Kundus wird auch in Berlin verteidigt

INNENSICHT War Oberst Klein nur Handlanger der ominösen KSK-Task-Force 47? Eine der Fragen, die vor allem die Opposition interessieren

Aufstocken: Das Bundeskabinett hat die Erhöhung der Afghanistan-Truppe auf bis zu 5.350 Soldaten gebilligt. Der Bundestag soll dem Mandat noch in diesem Monat zustimmen. Bislang liegt die Mandatsobergrenze für die Bundeswehr bei 4.500. Nun sollen 500 zusätzliche Soldaten entsandt werden; 350 werden als Reserve für besondere Situationen bereitstehen, etwa für die Absicherung der Parlamentswahl im September. Im Zuge von Umschichtungen sollen allein 1.400 deutsche Soldaten für die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte abgestellt werden – statt 280 wie bisher.

■ Abziehen: Ab Mitte kommenden Jahres soll der Abzug beginnen. Auf ein Datum für den kompletten Rückzug will sich die Bundesregierung bewusst nicht festlegen. Der afghanische Präsident Hamid Karsai hat diese Fähigkeit für das Jahr 2014 in Aussicht gestellt. Das Mandat wird auch inhaltlich geändert: Der Schwerpunkt liegt auf der Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte. Damit soll die Voraussetzung geschaffen werden, dass Afghanistan innerhalb der nächsten fünf Jahre selbst für seine Sicherheit sorgen kann. (apn)

VON ULRIKE WINKELMANN

„4. September 2009 – die Bundeswehr schlägt zurück“. So ist im Buch „Unter Beschuss“ des Bundeswehroffiziers Marc Lindemann das Kapitel zum Luftangriff von Kundus überschrieben. Der Titel spricht Bände.

Abgeordnete, Journalisten – eigentlich alle, die derzeit von Truppenbesuchen in Afghanistan zurückkommen, berichten, dass die deutschen Soldaten im Lager von Kundus sich nicht mehr nur von Taliban attackiert sehen. Sie meinen auch, nun im Feuer der deutschen Öffentlichkeit zu stehen. Dabei habe Oberst Georg Klein, als er das Bombardement der beiden Tanklaster am Kundus-Fluss befahl, doch nur seine Pflicht getan.

Der Grüne Omid Nouripour kehrte Mitte Januar, von den Reisestrapazen gezeichnet, aus Afghanistan zurück und rief aus: „Mein Gott, die Stimmung dort ist katastrophal.“ Die Soldaten im Einsatz stehen hinter Klein – und hinter dem Luftangriff. Das war korrekt, finden sie. „Die Soldaten sagen: Der wollte unser Leben schützen, der hat seinen Job gemacht. Jetzt dürfen wir uns nicht einmal mehr verteidigen“, schildert der Sprecher des Bundeswehrverbands Wilfried Stolze. „Die Soldaten haben die Faust in der Tasche geballt.“

Heute wird Oberst Klein vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss in Berlin stehen. Er muss eigentlich nichts sagen. Wem ein Ermittlungsverfahren droht, der muss sich nicht selbst belasten. Dass Klein kommt, werten die Oppositionspolitiker im Ausschuss jedoch als Zeichen, dass er auch reden wird.

Doch ob er – oder die beiden anderen geladenen Soldaten, die in der Nacht im Befehlsstand waren – wirklich verraten werde, warum Klein eine „Feindberührung“ herbeilog, so dass die US-Piloten die Bomben abwarfen? Ob sie Zweifel hatten, ob da wirklich nur Taliban – oder nicht auch Zivilisten am Flussbett waren?

Die Linksfraktionsabgeordneten Jan van Aken und Christine Buchholz suchten vergangene Woche die Opferfamilien bei Kundus auf. Van Aken berichtet, dass der deutsche Kommandeur Kai Rohrschneider dort gerade Waren im Wert von 150.000 Euro als „Soforthilfe“, eine Art Vorab- Entschädigung, an 1.200 Personen austeilen ließ. Diese seien einer Liste von über 100 toten und 7 verletzten Zivilisten zuzuordnen. Die Bundeswehr erkenne also an, „dass es über hundert zivile Opfer gab“, sagt van Aken. Bislang war meist von maximal 142 Toten die Rede, darunter 30 bis 40 Zivilisten.

Den Abgeordneten im Ausschuss ist bewusst, dass Oberst Klein zwar der Mann ist, der den blutigsten deutschen Angriff seit dem zweiten Weltkrieg befahl. Aber er ist nicht der Mann, an dem sie sich abarbeiten dürfen – schon aus Rücksicht auf die Stimmung in der Bundeswehr. Regelverletzungen Kleins wären ohnehin Gegenstand eines möglichen disziplinarrechtlichen Verfahrens der Bundeswehr – nicht eines Ausschusses.

Offen ist jedoch, ob es der Opposition im Ausschuss gelingen wird, die militärstrategischen und politischen Hintergründe aufzuarbeiten. Nach allen bislang bekannten Informationen hat Oberst Klein keine Rücksprache mit Vorgesetzten gehalten. Es gab offenbar einen digitalen Austausch mit dem deutschen Hauptquartier in Masar-i-Scharif, nicht jedoch mit dem dortigen General Jörg Vollmer. Dass es Kontakt mit dem Einsatzführungskommando in Potsdam oder gar mit dem Ministerium in Berlin gab, hat die Bundesregierung offiziell verneint.

Für möglich gehalten wird, dass Klein nur eine Art Handlanger der ominösen Task Force 47 war, die maßgeblich vom Kommando Spezialkräfte KSK bestritten wurde und auf der Jagd nach Talibanführern war.

Bereits im Dezember kursierten Informationen, wonach es 2009 eine Runde vom inzwischen geschassten Verteidigungsstaatssekretär Peter Wichert mit Militärs, Kanzleramt und Bundesnachrichtendienst gab, die die gezielte Tötung von Taliban beschloss. Nouripour will darum auch den Ex-BND-Chef August Hanning vor den Ausschuss laden, der bis November 2009 Innenstaatssekretär war. Über Hanning schrieb der Spiegel, er habe den „härteren Kurs, weg vom Brückenbauen, hin zur Taliban-Jagd“ verlangt.

Der Luftangriff – das Ergebnis eines Strategiewechsels, von dem so niemand erfahren sollte? Nach Hinweisen darauf gräbt auch der Grüne Christian Ströbele – unabhängig vom Ausschuss. Wann wurden Gegner beschossen, die selbst gerade nicht kämpften, fragte Ströbele mehrfach im Bundestag. Gestern beschied ihm Verteidigungsstaatssekretär Christian Schmidt (CSU): Es „lässt sich keine belastbare Aussage hierzu treffen“.