„Der Mars wäre eine Option“

GALAXIE Die Astrophysikerin Lisa Kaltenegger sucht zweite Erden und fremdes Leben. Ziehen wir bald ins All? Wohnen wir in Raumschiffen? Ein Gespräch über Lichtjahre, roten Himmel und einen guten Kaiserschmarrn nendlichkeit

■ Die Person: 1977 in Kuchl aufgewachsen, einem Dorf südlich von Salzburg. Kaltenegger ist verheiratet und lebt in Heidelberg. Sie spricht sieben Sprachen: Deutsch, Englisch, Spanisch, Italienisch, Niederländisch, Portugiesisch und Japanisch.

■ Die Wissenschaft: Kaltenegger ist Leiterin einer Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut in Heidelberg, unterrichtet außerdem an der Harvard University in Cambridge. Sie war Teil des Forschungsteams, das Mitte April erdähnliche Planeten entdeckte.

GESPRÄCH ALEM GRABOVAC

Sie wartet vor den Toren der Heidelberger Altstadt: verwinkelte Gassen, alte Fachwerkhäuser, die Neckarbrücken. Lisa Kaltenegger ist mit ihrer Größe von 1,83 Meter nicht zu übersehen. „Hier um die Ecke“, sagt sie mit österreichischem Akzent, „ist ein nettes Café, in dem uns die Touristen nicht stören.“ Eine offene Frau, die noch auf dem Weg dorthin zu erzählen beginnt.

sonntaz: Frau Kaltenegger, warum wird man Sternenforscher?

Lisa Kaltenegger: Es gibt nicht diese tolle Geschichte, dass ich als kleines Kind in den Himmel geschaut habe und wusste, dass ich etwas mit den Sternen machen möchte. Zur Astronomie bin ich erst spät gekommen. Mit sechzehn wurde auf unserem Gymnasium das Wahlfach Astronomie angeboten. Ich fand das einfach sehr spannend. Aber da war alles noch offen.

In Graz haben Sie ja auch erst mal fünf Fächer gleichzeitig studiert.

Ich war neugierig auf viele Sachen, habe Astronomie, technische Physik, Chaostheorie, Film- und Medienkunde, Spanisch und Japanisch studiert. Alle sagen ja immer: Man soll sich spezialisieren, spezialisieren, spezialisieren. Aber wenn man sich mit Abweichungen beschäftigt, mit dem Fremden, merkt man, dass einem dabei das Gehirn aufgeht. Das ist wichtig, um nicht nur in Schemata zu denken.

Sie sind mittlerweile Expertin für Planetenatmosphären, lehren am Max-Planck-Institut und der Harvard University. Gerade waren Sie wieder für drei Monate in Cambridge.

Im Augenblick forsche ich dort, sammle Ideen, diskutiere mit meinen Kollegen, denke vor mich hin und verwandle dieses Denken in wissenschaftliche Argumente und Thesen. Sonst habe ich dort sogenannte „Core-Kurse“ gehalten. Das sind Lehrveranstaltungen für Studenten außerhalb der Naturwissenschaften. Dort sollen sie analytisches Denken und die Grundlagen der Naturwissenschaften kennenlernen. Leute wie Barack Obama haben diese Kurse besucht. Vor der Veranstaltung hat mich jemand zur Seite genommen und gesagt: Lisa, mach einen guten Job, denn deine Schüler sind die zukünftigen Senatoren und Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Das war schon witzig. Man schaut sich die Studenten so an und fragt sich: Wer von denen könnte der nächste Präsident werden?

Und, haben Sie einen entdeckt?

Ach, da gab es mehrere Kandidaten und Kandidatinnen.

Wenn Sie nicht dem nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten die Grundlagen der Astrophysik beibringen, fahnden Sie nach zweiten Erden. Sie suchen Spuren möglichen Lebens auf Exoplaneten. Was ist das, ein Exoplanet?

Ein Planet, der um einen anderen Stern kreist, also um eine andere Sonne als die unsere. Exo bedeutet extrasolar, also außerhalb unseres Sonnensystems.

Wie weit sind diese Exoplaneten von der Erde entfernt?

Die am nächsten gelegenen zwischen vier bis fünfzig Lichtjahre.

Wie viele Kilometer sind das?

Puuh. Das weiß ich jetzt gar nicht im Kopf. Aber wir können es ja ausrechnen. Pro Sekunde legt das Licht 300.000 Kilometer zurück. Mal 60 sind wir bei einer Minute. Mal 60, dann bist du bei einer Stunde. Mal 24, dann bist du bei einem Tag. Mal 365, dann bist du bei einem Jahr. Und dann noch mal vier. Das sind also dann mehrere Billionen Kilometer.

