Die Erklärung der Farbe

AUSSTELLUNG „Kosmos Farbe“ zeigt in Berlin Gemälde von Johannes Itten und Paul Klee

VON MARCUS WOELLER

Haben Sie rötliche Haare, einen transparenten Teint mit Sommersprossen, grüne oder braune Augen mit einer gesprenkelten Iris? Dann sind Sie ein klassischer Herbsttyp. Oder haben Sie eher aschblondes Haar, sind blass, werden schlecht braun und schauen durch hellblaue oder graue Augen auf die Welt? Dann kann man Sie wohl dem Sommertyp zuordnen. Die Farbberatung, die in den 1980er Jaren aufkam, teilt uns alle grob in vier Kategorien ein, die den Jahreszeiten entsprechen. Der Mode- und Kosmetikindustrie dienen sie als probates Mittel, um uns zu erklären, wem Olivgrün steht und wer knalliges Pink lieber meiden sollte.

Die Grundlagen für diese Farbschubladen hat der Schweizer Künstler Johannes Itten entwickelt. Nachdem er sich mehr als 40 Jahre lang intensiv mit der Wirkung von Farben auseinandergesetzt hatte, malte er 1963 die vier Bilder „Frühling“, „Sommer“, „Herbst“ und „Winter“. Jeweils aus einem Raster von neun mal neun Rechtecken aufgebaut, zeigen die abstrakten Ölgemälde atmosphärische Kompositionen, die sowohl die farbliche Realität der jeweiligen Jahreszeit ausdrücken als diese auch um harmonierende Töne erweitern.

Im Frühling flackert das Licht durch das pixelartig aufgelöste Raster, helle Grünnuancen beherrschen die Fläche, unterbrochen vom Rosa der Obstblüte und dem Gelb der ersten Blumen. Im Sommer ist das Grün schon satt geworden, Rot und Blau kontrastieren kräftig, die Pixel sind zu eigenständigen Quadraten gereift. Im Herbst haben die Farben schon ihren Peak überreizt. Rottöne liegen schwer auf der Schwelle zum Braun, Blautöne tendieren zum überreifen Violett. Im Winter ist den Farben gewissermaßen die Farbe entwichen. Noch bunt, tendiert schon alles gegen Grau.

Wettbewerb der Farblehre

In Ittens Werk erscheinen die vier Saisonstudien nicht nur als kosmetische Typberatung, sondern als Synthese seiner Farbtheorie. Vater dieser Farbenlehre ist der Romantiker Philipp Otto Runge, der sich zeitgleich mit Johann Wolfgang Goethe und Arthur Schopenhauer Anfang des 19. Jahrhunderts einen Wettbewerb lieferte, um das mysteriöse Gebiet der Farbwahrnehmung intellektuell zu durchdringen. Während Goethe seine Farbenlehre eher antiwissenschaftlich anging und Schopenhauer die Farbe höchst philosophisch zu ergründen versuchte, wollte Runge sich und seinen Malerkollegen ein praktikables Handwerkszeug erstellen und erfand eine dreidimensionale Frühversion des Pantone-Farbfächers von heute.

Im Mittelpunkt seiner „Farbkugel“ mischen sich alle Spektralfarben zu einem gleichmäßigen Grau. Itten klappte diesen Globus nach Art einer Landkarte auf und entwarf 1921 einen „Farbstern“, in dem sich Grund- und Mischfarben aus einem reinen Weiß im Zentrum zum puren Schwarz an der Peripherie entwickeln. Diese pädagogische Grundlagenforschung gehört heute zum Lehrstoff jedes Kunsterziehungsunterrichts. Sein malerisches Werk machte ihn zu einem Meister der Farbe in der Avantgarde des 20. Jahrhunderts.

Aber gilt nicht eigentlich Paul Klee als ebendieser Meister der Farbe? Immerhin hatte er schon 1914 auf seiner legendären Tunisreise, die er zusammen mit August Macke und Louis Moilliet unternahm, in sein Tagebuch notiert: „Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer. Ich weiss das. Das ist der glücklichen Stunde Sinn: ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler.“ Heute weiß man, dass Klee die Notiz erst 1921 hinzufügte. Zu einer Zeit, als er gerade seine Lehrtätigkeit am Bauhaus in Weimar aufgenommen hatte, an dem Itten freilich schon seit 1919 tätig war.

Johannes Itten (1888–1967) und Paul Klee (1879–1940) wuchsen beide im Kanton Bern auf. Itten war am Lehrerseminar Schüler von Klees Vater. Als junger Dozent des Vorkurses am Bauhaus bemühte er sich um die Berufung des von ihm verehrten Paul Klee an das von Walter Gropius gegründete Institut. Itten lehrte dort nur bis 1923, Klee dagegen bis 1930. Beide forschten über die Farbe und begeisterten sich für Esoterik, Klee eher künstlerisch, während Itten zarathustrische Religion und Lebensreform praktizierte.

Umso verwunderlicher ist, dass die beiden Künstler trotz vieler Gemeinsamkeiten erst im letzten Jahr zum ersten Mal gleichberechtigt in einer Ausstellung gezeigt wurden. Kuratiert vom Kunstmuseum Bern, ist die Schau „Kosmos Farbe. Itten – Klee“ nun im Martin-Gropius-Bau in Berlin zu sehen. Beider Bemühung um die Farbenlehre steht im Fokus der sehenswerten Ausstellung. Sie zeigt aber auch, wie sich der Kunstbegriff der beiden Künstler weiterentwickelte.

Itten blieb trotz aller Verspieltheit im Detail seinem akademischen Anspruch treu. In immer neuen Experimenten versuchte er sich die Farbe zu erklären. Dafür zog er ebenso wissenschaftliche wie psychologische Ordnungsmodelle heran, von der Astrologie bis zur antiken Temperamentlehre, die er zu seiner späten Farbtypologie weiterspann. Klee war die Trennung zwischen Künstler- und Lehrerdasein wichtiger. Seine Gemälde verschmelzen die Strömungen der Zeit zu einem dichten Symbolismus, dessen Farbgewalt sich während der letzten Lebensjahre dann in einem explosiven Schaffensdrang befreit.

■ „Kosmos Farbe. Itten – Klee“. Martin-Gropius-Bau Berlin, bis zum 29. Juli, Katalog 20 Euro