daumenkino
: Immer Jude, nie Mensch

„Viel zu viel Geschichte für so wenig Leute“, ächzt Emanuel Goldfarb am Anfang einer Selbstbefragung, die bis zum nächsten Morgen dauern wird. Um es vorwegzunehmen: Die Last des Zuvielerzählenwollens kriegt auch die Zuschauerin in jeder der 89 Minuten des Monologfilms „Ein ganz gewöhnlicher Jude“ zu spüren. Ein Lehrer hat die Hamburger Kultusgemeinde angeschrieben und gefragt, ob sie nicht einen „jüdischen Mitbürger“ wüsste, der sich von seinen Schülern befragen ließe. Die Anfrage landet schließlich beim Journalisten Goldfarb, der dafür geeignet erscheint – erzählt er doch so gern Geschichten.

Aber Goldfarb reagiert empört: Schon die verzweifelte Suche des Lehrers nach einem „Mitglied Ihrer Religionsgemeinschaft“ zeige doch, wie wenig gewöhnlich man als Jude in Deutschland sei. Seine Absage gerät zu einer Suada, die nur ein Aufnahmegerät samt drei voll besprochenen Kassetten zu bannen vermag.

Von Antisemiten gewürgt, von Philosemiten umarmt – in diesem Spannungsfeld hat der Schweizer Autor Charles Lewinsky in seinem gleichnamigen Roman Goldfarb nach den Möglichkeiten des Jüdischseins in Deutschland suchen lassen. In der Verfilmung von Oliver Hirschbiegel werden nun die Schwächen dieses Textes deutlich: Er ist eine Anhäufung von Sinnsprüchen und Zitaten, die keine Dramaturgie zu bieten hat. Sicher, es wird ein großes Spektrum an Problemen und Paradoxien des jüdischen Lebens im Land der Schoa abgedeckt. Doch Sätze wie „Auschwitz werden die Deutschen den Juden nie verzeihen“ hat man einfach zu häufig gehört, als dass sie als spontaner Gedanke überzeugen könnten.

Gespiegelt wird diese Phrasenhaftigkeit von einem Ben Becker, dessen enge darstellerische Bandbreite den Film noch schneller an seine Grenzen führt. Selbst bösen Sätzen wie „There’s no business like Shoah business“ kann Becker keine galligen Untertöne verleihen. Auch Carl-Friedrich Koschnicks gelungene Kameraführung hilft da nicht: Als Figur bleibt Emanuel Goldfarb Behauptung. Der Film verweigert ihm die psychologische Plausibilität, wie es zu dieser Nacht der Selbstanalyse kommen kann. So bleibt Goldfarb am Ende genau das, worauf er in Deutschland immer zurückgeworfen wird: stets Jude, nie Mensch. Hannah Pilarczyk

„Ein ganz gewöhnlicher Jude“. Regie: Oliver Hirschbiegel. Mit Ben Becker. Deutschland 2005, 89 Min.