Und Sie können anhand des Lichts von diesen mehrere Billionen Kilometer entfernten Planeten sagen, wie es dort ungefähr aussieht und ob dort Leben existiert?

Jeder Planet reflektiert Licht. Mit Teleskopen können wir dieses Licht wahrnehmen. Ein Stern oder Planet hat eine Atmosphäre, die aus Atomen oder Molekülen besteht. Diese Atome oder Moleküle nehmen eine ganz spezielle Energie auf. Fehlt diese Energie dann im Licht, muss eben dieses Molekül oder dieses Atom in der Atmosphäre dieses Planeten sein. Damit können wir für jeden Planeten einen spektralen Fingerabdruck erstellen.

Wie sehen diese Planeten aus?

Viele gleichen dem Jupiter mit einer Bandstruktur. Wahrscheinlich gibt es dort große Wirbelwinde und eine Gasatmosphäre mit Wolkendecken in verschiedenen Farben. Dort ist es sehr heiß, bis zu 2.000 Grad Celsius. Wir haben auch schon die ersten Steinplaneten gefunden, die so nahe am Stern sind, dass auf der ganzen Oberfläche flüssige Lava existiert. Es ist einfach so heiß, dass alles schmilzt. Aber wir haben jetzt auch schon die ersten kleinen Planeten gefunden, die kühl genug sind, dass es flüssiges Wasser auf ihrer Oberfläche geben könnte. Ob sie felsig sind und Wasser haben, können wir noch nicht sicher sagen.

Da wird es interessant. Mit Wasser entsteht ja die Chance auf Leben.

Genau. Und Hubble wird jetzt bald, im Jahr 2018, durch das größere James-Webb-Teleskop im Weltraum ersetzt. Mit diesem Teleskop können wir vielleicht schon herausfinden, ob es auf diesen kleinen Planeten Spuren von Wasser oder von Leben gibt.

Sie sind also eine Detektivin im All, die anhand des Lichts, anhand von spektralen Fingerabdrücken außerirdisches Leben im Universum sucht.

Ich erarbeite Modelle, um herauszufinden, ob es auf diesen Planeten flüssiges Wasser geben kann und damit auch die Grundlage für Leben. Wenn ich also Spuren von Sauerstoff, Wasserdampf und Methan im Licht nachweisen könnte, würde das bedeuten, dass es auf diesem Planeten Leben geben könnte. Sie müssen sich das wie bei diesen CSI-Serien vorstellen: Es gibt eine Datenkartei mit Fingerabdrücken, die Sie durchsuchen können. Ich erstelle diese Datenbasis für Planeten, das heißt, jeder Planet, wie auch zum Beispiel die Erde, hat einen bestimmten spektralen Fingerabdruck, und wenn ich auf einem Exoplaneten einen ähnlichen Fingerabdruck finde, könnte dies eine zweite Erde mit Leben sein.

Wie nahe sind wir denn dran, eine zweite Erde zu finden?

Ganz nahe. Das wird nicht mehr lange dauern. Ich schätze in den nächsten fünf bis zehn Jahren wird es so weit sein. Wir finden schon Planeten, die potenziell wie unsere Erde sein können. Aber um das zu messen, den Lichtfingerabdruck auf Spuren von Leben abzusuchen, dafür brauchen wir größere Teleskope, die zurzeit noch in der Bauphase sind.

Wie könnte so eine zweite Erde aussehen?

Vorstellbar wäre, dass man dort eine rote Sonne sieht, oder dass dieser Planet um zwei Sterne kreist, sodass es in der Nacht nicht mehr dunkel wird. Da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Die Pflanzen sind ja hier nur grün, weil sie ein Teil des Lichts zurück reflektieren. Wenn wir aber einen roten Stern hätten, würden die Pflanzen dort wahrscheinlich alles Licht absorbieren, dann hätte man eine Welt mit rotem Himmel und dunklen Pflanzen.

Bei der Entdeckung, die Sie am 18. April mit einigen anderen Wissenschaftlern bekanntgaben, handelte es sich also nicht um eine zweite Erde, sondern um erdähnliche Planeten.

Ja. Was Kepler-62e und Kepler-62f so spannend macht, ist zweierlei: Zum einen kennen wir ihren Radius, und der weist daraufhin, dass es sich in der Tat um erdähnliche Planeten handelt. Außerdem liegen diese Planeten in der habitablen Zone ihres Sterns. Das macht sie zu den besten Kandidaten für habitable Planeten, die wir kennen. Das sind zwei Planeten, klein genug, um Felsbrocken wie unsere Erde oder Wasserwelten zu sein. Und sie sind im richtigen Abstand zu ihrem Stern, sodass es auf der Oberfläche flüssiges Wasser geben kann.

Wie weit sind sie von der Erde entfernt?

1.200 Lichtjahre. Also sehr weit.

Und wie sieht es dort aus?

