Bürger ohne Interesse

Bürgerbeteiligung in Kreuzberg

VON SEBASTIAN HEISER

Was war das für eine Aufregung in der Reichenberger Straße in Kreuzberg, als der Bezirk dort einen Druckraum für Drogensüchtige eröffnen wollte. Die Anwohner gründeten im Jahr 2009 gleich mehrere Initiativen, sammelten Unterschriften, organisierten Demonstrationen. Sie wollten nicht nur keine Junkies vor ihrer Haustüre – sie forderten auch, über die Belegung der Räume mitentscheiden zu können.

Und jetzt? Der Bezirk leitet für ein leer stehendes Schulgebäude an genau dieser Stelle ein vorbildlich basisdemokratisches Verfahren ein: Mit Webseite, Informationsveranstaltungen, Flyern in den Briefkästen der umliegenden Häuserblöcke. Genau so geht Transparenz und Bürgerbeteiligung. Die Anwohner durften entscheiden: Hätten sie in ihrem Kiez gern Sozialberatung für Hartz-IV-Empfänger? Unterkünfte für Jugendliche in Krisen? Ateliers für Künstler? Eine islamische Grundschule?

Freies Wochenende

Und dann: Keinen interessiert’s. Nicht einmal zwei Dutzend Anwohner stimmten ab. Offenbar war die Sache mit der Mitbestimmung den meisten dann doch nicht wichtig genug, um dafür einen freien Wochenendtag zu opfern. Vielleicht fanden sie es auch unangenehm, zwischen Initiativen auswählen zu müssen, die sich allesamt für gute Ziele einsetzen – eine Entscheidung für die einen ist auch eine Entscheidung gegen die anderen.

Jedenfalls stellt sich die Frage, ob sich der ganze Aufwand gelohnt hat – und zwar nicht nur aus finanzieller Sicht. Auch unter Demokratiegesichtspunkten muss man sagen: Die Entscheidung stünde auf einer deutlich breiteren Basis, wenn das Bezirksparlament mit seinen 51 Vertretern ganz allein entschieden hätte.