Wenn die Windräder in den Himmel wachsen

INTERESSENKONFLIKT Im schleswig-holsteinischen Riepsdorf will die Gemeinde alte Windkraftanlagen gegen neue, leistungsstärkere austauschen, die bis zu 150 Meter hoch sind. Die Pläne spalten das Dorf in zwei Lager – das der Gewinner und das der Verlierer

AUS RIEPSDORF ADRIAN MEYER

„Jetzt ist Schluss“, sagt Wilfried Wiese an diesem sonnigen Samstag im Mai. Der 48-jährige Projektmanager steht in seinem Garten hinter dem Haus im Riepsdorfer Ortsteil Gosdorf, das er hier erst vor fünf Jahren gebaut hat. Ein Teich, zwitschernde Vögel, direkt hinter dem Garten ein Acker. Und dann, wenige Hundert Meter vom Grundstück entfernt: Windräder. Ihre Rotoren erzeugen ein Grundrauschen, von Wieses Garten aus stets hörbar. Durch ein Gartentor tritt Wiese auf den benachbarten Acker und sagt, er habe sich mit den jetzigen Anlagen arrangiert. Er sei für die Windkraft. „Ich bin auch für Repowering – aber nicht mit solch riesigen Dingern.“

Gleich hinter den letzten Häusern von Riepsdorf drehen sie sich im Wind: Über 40 Windkraftanlagen, ein kilometerlanges weißes Band, das sich von Südost nach Nordwest durch die Landschaft zieht. Die Gemeinde liegt zwischen Oldenburg in Holstein und dem Ostseebad Grömitz, nur wenige Kilometer von der Ostseeküste entfernt. Etwa 1.000 Einwohner, einige Ferienhäuschen, viele Weiden, viele Wiesen und viel Windkraft. Der zweitgrößte Windpark Schleswig-Holsteins steht hier, knapp 100 Meter hoch sind die Rotoren, die ersten wurden bereits Mitte der 90er-Jahre gebaut.

An die vielen Windräder hat man sich hier schon lange gewöhnt, doch nun will die Gemeinde Riepsdorf zwölf alte Anlagen durch acht neue ersetzen, die mit jeweils drei Megawatt fünfmal leistungsstärker sind, effizienter und vor allem größer. 150 Meter hoch sollen sie sein, errichtet von örtlichen Betreibern, die auf höhere Gewinne setzen. Und die Gemeinde erhofft sich höhere Gewerbesteuereinnahmen. Der Gemeinderat hat den Bau der 150-Meter-Windräder einstimmig beschlossen. Nun steht das Baugenehmigungsverfahren an.

Vier der acht Anlagen sollen in unmittelbarer Nähe von Wilfried Wieses Haus errichtet werden, nur 600 Meter vom Wohngebiet entfernt. Dafür würden sechs alte Windräder verschwinden. Zwar sind seit vergangenem Jahr in Schleswig-Holstein 800 Meter Mindestabstand für neue Windkraftanlagen vorgesehen, weil der Riepsdorfer Windpark jedoch Bestandsschutz genießt, sind auch geringere Abstände zulässig. Allerdings müssen dabei „Vertrauensgesichtspunkte und Eigentümerinteressen“ berücksichtigt werden.

Und diesen Vertrauensschutz sieht Wiese verletzt. Mit den 150-Meter-Riesen würde ihm der Horizont verstellt, sagt Wiese, das wirke bedrängend. Schon heute beeinträchtige ihn der Schattenwurf, wenn die Sonne abends hinter den Windmühlen untergehe. Dass sein Haus dadurch an Wert verliere, könne er nicht akzeptieren.

Schon jetzt seien über zehn Prozent der Gemeindefläche als Eignungsgebiete für Windräder ausgewiesen, damit sei die Grenze der Belastung erreicht, sagt Wiese. Als die Pläne öffentlich ausgelegt wurden, hat er seine Einwände auch in einem Brief an die Gemeinde formuliert – zusammen mit über 30 anderen Riepsdorfer Bürgern, die meisten aus der Nachbarschaft. „Einige wenige, denen es nur um das Geld geht, profitieren auf Kosten der Bürger“, sagt Wiese. Er will nicht, dass Riepsdorf künftig als Negativbeispiel zitiert wird: als Ort, in dem die Energiewende aus dem Ruder gelaufen ist. Er habe Angst, „dass hier die Akzeptanz der Windkraft verspielt wird“.

Wilfried Wiese ist Mitglied der IG Riepsdorf, wobei IG für „Interessengemeinschaft“ steht. Deren Grundforderung lautet: „Für Windenergie, für Repowering – aber nicht über 100 Meter Höhe“. Das steht auch auf dem Aufkleber an Wieses schwarzem BMW, in dem er und sein Nachbar Holger Diedrich jetzt einmal um das Gemeindegebiet fahren. Die beiden wollen während der Fahrt zeigen, wie es hier demnächst aussehen könnte, falls die 150-Meter-Anlagen kommen. Wiese parkt auf einer Anhöhe. „Hier sieht man das Windrad-Ballett am besten“, sagt Diedrich.

Wieso könne man die bestehenden Windräder nicht einfach durch gleich hohe, aber moderne und leistungsstärkere Anlagen ersetzen, die doch auch wirtschaftlich seien, fragen die Leute von der IG Riepsdorf. Bei der Kommunalwahl in Schleswig-Holstein am 26. Mai will der 54-jährige Diedrich in den Gemeinderat, er, der sich zuvor nie für Kommunalpolitik interessiert hatte. Zusammen mit fünf anderen Kandidaten der „bürgernahen, unabhängigen, gemeinschaftlichen Wählergemeinschaft Riepsdorf“, kurz BUG. Die Wählergruppe ist im März aus der IG Riepsdorf hervorgegangen, überall im Dorf stehen ihre Plakate. „Unabhängige Fachleute in der Gemeinde-Vertretung statt Parteien-Filz“, lautet einer der Slogans. „Es gibt keine Opposition im Gemeinderat“, sagt Wiese. Und keine Gemeindeversammlung ohne einstimmige Beschlüsse der dort vertretenen sechs Christ- und fünf Sozialdemokraten.