Da kann ich nur spekulieren. Aber wenn Sie mich etwas spekulieren lassen, dann könnten Sie am Nachthimmel dieser Planeten den jeweils anderen Planeten als wunderschönen blauen Planeten sehen. Die kommen einander so nahe wie Venus, wenn sie uns am nächsten kommt. Die Sonne würde rot am Himmel stehen. Und sollten diese Planeten wirklich Wasserwelten sein, dann wären da Ozeane, so weit ihr Auge reicht.

Mal angenommen, Sie würden dort hinziehen. Was würden Sie auf der Erde vermissen?

Besonders meine Freunde, die ich, fürchte ich, kaum alle in ein Raumschiff packen könnte.

„Es gibt Milliarden von Planeten. Schwer vorstellbar, dass Leben nur auf der Erde existieren soll“

Wie viele Planeten gibt es eigentlich in unserer Galaxie?

Nach letzten Hochrechnungen mehrere Milliarden.

Und wie viele Galaxien gibt es?

Wiederum Milliarden.

Macht Ihnen diese Weite manchmal Angst?

Angst macht mir das keine. Ich denke eher: Wir schauen gerade über unseren Tellerrand hinaus und dahinter warten faszinierende Überraschungen auf uns. Wir machen gerade den ersten Schritt, sehen uns neue Welten in unserer Nachbarschaft an. Das ist beeindruckend, in einer Zeit zu leben, in der wir herausbekommen können, ob es Planeten wie den unseren gibt und ob dort möglicherweise Leben existiert.

Glauben Sie, wir finden fremdes Leben?

Es gibt Milliarden von Planeten. Darüber hinaus sehen wir Wasser und Kohlenstoff überall im Universum. Es ist schwer vorstellbar, dass Leben nur auf der Erde existieren soll. Persönlich hoffe ich, dass wir bald Spuren von Leben finden werden.

In der UNO gibt es ein Office For Outer Space. Dort sitzt eine Person, die, für den Fall der Fälle, Kontakt mit Außerirdischen aufnehmen soll.

Das ist jedenfalls die Theorie. Man müsste erst Kommunikation etablieren, Mathematik könnte da eine universelle Sprache sein. Deswegen sendet man Signale in der Form von Primzahlen ins All, um zu schauen, ob es dort Zivilisationen gibt, die Mathematik verstehen. Aber sollten wir wirklich einmal auf Außerirdische stoßen, haben wir auch die Verantwortung, dass wir da nicht irgendetwas anstellen.

Was meinen Sie damit?

Die Frage ist, falls wir auf eine andere Zivilisation treffen, ob wir ihre Entwicklung stören würden. Besonders primitive Zivilisationen sollten wir am Anfang nur beobachten und noch keinen Kontakt aufnehmen. Wenn wir sie stören, würden wir niemals erfahren, wie sie sich ohne uns weiterentwickelt hätten. Wir könnten nicht mehr sehen, was sie ohne uns noch erfunden hätten. Darüber hinaus würden wir unsere Probleme – ich meine Kriege, Krankheiten, Seuchen – wahrscheinlich auf diese Zivilisation übertragen. Denken Sie nur an all die Bakterien und Viren, die wir dorthin mitnehmen würden. So etwas könnte fatale Folgen haben, die bis zur Vernichtung reichen.

In den Science-Fiction-Filmen ist es ja meistens andersrum. Da wird die Menschheit von außerirdischen Wesen bedroht. Ärgern Sie diese Filme?

Nicht wirklich. Diese Filme wollen unterhalten. Generell bin ich aber kein großer Fan von Science-Fiction. „Avatar“ hat mir ganz gut gefallen. Oder der Film „Kontakt“, an dem ich den Kontext mochte: Wissenschaft versus Politik. Die Wissenschaftler fragen sich, wem sie ihre Entdeckung erzählen sollen. Nachdem sie entschieden haben, dass alle davon erfahren sollten, sieht man in der nächsten Einstellung die Militärhubschrauber über dem Forschungszentrum kreisen. Das finde ich sehr realitätsnah. Jeder Wissenschaftler hat eine Verantwortung.

Welche denn?

Stellen wir uns vor, wir könnten zu den Außerirdischen fliegen. Wer würde dann an dieser Mission teilnehmen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass da fröhlich-friedliche Wissenschaftler sitzen würden, die einfach nur neugierig sind. Ich glaube, dass das eine militärische Mission werden würde. Die würden schauen: Sind die böse? Können die uns irgendwas antun? Haben die was, das wir brauchen? Wenn hinfliegen möglich wäre, müsste ich mich ernsthaft fragen, ob ich mit meiner Entdeckung etwas in Gang setzen würde, worunter andere Lebewesen leiden könnten. Wenn Sie sich zum Beispiel anschauen, welche Vorwürfe sich die Erfinder der Atomenergie nach dem Abwurf der Atombombe gemacht haben, möchten Sie nicht in deren Haut stecken.

