Coolness und Verletzlichkeit

IRAN Shahin Najafi wird wegen seiner Songs von vielen Iranern geliebt, aber auch mit dem Tod bedroht. Am Wochenende trat der in Deutschland lebende Künstler als Dichter und als orientalischer Singer-Songwriter auf

VON ANDREAS HARTMANN

Shahin Najafi liebt es, sich zu verändern. Rein optisch sah man bei zwei Auftritten des Exiliraners an diesem Wochenende zwei unterschiedliche Identitäten des Musikers. Bei seiner kurzen musikalischen Darbietung während einer Veranstaltung anlässlich des 80. Jahrestages der Bücherverbrennung erlebte man in der Akademie der Künste den intellektuell wirkenden Dichter Najafi in Anzug und Krawatte. Einen Tag später, bei seinem Konzert im beschaulichen Berliner Club Lido, ging Najafi dagegen ganz in seiner Rolle als Popmusiker auf, der das ganze Konzert über seine verspiegelte Sonnenbrille als Zeichen seiner Coolness nicht abnahm. Das Eintauchen in verschiedene Identitäten ist für den Musiker jedoch nicht nur ein Spiel, sondern zum Teil auch Überlebensstrategie.

Der Musiker ist vor acht Jahren nach Deutschland ins Exil gegangen. In seinen Songs hatte er die Bigotterie der iranischen Gesellschaft angeprangert, sich für Frauenrechte ausgesprochen und weitere Tabus in für iranische Verhältnisse subversiver Manier aufgegriffen. Das missfiel den Mullahs, und am Ende drohten dem Künstler drakonische Strafen, von denen in unseren Ohren die Forderung nach Auspeitschen am schmerzhaftesten klingt. Das alles war jedoch noch nichts im Vergleich zu dem, was vor ziemlich genau einem Jahr passierte. Der inzwischen in Köln lebende Musiker veröffentlichte seinen Song „Naghi“, eine frech-fröhliche Tanznummer mit rapartigem Gesang. Als Plattencover dazu dachte sich Najafi gezielt eine Provokation aus, ein Bild, auf dem die Kuppel einer Moschee aussieht wie eine weibliche Brust. Aus der Brustwarze ragt eine Regenbogenfarbe, das Symbol der Schwulenbewegung. Shahin Najafi lebte zwar längst in Deutschland, stellte jedoch für die iranischen Großajatollahs offensichtlich immer noch eine Gefahr dar. Er sei ein Gotteslästerer, so der Befund, nachdem „Naghi“ im Iran innerhalb kürzester Zeit zu einem riesigen Aufreger wurde. Eine Fatwa wurde gegen den Sänger ausgesprochen und ein Kopfgeld von 100.000 Euro ausgelobt. Seitdem genießt Shahin Najafi den zweifelhaften Ruhm, wie Salman Rushdie ein Künstler zu sein, der wegen seiner Kunst mit dem Tod bedroht wird.

Najafi tauchte unter, sein Freund Günter Wallraff stellte ihm eine Wohnung, eine Zeit lang lebte er mit Personenschutz. Er schrieb ein Buch, das dieser Tage erscheint und den Titel „Wenn Gott schläft. Mein Leben, mein Land, der Iran, meine Songs und Gedichte“ trägt. Darin geht es darum, was dem Musiker seit der Fatwa widerfahren ist, aber auch um seine Arbeit als Musiker und über seine Gedanken über den Iran. Man erfährt, dass Shahin Najafi früher auf eine Koranschule ging. Er hielt sich von Alkohol und Frauen fern und befolgte islamische Riten. Erst nach dem Militärdienst hinterfragte er sein bisheriges Leben. Er begann zu rauchen und zu trinken, an einer Stelle seines Buchs schreibt er: „Ich wollte kein Sklave Gottes sein.“

Shahin Najafi ist heute Anfang 30, hat jedoch schon einige Häutungen hinter sich. Und er bleibt ein Suchender. So wie er im letzten Jahr seinen Look immer wieder verändert hat, sich ein ganzes Arsenal an Mützen und Sonnenbrillen zur Tarnung zugelegt und seine lange Mähne inzwischen einem Kurzhaarschnitt gewichen ist, transformiert er sich auch musikalisch. Seit „Naghi“ nannte man ihn einen Rapper. Das war von Anfang an ein Missverständnis, deutlich wurde dies bei seinen Auftritten in Berlin. Najafi begleitete sich selbst mit der akustischen Gitarre, neben ihm saßen ein weiterer Gitarrist und ein Klarinettist, der sein Instrument eher klezmerartig jubilieren ließ. Najafi zeigte sich als orientalischer Singer-Songwriter, den man durchaus in die Tradition von Bob Dylan oder Woodie Guthrie einordnen könnte, als lyrisch versierten Protestsänger, der Gedichte im Songformat vorträgt.

Man merkte dem Sänger an, dass die Rolle, die er nun innehat, noch recht neu ist für ihn. Das Publikum im Lido bestand zum großen Teil aus in Deutschland lebenden Exiliranern, für die Najafi eine Ikone des Protests geworden ist. „Ich bin kein Superstar, ich bin nur ein Mensch“, sagte er an einer Stelle während des Konzerts, um klarzumachen, dass man von ihm, dem Künstler, nicht zu viel erwarten sollte.

Najafi machte seine Ansagen auf Farsi und auf Deutsch, er stellte sofort einen innigen Kontakt mit seinem Publikum her, das die meisten seiner Lieder mitsang. Es wurde bald deutlich emotional, und Najafi wirkte, obwohl er sich nicht in die Augen blicken ließ, berührt von dem Zuspruch, den er empfing. Er sagte, es sei für ihn nun weniger wichtig, woher er komme und wo er gerade stehe, als vielmehr, wohin es mit ihm noch gehen werde, er ging ganz offen um mit seiner Unsicherheit und blieb trotzdem erstaunlich souverän. Am Ende kündigte er „Naghi“, das Lied, das sein Leben für immer verändert hat, mit den Worten an, er hasse diesen Song, aber er gehöre nun mal zu ihm. Da sprangen alle von ihren Sitzen, strömten an den Bühnenrand und feierten einen Sänger, der nochmals deutlich gemacht hat, dass er sich auch in Zukunft nicht von Mullahs das Singen verbieten lassen wird.