Entdeckung der Langsamkeit: Telekom, Slow Media, Twitter

Das Internet an sich, das ist kein Zweck an sich – sondern ein Mittel. Ein Mittel zu jeder Menge Geld etwa, wenn man die Deutsche Telekom ist. Die nämlich stellte in dieser Woche ihr neues Tarifmodell vor, das nun auf Twitter unter #Drosselkom von Nutzern leidenschaftlich geschmäht wird. Die Idee der Herren in Magenta: Wer zu fest am heimischen Internetzugang saugt, soll mehr zahlen – oder ihm wird die Geschwindigkeit gedrosselt.

So ähnlich wie bei Datentarifpaketen im Mobilfunk also. Das Ende der Flatrate. Und, weil die Telekom die Nutzung zum Beispiel ihres eigenes Videoangebot nicht mitzählen will, auch das Ende der Netzneutralität, also der Gleichbehandlung aller Datenpakete im Internet.

Da ist das Geheule in den digitalen Resonanzräumen natürlich groß – hat man so was doch immer schon geahnt –, und groß ist auch die Befürchtung, dass andere Provider nachziehen. In sozialen Netzwerken kursierten gar Videos, die demonstrieren, wie laaaangsam sich ganz normale Internetseiten mit Telekom-Drosselung aufbauen würden. Ladefortschrittsbalken, die so endlos scheinen wie Werbeblöcke im Privatfernsehen, das erinnert an die Neunziger – an damals, als man sich noch schnell ein Brot schmieren oder einen Sonnengruß turnen konnte, bis die aufwendige Grafik oder das PDF endlich aus diesem Internet geladen waren. Nicht auszudenken, wie viel Lebenszeit draufgehen wollte, wenn man bei dem Tempo versuchen würde, eine Diskussion bei Twitter zu führen. Oder sich gar ein YouTube-Video zu viel ansehen zu wollen!

Würde die Telekom nicht zu einem erheblichen Teil dem Staat, sondern deutschen Presseverlagen gehören, könnte man fast meinen, das sei der Auftakt zu einer teuflischen Print-first-Strategie. Ein langsames Zurück-in-die-Zukunft-Netz als Mittel zum Zweck: Macht man das Internet über den Anschluss nur unattraktiv genug, könnte man bestimmt einen Haufen frustrierter Digital Natives wieder an die gedruckte Zeitung heranführen. Zumindest solange sie die Landesgrenzen nicht verlassen. Slow Media statt Hyperbeschleunigung. Endlich eine Lösung für die weltweite Zeitungskrise. Und Deutschland endlich mal Vorreiter!

Was glasfaserschnelle Überreaktionen anrichten können, hat der gekaperte Twitter-Account der Nachrichtenagentur AP in dieser Woche eindrücklich demonstriert. Ein kleiner Tweet über Explosionen im Weißen Haus – und, zack, die Börse knickt um 136 Milliarden Dollar ein. So nervös, als würde dort die virtuelle Währung Bitcoin gehandelt und als hätte deren Kurs mal wieder Schluckauf. Was zeigt: Mit Twitter Geld verbrennen geht ziemlich leicht.

Genauso wie Glaubwürdigkeit – die nämlich verballerten die Social-Media-Redakteure diverser US-Publikationen binnen weniger Stunden „Manhunt“ rund um Boston mit einem Sperrfeuer aus Falschmeldungen, sodass jetzt ganze Busladungen voll Medientheoretiker darüber sinnieren dürfen, wie man bloß den Journalismus aus dem Elend der Hyperbeschleunigung durch soziale Medien retten kann. Denn wer immer nur sendet, kann zwar gleichzeitig empfangen – kritisch nachrecherchieren wird aber knifflig. Besonders von der Bettkante oder einem kuschligen Newsroom weitab vom Geschehen aus. Dort wird in Zeiten schmaler Redaktionsbudgets immer häufiger gearbeitet. Schon wieder das Internet als Mittel – zur Billigberichterstattung.

Zumindest das Hyperbeschleunigungsproblem haben wir hierzulande nicht. Denn hier kommentiert die Twitteravantgarde einfach brav, was ihr abends so im Fernsehen vorgesetzt wird. Was meist, wenn nicht gerade deutsche Fußballer spanischen Topteams den Hintern versohlen, eine ziemlich aufgezeichnete Angelegenheit ist – vom „Tatort“ bis zur x-ten Talkshow der Woche.

Bei so viel Langeweile, Pardon, digitalem Lagerfeuer, wie das neuerdings heißt, ist es kein Wunder, dass Hacker hiesige Twitteraccounts meist unbehelligt lassen und lieber Accounts von echten Badboys wie Sepp Blatter oder Donald Trump knacken. Oder eben was Öffentlichkeitswirksames wie die Zugänge des Senders CBS oder von AP kompromittieren und volltrollen.

Um damit endlich Schluss zu machen, hat Twitter jetzt eine neue Doppelauthentifizierung angekündigt. Zwei Anmeldeverfahren, um digitale Profile besser zu schützen. Als würden ein paar kleine Zeichenfolgen oder eine Authentifizierung per Telefon tatsächlich Sicherheit bieten können für all die Sendungskanäle und Bankdaten und Geheimnisaufbewahrstationen im Netz, die Tag für Tag mehr unser Ich repräsentieren.

Forscher der Uni Stanford arbeiten an alternativen, tief in unser Hirn eingepflanzten Loginschlüsseln. Statt eines Passworts genügt es, ein simples Spiel zu spielen – der Computer erkennt den Inhaber eines Nutzerkontos anhand der Reaktionen. Das Passwort im Unterbewusstsein sozusagen. Übrigens auch wieder Entschleunigung: Bei jedem Login würde das mehrere Minuten dauern.

MEIKE LAAFF