Glauben Sie, dass wir irgendwann auf einem anderen Planeten leben?

Wir haben noch ein paar Milliarden Jahre Zeit, bis es zu heiß wird. Aber klar, irgendwann müssen wir weg. Vom Kostenaufwand wäre es das Gescheiteste, wenn wir irgendwo in unserem Sonnensystem einen Planeten finden würden. Der Mars wäre da eine Option. Aber man kann sich natürlich auch riesige Raumschiffe vorstellen, in denen wir dann leben.

Kann man als Astrophysikerin an Gott glauben?

Sagen wir es so: Wenn man die Religionen beim Wort nimmt, hat man ein Problem, denn es schaut nicht so aus, dass die Welt in sieben Tagen erschaffen wurde. Wenn man sie jedoch als Metapher nimmt, kann man natürlich auch als Wissenschaftler an Gott glauben.

Einige Wissenschaftler sind allerdings auf dem Scheiterhaufen gelandet, weil der Kirche bestimmte Ergebnisse nicht gepasst haben.

Es wird gefährlich, wenn die Religion die Wissenschaft als Feind ansieht. Dann wird es fanatisch, weil man nicht mehr miteinander diskutieren kann. Fanatismus erlaubt keinen Dialog, das muss man unbedingt verhindern.

Stimmt es, dass ein Asteroid Ihren Namen trägt?

In der Harvard University gibt es das Minor Planetary Center. Dort werden Asteroiden benannt. 2007 habe ich einige Preise gewonnen und irgendwann kam ein Kollege zu mir und sagte: Lisa, du bist doch am 4. März 1977 geboren. Der Asteroid mit der Nummer 7734, also meinem Geburtsdatum, hatte noch keinen Namen. Ein Gremium entschied dann, dass er Kaltenegger 7734 heißen soll. Das war natürlich eine große Ehre.

Was sieht eine Sternenforscherin, wenn sie im Sommer in den hellen Nachthimmel schaut?

„Wenn man sich mit mit dem Fremden beschäftigt, merkt man, dass einem dabei das Gehirn aufgeht“

Meinen Asteroiden kann ich jedenfalls nicht sehen, der ist einfach zu klein. Als Privatperson finde ich den Sternenhimmel einfach nur schön, das ist ein bisschen wie Kunst für mich. Als Astrophysikerin sehe ich die Milchstraße, unsere Galaxie, die ja eine Scheibe ist und die wir wegen den vielen Sternen als weißes Band wahrnehmen. Und dann blicke ich woandershin und denke: Da ist gerade eine Region, in der Sterne und Planeten geboren werden.

Hatten Sie nie den Wunsch, da als Astronautin hochzufliegen?

Es wäre interessant, aber die Wissenschaft würde ich dafür nicht aufgeben. Ich finde es gerade einfach faszinierender, über den Computer die Rätsel im Licht anderer Welten zu entschlüsseln. Ich würde natürlich gerne einmal hochfliegen, um die Erde von oben zu sehen. Aber zum Mars zu fliegen stelle ich mir eher langweilig vor. Das Astronautentraining lässt kaum Zeit für die Wissenschaft und die sechs Monate Flug stelle ich mir auch eher langweilig vor.

Sind Sie, wie andere Leute in ihrem Dorf oder ihrer Stadt, im Sonnensystem zu Hause?

Absolut. Unsere Sonne und unsere Planeten sind für mich so etwas wie Heimat.

Was vermissen Sie als Österreicherin in Heidelberg?

Einen richtig guten Kaiserschmarrn, unten angebraten mit Zucker, sodass er spinnt.

Er muss spinnen?

Der Kaiserschmarrn muss flaumig sein und zum Schluss mit Zucker in der Pfanne angebraten werden, also karamellisiert. Damit der Kaiserschmarrn knusperig wird, damit er spinnt.

Was wünschen Sie sich noch für Ihren Beruf?

Ich würde gern das Spektrum des ersten erdähnlichen Planeten auf meinem Computer sehen.

Träumen Sie manchmal vom Nobelpreis?

Eigentlich ist es mir nicht wichtig, wer dafür den Nobelpreis bekommt, solange ich die Daten als Erstes auf meinen Computer bekomme. Den ersten Datensatz einer zweiten Erde auf meinem Computer zu haben, die ersten Spuren von fremden Leben auf meinem Computer zu sehen, davon träume ich schon.

Alem Grabovac, 39, ist sonntaz-Autor. Außerirdischen würde er als Willkommensgruß Mozarts „Kleine Nachtmusik“ vorspielen