Gegen das Repowering hat die IG über 300 Unterschriften gesammelt und sie der Gemeindevertretung übergeben. Doch auf keinen der Einwände sei der Gemeinderat eingegangen, sagen sie. Auch ein Antrag für einen Bürgerentscheid wurde abgelehnt mit der Begründung, dass er zu spät eingereicht wurde und für das Planverfahren sowieso nicht zulässig sei. Dabei würde ein Bürgerentscheid doch endlich reinen Tisch machen, sagt Wiese. Er würde ein Ja der Bürger zum Repowering sofort akzeptieren, aber unter diesen Umständen wehre man sich jetzt halt mit allen Mitteln.

Die Gegenseite versammelt sich am Samstagnachmittag am Sportplatz. Die Gegenseite, das ist in diesem Fall die Riepsdorfer SPD, die zu einer Radtour mit Bürgern eingeladen hat. Vorwiegend ältere und alteingesessene Dorfbewohner sind gekommen. Hier befürworten sie die 150-Meter-Anlagen und verstehen nicht, wieso die IG dagegen ist. „Ach, das ist doch übertrieben. Mich stört das überhaupt nicht“, sagt die eine. „Der technische Fortschritt ist nicht aufzuhalten“, meint ein anderer. Außerdem sei „nach oben doch genug Platz da“. Und außerdem: „Das bringt doch der Gemeinde Geld.“

Auch Bürgermeister Hartwig Bendfeldt ist gekommen, ein gemütlicher Mann Mitte 50. Lächeln im rundlichen Gesicht, Käppi auf dem Kopf, darunter eine Glatze. Er schüttelt jedem Radler die Hand, egal, ob einer von der CDU oder SPD ist. „Bei uns im Gemeinderat spielt die Partei keine große Rolle“, sagt Bendfeldt, der selbst für die CDU antritt. „Es kommt auf die Person an.“

Er könne die Sorgen der Anwohner natürlich verstehen, sagt er. So habe die Gemeindevertretung bereits vor zehn Jahren weitere Windparks in Riepsdorf abgelehnt. Aber ein Repowering, das begrüße man. „Wenn wir auf 150 Meter hochgehen, ernten wir mehr als das Doppelte pro Anlage.“ Und wieso ersetzt man die alten Windräder nicht durch leistungsstärkere, aber gleich hohe Anlagen, wie von der IG vorgeschlagen? Weil dann mehr Windräder nötig wären, sagt Bendfeldt. Das würde sich wegen der höheren Fixkosten nicht rechnen.

Für Bendfeldt ist die IG Riepsdorf ein „Stammtisch“, bei dem sich einige wenige zwar durch die neuen Anlagen optisch beeinträchtigt fühlen könnten – „aber bei den meisten ist es doch eher Neid, dass sie nicht dran beteiligt sind“. Rund hundert Bürger würden in Riepsdorf von der Windkraft leben, sagt er. Und durch die neuen Anlagen würden jährlich zusätzliche 40.000 Euro in die Gemeindekasse fließen. 32.000 Euro bringt die Windkraft Riepsdorf derzeit, so viel bleibt von den 160.000 Euro Gewerbesteuereinnahmen übrig. Der Rest wird nach einem Schlüssel auf andere Kommunen verteilt.

Um 40.000 Euro also geht es für die Gemeinde – eine Summe, die in den Augen der IG Riepsdorf lächerlich erscheint angesichts der Wertminderungen, die sie für ihre Häuser befürchten. Sie will nun rechtlich gegen den Beschluss der Gemeinde vorgehen und prüft eine Klage vor dem Oberverwaltungsgericht. Dabei geht es auch um den zuständigen Gutachter und Planer, Eike Brandes aus Lübeck, der gleichzeitig als Gesellschafter und Eigentümer an verschiedenen Windparks in Schleswig-Holstein beteiligt ist; es geht um eine Umweltverträglichkeitsprüfung, die nicht für den gesamten Windpark erstellt worden sein soll, sondern nur für Teilbereiche; und es geht auch um die Abwägung der Gemeindevertretung zu den Einwänden der Bürger, die aus Sicht der IG „gravierende Mängel“ aufweist.

In den Unterlagen ist auch die Stellungnahme des Kreises Ostholstein zu lesen. Dort heißt es: „Seitens des Kreises wird davon ausgegangen, dass aufgrund des Vertrauensschutzes in die Planungen den Bewohnern des Ortes Gosdorf zur Vermeidung eines Wertverlustes ihrer Immobilien keine 150 Meter hohen Windenergieanlagen in einer Entfernung unterhalb von 800 Metern zugemutet werden sollten.“ Wegen der geringen Abstände seien „bei der Abwägung die Belange der Bevölkerung stärker zu gewichten“.

Bürgermeister Bendfeldt sagt, er blicke der Klage gelassen entgegen, ebenso der Kommunalwahl. Für ihn hat sich die Sache mit dem Beschluss erledigt, nun müssten andere Instanzen entscheiden. Er hofft vor allem eines: dass nach der Kommunalwahl am kommenden Wochenende endlich wieder mehr Ruhe einkehrt in Riepsdorf.