„Die Jugendarbeit hat sich nicht bewährt“

Statt Geld in Jugendzentren zu stecken, sollte die Landesregierung lieber in präventive Projekte, Kindergärten und Ganztagsschulen investieren, sagt der Kriminologe Christian Pfeiffer. So könnte die Gesellschaft viel einsparen

taz: Herr Pfeiffer, die NRW-Landesregierung will die Zuschüsse für die Kinder- und Jugendarbeit nicht wie geplant erhöhen. Müsste nicht mehr Geld in die Arbeit fließen?

Christian Pfeiffer: In meinen Augen sind die Forderungen teilweise Oppositions-Theater. Es sollen doch keine Mittel gekürzt werden, sondern nur nicht erhöht. Außerdem hat sich die Kinder- und Jugendarbeit in der gegenwärtigen Form vielfach nicht bewährt.

Wieso nicht?

Weil die Zielgruppen oft nicht erreicht werden. Statt Geld in Jugendzentren zu stecken, sollten vielfach Ganztagsschulen errichtet und die Sozialarbeiter in die Schulen geschickt werden. Das wäre ein wirksamerer Einsatz von Jugendhilfe. In vielen Zentren dominieren soziale Randgruppen. Da gibt es dann oft nur eine klapprige Tischtennisplatte und einen gelangweilten Sozialarbeiter. Natürlich herrscht anderswo mehr Leben. Aber die Pauschalaussage ‚Wir brauchen mehr Geld‘, lehne ich ab. Es fehlt an konkreten Konzepten, in der Jugendarbeit wird mehr repariert als vorgebeugt. Eine Ausweitung der Arbeit macht nur dort Sinn, wo elementare Mängel herrschen, etwa im Kindergartenbereich.

Wie sollen denn gute Förderung und Kriminalitäts-Prävention aussehen?

Das fängt schon im Bauch der Mutter an. Zur Zeit bereiten wir in drei Bundesländern ein Projekt mit schwangeren Frauen aus Risikofamilien vor. Sie werden wöchentlich bis zum zweiten Lebensjahr des Kindes von einer Hebamme bzw. Familienhelferin besucht, die ihnen unter anderem erklärt, dass Rauchen, Alkohol und Stress während der Schwangerschaft das Kind schädigen. In den Kigas muss die Integration der Migrantenkinder verbessert werden, etwa durch eine bessere Durchmischung. Wir sollten es machen wie die Kanadier: Sie reservieren bis zu 20 Prozent der Kiga-Plätze für Migranten.

Hilft denn die beschriebene Frühförderung?

In den USA konnten die Sonderschulrate und die Knast-Quote unter den in der Kindheit betreuten Menschen halbiert werden, die Zahl der Drogensüchtigen sank um ein Drittel. Die Kinder bekommen später bessere Jobs und zahlen Steuern, statt arbeitslos zu sein oder in der Psychiatrie zu landen. Das hat enorme Spareffekte für den Staat.

Was kostet es die Gesellschaft, wenn keine Prävention statt findet?

Die Kosten sind viermal so hoch wie die Kosten für die beschriebenen Maßnahmen.

Ihre Jugendstudie ergab, dass Dortmunder Kinder und Jugendliche zu viel vor dem Fernseher und Computer sitzen. Reicht es, nur die Spielkonsole rauszuschmeißen?

Nein. Man muss den Kindern Angebote machen. Da sind nicht nur der Staat, sondern auch die Eltern gefragt. Tatsächlich unterscheidet sich die Freizeitkultur in Nord- und Süddeutschland voneinander. Im Norden bekommen die Kinder weniger geboten. Hauptschüler sitzen etwa fünf Stunden täglich vor dem Fernseher oder der Spielkonsole, Grundschüler dreieinhalb Stunden. Das ist doch eine absurde, kranke Welt!

Was macht der Süden besser?

In Städten wie München oder Schwäbisch-Gmünd lernen viel mehr Kinder ein Musikinstrument oder gehen einen Sportverein. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass die Dortmunder Familien einen hohen Anteil an Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern haben.

INTERVIEW: GESA SCHÖLGENS