalt nur kurzzeitig pflegebedürftig, aber dringend auf Hilfe angewiesen ist, wird von den Leistungen ausgeschlossen.

2,4 Millionen Betroffene

Derzeit erhalten rund 2,4 Millionen Menschen in Deutschland Leistungen aus der Pflegeversicherung. Für alle bereits jetzt Pflegebedürftigen müsse ein „Bestandsschutz“ gelten, fordern die Autoren des Berichts. Verschlechterungen dürfe es nicht geben. Ändern wird sich so schnell ohnehin nichts: Das Bundesgesundheitsministerium hat bereits erklärt, dass der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff in dieser Legislaturperiode nicht mehr eingeführt wird.