Dreifach-Protest gegen Hartz IV

Den Reichen in die Suppe spucken, den Betroffenen vor Ort helfen und gemeinsam auf die Demo gehen: Mit diesem Protestmix wollen Initiativen gegen Hartz IV kämpfen. Schwarzbuch vorgelegt

VON ULRICH SCHULTE

Arbeitslosenorganisationen und Hartz-IV-Gegner haben angekündigt, im Kampf gegen die Arbeitsmarktreform zu neuen Protestformen zu greifen. „Wir werden Großdemonstrationen mit Aktionen des zivilen Ungehorsams und bunten Protesten kombinieren“, sagte gestern Peter Grottian vom Berliner Sozial Forum. Die Montagsdemo, zu der sich nach wie vor rund 150 Unverzagte Woche für Woche treffen, hätte bei dem Modell aber nicht ausgedient. Ein Protestmix soll sie ergänzen und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wieder auf die Hartz-IV-Gesetze richten, die vor einem Jahr in Kraft traten – und in den Augen der Aktivisten „menschenunwürdig“ und ein „bewusstes Verarmungsprogramm“ sind.

Für die Kontrolleure, die im Auftrag der Jobcenter zum Beispiel die Wohnungen von Arbeitslosengeld-II-Empfängern (ALG II) kontrollieren, hätte der nicht angemeldete Blick in den Kühlschrank dann unangenehme Folgen: „Die Sozialschnüffler werden auf offensive Gegenwehr stoßen – denkbar wäre ein unfreiwilliges Outing in der Nachbarschaft oder die Einschränkung ihrer Mobilität“, sagte Guido Arnold von der Dokumentationsstelle Hartz IV. Nachbarn sollen mit Zahnbürsten werfen, Freunde mit Kissen, und „Mobilität einschränken“ klingt nach Luft aus den Autoreifen lassen. Derlei Protestwünsche dürften wohl nur den harten Kern reizen.

Eine Großdemonstration in Berlin soll hingegen die Masse mobilisieren. Der Termin steht noch nicht fest: „Vielleicht Anfang April, vielleicht später“, sagte Grottian. Neues Jahr, neuer Protest, neue Verbündete, lautet dabei die Losung. Man werde auch mit Organisationen wie Greenpeace zusammenarbeiten, betont der Politologe.

Ihre Erfahrungen nach einem Jahr Hartz IV haben die Initiativen in einem Schwarzbuch zusammengefasst. Ein Fazit: Die Behörden setzen darauf, Leistungen zu verweigern. Es gebe eine Masse falscher Bescheide, Einkünfte aus Nebenjobs würden falsch angerechnet, manche Zuschläge gleich ganz weggelassen, sagte Anne Allex vom Runden Tisch der Erwerbslosen- und Sozialhilfeorganisationen. Das Sozialgericht arbeitet wegen der ALG-II-Verfahren am Limit seiner Leistungsfähigkeit. Bis Jahresende verzeichnete das Gericht 7.000 Klagen und Eilanträge, 4.000 sind abgeschlossen – 2006 werden sich 17 Richter nur um Hartz IV kümmern. „Wenn die Behörden über die Angemessenheit des Wohnraums entscheiden, rechnen wir mit einer neuen Klageflut“, sagt Gerichtssprecher Michael Kanert.

In dem Gesetz steht, dass die Behörde im ersten Jahr des ALG-II-Bezugs die Wohnkosten komplett übernimmt. Danach müssen die Betroffenen in Berlin bestimmte Warmmieten einhalten – für eine Person darf sie beispielsweise höchstens 360 Euro betragen. Die Jahresfrist endet nun bei vielen. Doch ob die Behörden tatsächlich Leuten in den nächsten Wochen Zwangsumzüge aufdrücken, ist längst nicht klar. Da bliebe zum einen die Anregung der Hartz-IV-Gegner, die Möbelpacker per Kissenschlacht im Treppenhaus festzusetzen.

Zum anderen betont die Sozialverwaltung, dass die 405.000 erwerbstätigen Hilfebedürftigen noch ein halbes Jahr Zeit haben, bevor – als letztes Mittel – der Umzug droht. „Selbst wenn eine Aufforderung vorliegt, die Mietkosten zu senken, gibt es Lösungen“, so Sprecherin Roswitha Steinbrenner. „Zunächst steht die Einzelfallprüfung an.“ Oft seien die vom Vermieter angesetzten Betriebskosten zu hoch, Betroffene könnten ein Zimmer untervermieten oder die Differenz zur erstatteten Miete aus eigener Tasche zuzahlen.

Infos zum Schwarzbuch Hartz IV: www.assoziation-a.de