„Kein Sachverstand“

TRANSPARENZ Die Arzneimittelhersteller wollen bloß Datenklau verhindern, so ihr Chef Siegfried Throm

■ Der 58-jährige Pharmazeut ist Geschäftsführer für Forschung und Entwicklung beim Verband forschender Arzneimittelhersteller.

taz: Herr Throm, was hat die Industrie gegen Transparenz?

Siegfried Throm: Nichts. Bereits 2005 haben sich die forschenden Arzneimittelhersteller selbst verpflichtet, jede neue klinische Studie in einem frei zugänglichen Register zu verzeichnen, und haben sich bald darauf für clinicaltrials.gov entschieden: ein von den U.S. National Institutes of Health betriebenes, aber weltumfassendes Register. Es enthält derzeit 145.000 Studien, jeden Tag kommen 50 neue hinzu. Die Firmen legen offen, welche Behandlungen im Vergleich miteinander geprüft werden, welche und wie viele Patienten teilnehmen sollen und wie lange das dauert. Seit damals veröffentlichen wir zudem die Studienergebnisse nach der Zulassung.

In Europa läuft das weniger gut.

Clinicaltrials.gov deckt auch EU-relevante Studien mit ab. Firmen müssen aber seit 2004 alle klinischen Arzneistudien zudem in ein Register der EU-Zulassungsagentur EMA eintragen. Sonst dürften sie die Studien nicht durchführen. Die EMA selbst soll dann die Ergebnisse dieser Studien zusammengefasst im Netz veröffentlichen. Sie hat es aber bisher nicht geschafft, das einzurichten. Fünfmal wurde dieses Projekt schon verschoben.

Nun gibt es Wissenschaftler, Patienten und Politiker, die Ihre Auskunftspraxis dennoch für ungenügend halten. Um Medikamente unabhängig bewerten zu können, sagen sie, brauchten sie auch die Studienberichte. Sowie die Rohdaten.

Jaja, die Studienberichte und die Patientenrohdaten. Das sind die nächsten zwei Eskalationsstufen. Vergessen Sie bei Ihrer Aufzählung der an diesen Daten Interessierten nicht die Industrie! Ein Großteil der Anfragen kommt nicht von akademischer Seite, sondern von Firmen.

Warum dürfen Menschen, die Ihre Medikamente schlucken sollen, nicht alle Daten kennen?

Aus unserer Sicht gibt es zwei Hindernisse. Erstens den Datenschutz. Wir müssen sicherstellen, dass die Identität der Studienteilnehmer aus den anonymisierten Daten nicht zurückverfolgt werden kann.

Die Pharmaindustrie – oberste Patientenschützerin?

Ist das Vertrauen erst einmal erschüttert, erklärten sich keine Patienten mehr bereit zur Studienteilnahme. So einfach ist das. Unsere zweite Sorge betrifft den Missbrauch der Daten durch Konkurrenzunternehmen zu kommerziellen Zwecken. Mit Daten über das Originalmedikament könnten andere Firmen Zulassungen für Generika-Versionen beantragen.

Es gibt doch Schutzmechanismen, die genau das verhindern sollen, es gibt den Patentschutz, den Unterlagenschutz …

Richtig, aber nicht für alle Medikamente und nicht in allen Ländern. Wenn die Studiendaten bekannt und von anderen Firmen verwendet werden, etwa außerhalb der EU, bricht dieses Schutzsystem zusammen. Deswegen fordern wir, dass derjenige, der Originaldaten haben will, zuvor unterschreibt, dass er sie nicht kommerziell nutzen oder weiterverkaufen wird.

Wer soll definieren, was ein kommerzieller Zweck ist?

Der kommerzielle Zweck heißt für uns die Umgehung von Schutzfristen für Zulassungen.

Gegen die rein akademische Nutzung, auch der Rohdaten, hätten Sie nichts?

Nein. Wir haben ein System vorgeschlagen, wonach die EMA Herrin der Daten bliebe. Die Rohdaten würden nicht ins Netz gestellt, sondern wären nur über eine passwortgeschützte Seite zugänglich. Der Anfrager müsste sich identifizieren und bestätigen, dass er die Daten nur zu nichtkommerziellen Zwecken verwendet und sich an die Regeln der guten Auswertung hält.

Sie wollen die Kriterien der Datenauswertung bestimmen?

Es geht nicht darum, Wissenschaft zu behindern. Aber in der Vergangenheit hat es einige extrem schlampige Auswertungen unserer Daten durch Dritte gegeben. Da hieß es etwa, Blutdrucksenker verursachten Krebs. Solche Schlagzeilen einzufangen ist mühsam. Es darf nicht sein, dass Hinz und Kunz ohne Sachverstand Daten interpretiert.

INTERVIEW: HEIKE HAARHOFF