Mein Trikot so weiß

Die als große Umarmung der Dichter und Kicker gemeinte Veranstaltung „Kopfballspieler“ in Berlin hielt den Geist geradezu erstaunlich flach

VON ANDREAS MERKEL

Es ist schon bezeichnend, was der Fußballfreund alles in Kauf nimmt, um ein Spiel im Stadion zu sehen: Minustemperaturen, pöbelnde Sitznachbarn und schales Bier in der Halbzeitpause. Wie empfindlich dagegen reagiert der Kulturkonsument an einen Veranstaltungsort wie dem Berliner Museum für Kommunikation, dessen Riesenfoyer das kühle Ambiente einer Schalterhalle vermittelt. Blaue Leuchtinstallationen schreien den Besucher an (KRIEG FAKE MACHT ZIEL …) und fordern: DENK NACH!

Über „Literatur“ und „Fußball“ zum Beispiel. In was für eine quälend zäh fließende, uninspirierte und gleichzeitig überfrachtete „Ich sach mal so“-Scheiße so ein Nachdenken ausarten kann, diese Erfahrung konnte hier am Wochenende bei „Kopfballspieler – Ein Gipfel der Weltliteraturen“ gemacht werden. Autoren wie Javier Marías, Péter Esterházy, Henning Mankell, Ugo Riccarelli, Tim Parks und Burkhard Spinnen sowie Fußballexperten – Ralf Rangnick, Bernd Heynemann und Michael Preetz – und Journalisten kämpften sich in Gesprächen und Lesungen im Rahmen der „Offiziellen Kunst- und Kulturprogramm zur Fifa-WM 2006“-Trademark an einem Laberthemenpark ab, wie er so vielleicht nur vom Großkunst-Zampano André Heller veranstaltet werden kann.

„Buch und Ball – Was die Welt im Innersten zusammenhält“ oder „Die Verführung des Spielerischen – Was Dichter und Kicker verbindet“ lauteten die Steilvorlagen in den leeren Raum, von denen sich Heller im Programmheft „ein facettenreiches Wissens-Kaleidoskop, das die Welt des Fußballs auf eine bisher nicht da gewesene Weise spürbar macht“, erhoffte. „Wenn ich schreibe, werde ich zu so einem seltsamen Wesen, aber wenn ich aufhöre zu schreiben, bin ich wieder ein ganz normaler Bürger. Und als solcher gucke ich mir die Spiele von Real Madrid an“, gestand etwa Javier Marías. Als hätte sein großer Bestseller ebenso gut „Mein Trikot so weiß“ heißen können, gab sich El País-Kolumnist Marías im Gespräch mit dem brav abfragenden SC-Freiburg-Fan Helmut Böttiger ansonsten wie der intellektuelle Abgesandte der Königlichen. Fußball sei eine Proust’sche Rückgewinnung der Kindheit, Guti (!) halte er für den momentan besten Spieler bei Real, und der Verein sei trotz faschistischer Ultra-Fans und Franco-Vergangenheit gar nicht so rechts („aber auch nicht links“).

Über das Problem der Ausnutzung des Fußballs zu politischen Zwecken („FC Deutschland 06“) und seiner Manipulierbarkeit in Diktaturen unterhielten sich anderntags auch der südkoreanische Lyriker Hwang Chi-Woo und der Romancier Viktor Jerofejew. Während der Russe den Sport lange als „militärisches Spiel“ von Fabrik-Kombinaten und Armee-Klubs abgelehnt hatte, beharrte Chi-Woo darauf, dass sich ausgerechnet in den stumpfsinnig gleichgeschaltet auftretenden „Red Devils“-Fanhorden seines Landes zur WM 2002 tatsächlich so etwas wie Individualisierung und Demokratisierung ausgedrückt hätten, allein schon in der Umwertung der kommunistisch kontaminierten Farbe Rot.

Tim Parks, Verfasser des hervorragenden Standardwerks „Eine Saison mit Verona“, hielt in derselben Gesprächsrunde dagegen, dass sich Fußball zu gar nichts missbrauchen lasse, denn „once in the stadium the game takes over“. Und die Emotionen, die bei einem Spiel entstehen, das über weite Strecken eben auch nichts als „Langeweile und Mittelmäßigkeit“ produziere (Moderator Jürgen Wertheimer), seien nun mal durch und durch moderne, nämlich ironisch und bedeutungslos, Parodien ihrer selbst. Nur so sei es möglich, dass sich Fans nach dem Spiel rassistisch pöbelnd aus dem Zugfenster lehnen und gleichzeitig ihrer Mamma ins Telefonino säuseln, dass sie pünktlich zum Essen zu Hause wären.

Zum völligen Communication Breakdown im Museum für Kommunikation kam es dann auf der Abschlussveranstaltung, die tragischerweise die einzig gut besuchte war. Auf der Bühne tummelten sich jetzt die Autoren Franzobel („Warum bilden die Spieler eigentlich nicht wie bei Asterix zu zehnt Kohorten um den Ballführenden?“), Per Olov Enqvist (tippte kreativ die gar nicht qualifizierten Ungarn als Weltmeister), Mankell (millionenschwerer Öko-Multikulti-Verfechter, der dauernd „Empire“ statt „Umpire“ (Schiedsrichter) sagte, und Marías (lieferte eiskalt dieselben Antworten wie am Vorabend ab), sowie auf Fußballerseite „unsere Weltmeisterin“ Nia Künzer (mit 25 rhetorisch bereits auf Augenhöhe mit dem späten Lothar Matthäus: „es geht vorwärts“), Ex-Schiri und MdB Bernd Heynemann (ließ Ralf Rangnick neben sich praktisch nicht zu Wort kommen), Ex-Schalke-Coach Rangnick (hätte sicherlich am meisten zu sagen gehabt, kam aber praktisch nicht zu Wort) und Exfußballer und jetziger TV-Berlin-Moderator Axel Kruse (als Ersatz für Michie Preetz von Hertha BSC). Dank der zurückgenommenen Moderation von Ernst A. Grandits, der sämtliche Fußballfragen vom Blatt ablesen musste, wurde hier immerhin klar, was sich „Literatur“ und „Fußball“ wirklich zu sagen haben: nichts.

Andreas Merkel hat die Romane „Große Ferien“ und „Das perfekte Ende“ geschrieben und spielt in der deutschen Autorennationalmannschaft im rechten Mittelfeld