Mehr als Schweigecents

Die Initiative will mehr als ein Entschuldigungsgeld, das die Opfer ruhig stellt. Sie möchte umfassende Forschung

Christen wie Juden und Muslime sind vertreten, das gibt der Initiative eine breitere Basis

VON PHILIPP GESSLER

Heute tritt in Berlin eine Initiative an die Öffentlichkeit, die eine Entschuldigungsgeste einfordert für die wohl größte Menschenrechtsverletzung in der Geschichte der Bundesrepublik: die Verfolgung von Homosexuellen. Die hochkarätig besetzte Initiative Queer Nations fordert, dass sich dieser Staat offiziell für das Leid entschuldigt, das er in einer beschämenden Tradition mit seinem diktatorischen Vorgängerstaat homosexuellen Frauen und Männern über Jahrzehnte angetan hat.

Die Frauen und Männer der Initiative lehnen das geplante Denkmal für die im NS-Reich ermordeten Homosexuellen im Berliner Tiergarten nicht ab – aber sie wollen etwas anderes: Ein lebendiges Mahnmal, das den Blick eher auf die Gegenwart und Zukunft als auf die Vergangenheit richtet. Eine Denkfabrik soll entstehen, eine Erinnerungs- und Forschungsstätte, die international und interdisziplinär das Gestern, Heute und Morgen der Homosexualität durchdringt. Die historische, soziologische und politologische Forschung zum Thema soll hier ihren Platz finden. Dies soll auch in der Tradition von Magnus Hirschfeld (1868–1935) stehen, dessen renommiertes Berliner Institut für Sexualwissenschaft die Nazis 1933 plünderten.

Nun sind solche Initiativen schön und gut – aber die meisten überleben gerade mal die Zeit, die es dauert, den Caffelatte erkalten zu lassen, der bei solch großem Ideen-Entwerfen gern getrunken wird. Anders bei dieser Initiative: Innerhalb eines Dreivierteljahres gewannen die Initiatoren, darunter die Göttinger Kulturwissenschaftlerin Tatjana Eggeling und der taz-Redakteur Jan Feddersen, namhafte Unterstützer. Dazu gehören neben erwartbaren Namen wie Maren Kroymann (Kabarettistin), Alfred Biolek (Fernsehmoderator) und Martin Dannecker (Sexualwissenschaftler) auch überraschendere Persönlichkeiten: etwa die Menschenrechtlerin Seyran Ateș, der Militärhistoriker und Oberstleutnant der Luftwaffe, Peter Popp, und Hermann Simon, der Leiter des Centrum Judaicum in Berlin.

Außerdem haben Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und sein Wissenschaftssenator Thomas Flierl (Linkspartei) ihre Unterstützung zugesagt. Im Bundestag haben einzelne Abgeordnete der SPD, FDP und sogar der CDU ihre Hilfe zugesichert – denn nach den Wünschen der Initiatoren soll die geplante Forschungsstätte mit einem Bundestagsbeschluss installiert werden. Ausgerechnet die Grünen aber zögern noch. Offenbar trauern sie dem geplanten Projekt einer Magnus-Hirschfeld-Stiftung nach, das sie unterstützt hatten. Diese Stiftung war im Juni 2002 per Gesetz installiert worden, scheiterte aber später im Bundesrat, weil ihr eine zu große Nähe zu Rot-Grün unterstellt wurde. Fünfzehn Millionen Euro waren für das Projekt vorgesehen.

Auch auf dieses Geld haben die Initiatoren von Queer Nations ein Auge geworfen. Sie sehen es nicht zuletzt als eine Geste des Ausgleichs für eine historische Schuld: der Verfolgung von Homosexuellen in der Bundesrepublik nach Nazirecht gemäß dem Paragrafen 175 bis zum Jahr 1969 (siehe Kasten).

Zu erreichen, dass diese Schuld öffentlich eingestanden wird, wird lange dauern, wie die Queer-Initiatoren freimütig zugeben. Die Forderung nach einer Forschungsstätte, die ja immer weiter Geld kostet, dürfte eine Verwirklichung des Projekts in die Zukunft rücken. Der Pressesprecher und Geschäftsführer des Projekts, Jörg Litwinschuh, räumt denn auch ein, dass die Stätte komplett wohl erst im nächsten Jahrzehnt stehen wird. Und dass sie wohl eine zweistellige Millionensumme kosten wird, weil etwa drei Dutzend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dort tätig sein sollen.

Die Schwierigkeiten wollen die Initiatoren überwinden, indem sie das Projekt mit Hilfe einer intensiven öffentlichen Debatte zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe machen. Sie soll „ein patriotisches Unterfangen“ sein, wie es arg schwülstig in einer Broschüre der Initiative heißt. Dazu gehört, dass Queer Nations Unterstützung in allen politischen Lagern sucht – nicht zuletzt in der Union, die sich mit dem Thema Homosexualität stets schwer tut.

Die Initiatoren wünschen sich eine Geste des Ausgleichs für eine historische Schuld

Und noch ein weiterer Kniff soll sicherstellen, dass die Initiative nicht folgenlos in die Homo-Ecke abgedrängt werden kann: Unter den Kuratorinnen und Kuratoren der Initiative sind einige heterosexuelle Intellektuelle zu finden. Die sexuelle Orientierung der einzelnen Personen im Unterstützerkreis wird gar nicht erst thematisiert. Homo-Rechte sind eben Menschenrechte, so ist das wohl zu lesen. Dass zudem im Kuratorium Christen wie Juden und Muslime vertreten sind, gibt der Initiative eine breitere gesellschaftliche Basis.

Übrigens gehen die Initiatorinnen und Initiatoren von Queer Nations schon im Vorhinein auf einen Vorwurf ein, der ihnen begegnen könnte, auch wenn er aus politischer Korrektheit so offen wohl kaum geäußert wird: Es ginge denen doch nur ums Geld und Vorstandspöstchen. Dazu wird betont: „Wir benötigen kein Entschuldigungsgeld, Schweigecents sozusagen, sondern eine Wissenschaftsstruktur, die zu erforschen ermöglicht, was bislang nicht gelingen sollte.“

Das von den Nazis beschlagnahmte Institut für Sexualwissenschaft wurde übrigens im Weltkrieg schwer beschädigt und schließlich 1950 gesprengt. Zwar gab es in den 80er-Jahren in Westberlin und an der Humboldt-Universität 1990 Bestrebungen, die Forschungseinrichtung wieder zu errichten. Doch es blieb beim gut gemeinten Plan.