„Ich wollte nicht stigmatisieren“

SCHWESTERNMORD Der Spielfilm „Die Fremde“ (Panorama Special) handelt von familiärer Gewalt unter türkischen Migranten. Ein Gespräch mit der Regisseurin Feo Aladag

■ 1972 in Wien geboren, lebt in Berlin. Neben der Schauspielausbildung studierte sie Kommunikationswissenschaften und Psychologie. Sie ist Mitgründerin der Independent Artists Filmproduktion

INTERVIEW INES KAPPERT

„Die Fremde“ heißt Umay und lebt mit ihrem Mann in der Türkei. Ihr Mann schlägt sie und ihren Sohn. Sie flüchtet zu ihren Eltern nach Berlin. Als ihr Sohn zurückgebracht werden soll, verlässt sie ihre Eltern. Die Familie einigt sich, Umay umzubringen.

taz: Frau Aladag, in Ihrem Film geht es um einen Schwesternmord, und wir sehen viele weinende Männer. Warum?

Feo Aladag: Alle Figuren in meinem Film sind in schweren Konflikten befangen. Auch die Männer. Das führt zu Sprachlosigkeit, zu hilflosen Aktionen, zu Gewalt und auch zu vielen Tränen. Ich wollte unbedingt wegkommen von der Stigmatisierung eines Geschlechts oder einer Ethnie. Stattdessen wollte ich zeigen, wie sehr auch der Vater unter dem Zwang zur „Ehre“ leidet. Die verlangt nichts anderes als: Bringt mir zuliebe eure Kinder um.

Deshalb versucht die Chefin von Umay den Vater zur Vernunft zu bringen, indem sie ihn ermahnt: „Warum schützt du deine Söhne nicht?“

Genau. Wobei es mir schon vor allem darum ging, das Innenleben von Umay zu erzählen.

Bleiben wir bei den Männern. Warum wird die Entwicklung vom netten Bruder zum mörderischen Retter der Familienehre nicht stärker gezeigt?

Ich möchte nicht alles auserzählen. Aber bis der kleine Bruder seine Schwester zum ersten Mal ohrfeigt, dauert es ziemlich lange. Da zeigt sich schon eine Entwicklung zur Gewalt. Außerdem ist es bedrohlicher, wenn der zunehmende Druck weder dekodiert noch bebildert wird, sondern wenn er einfach anwächst.

Die Brüder und der Vater sehen aus, wie Leute in Kreuzberg eben aussehen, ganz normal. Laufen Sie nicht Gefahr, alle männlichen Türken unter Generalverdacht zu stellen? Wir merken es euch nicht an, aber am Ende seid ihr eben doch alle tickende Zeitbomben?

Das hoffe ich nicht. Ich erzähle ja eine ganz spezifische Geschichte, die aber einen universellen Kern hat, der uns alle betrifft. Es geht um das Recht, geliebt werden zu wollen, so wie man ist, es geht um bedingungslose Liebe.

Warum nehmen Sie dann so ein Extrembeispiel wie Schwesternmorde? Sind Sie da nicht immer schon mittendrin im „Türkenklischee“?

Weil mich die psychologischen Mechanismen interessieren, die zu diesem Extrem führen. Dann muss man auch dieses Extrem behandeln dürfen, das es ja gibt. Außerdem: Meine Hauptfigur ist in Deutschland geboren, sie ist eine Deutsche mit türkischem Hintergrund. Sie ist keine Fremde und doch wird sie ständig zu einer gemacht. Mit dieser Ambivalenz spielt auch der Titel. Wenn ich mein Gegenüber wirklich ernst nehme, dann darf ich auch die Dinge auf den Tisch legen, die schieflaufen. Wenn man aber der türkischen Minderheit grundsätzlich skeptisch begegnet – und das tut die deutsche Mehrheitsgesellschaft –, dann wird jede Kritik zum Abbruch des Dialogs führen.

Eine mutige Stelle fand ich, als Umay nicht mehr nur als Bedrohte und Leidtragende gezeigt wird, sondern auch selbst einen Fehler machen darf. Sie will nicht einsehen, dass sie sich von ihrer Familie fernhalten muss, will sie überleben, und taucht mit ihrem Sohn bei der Hochzeit ihrer Schwester auf.

„Wenn ich mein Gegenüber wirklich ernst nehme, darf ich die Dinge auf den Tisch legen, die schieflaufen“

Ja, dieser Drang zurück in die Familie ist total unvernünftig. Und es war Wahnsinn, was während des Drehs dieser Szene passierte. Wir hatten 300 Komparsen in dem Neuköllner Hochzeitsaal, es war sehr heiß und die Leute wollten nach Hause. Als Sibel Kekilli dann ihre Rede hielt, waren viele so berührt, dass sie ihr einfach Taschentücher hingehalten haben. Was für uns natürlich ein Problem war, weil wir keine Tempos im Bild brauchen konnten. Da haben wir wieder gemerkt, wir machen etwas, das wirklich in der Gefühlsrealität „da draußen“ verankert ist.

Die Innenräume der türkischen Wohnung sind alle dunkel, die Einrichtung kann spielend mit jedem Gelsenkirchner Barock mithalten. Die neuen Freunde von Umay sind alle blond, die Räume, in denen sie sich bewegen, sind weiß gestrichen. Warum dieser scharfe Kontrast?

Ich habe in jedem Bereich mit Gegensätzen gespielt, das stimmt. Und es ging uns um einen Verlauf, um ein allmähliches Hinausgehen. Dass die Freunde dann blond waren, war nicht beabsichtigt, sondern einfach Besetzungsfragen geschuldet.

War es schwierig, die Brüder und den Vater zu besetzen?

Überhaupt nicht. Ich war überrascht, wie groß das Bedürfnis ist, das Problem der familiären Gewalt anzusprechen. Settar Tanriögen, ein bekannter türkischer Arthouse-Schauspieler, der den Vater spielt, sagte beim Casting zu mir: „Wenn ich meiner Tochter nicht so einen Film hinterlassen kann, was soll ich ihr dann von meinem Beruf hinterlassen?“