Zwischen den Spiegeln

THEATER Roman auf der Bühne: Im Brinkmannzimmer des Gorki-Theaters wird „Ich nannte ihn Krawatte“ aufgeführt – eine vorsichtig tastende Inszenierung

Tageslicht fällt durch die Fenster des Brinkmannzimmers im Maxim Gorki Theater. Das sparsame Bühnenbild, in dessen Zentrum ein blasser Mann zwischen zwei großen Spiegeln sitzt, verstört. Hinter ihm ragt kahles Astwerk eines Baumes empor. Eine Eule ist scheinbar unfreiwillige, stumme Verbündete der Bühnengestalt, sie wirkt ebenso verloren wie er. Am Boden liegen bunte Papierschnipsel verteilt, wie Überreste von etwas Dagewesenem. Das Bühnenbild erscheint wie ein Kunstwerk, ohne ein zusammenhängendes Ganzes zu ergeben.

Matti Krause spielt den Teilnahmslosen, zu dem sich irgendwann endlich ein älterer Mann im Anzug (Thomas Lawinksy) gesellt, der sich als Ohara Tetsu vorstellt. Obwohl seine plötzliche Gesellschaft sichtlich die Ruhe des ersten Mannes stört, beginnt der Dazugekommene, sich bald alles von der Seele zu reden. Nebeneinander sitzend hängen schließlich beide ihrem Schicksal nach, unzusammenhängend wirken ihre Gedanken.

Die Begegnung der beiden Männer, die von der Regisseurin Jana Milena Polasek so vorsichtig tastend inszeniert wird, beruht auf einer Roman-Vorlage von Milena Michiko Flasar, die 2012 mit „Ich nannte ihn Krawatte“ einen ziemlichen Überraschungserfolg landete. Taguchi Hiro und Ohara Tetsu heißen ihre beiden Außenseiter, die sich auf einer Parkbank begegnen. Schon am Roman beeindruckte die beckettsche Grundstimmung, ein Gefühl der Absurdität.

In der Inszenierung wird es verwirrend, wenn Hiro die Möglichkeit eines Dialogs und die Realität der anderen Person infrage stellt. So beginnt ein poetischer Austausch über Ängste aufgrund von fehlenden Perspektiven und die Schwierigkeit des Umgangs mit selbstgewählter Einsamkeit. Verantwortung für Nahestehende verlangt viel ab.

Wenn der 58-jährige Tetsu erzählt, dass er seiner Frau seit Langem die Arbeitslosigkeit verheimlicht, und der 20-jährige Hiro seiner Wut darüber Ausdruck verleiht, dass er Selbstmorde von Freunden miterleben musste, gewinnt die leise Inszenierung an Fahrt. Plötzlich entgleisen die Gesichtszüge Tetsus und er poltert los. Hiro springt auf, klettert an den Heizungsrohren in die Höhe und verweilt dort minutenlang zusammengekauert in der Luft.

Später öffnet er die Fenster im Raum, spricht über eine Melodie (Schöner Gesang und Liedtext von Helena Daehler). Das Ende seiner Erzählung ruft er von außen durch die Fenster. Trostlos wirkt es, wenn Tetso Hiro mit einem Mal ein Getränk spendieren möchte. Können sich die beiden Männer einander annähern und trösten?

Jana Milena Polasek geht in ihrer Inszenierung sensibel mit den Figuren der Romanvorlage um. Das Stück zeigt eindrucksvoll, wie schwer es für Traumatisierte sein kann, aus ihrem Außenseiterdasein auszubrechen. Wenn sie es doch wagen, suchen sie sich oft andere Außenseiter als Bezugspersonen. Doch wie zugänglich können diese sein, wenn sie eigene Leiderfahrungen verarbeiten müssen? Am Ende wartet Hiro wieder allein zwischen den Spiegeln. ANSGAR SKODA

Wieder am 29. Mai, 3./12./13./14./15. Juni