Masse statt Klasse schadet Patienten

REAKTIONEN Krankenhausvertreter finden die Kritik an den vielen Operationen falsch. Gesundheitspolitiker fordern Umdenken

BERLIN taz | Wie unterschiedlich man eine Studie lesen kann: Das Gesundheitsministerium, die Krankenkassen und GesundheitspolitikerInnen sind sich weitgehend einig darin, dass in deutschen Krankenhäusern zu viel operiert wird. Doch die Deutsche Krankenhausgesellschaft sieht das ganz anders: „Dass Deutschland bei der Häufigkeit einer Reihe von Behandlungen eine Spitzenposition einnimmt, ist als Qualitäts- und Vertrauensbeweis für die Krankenhäuser in Deutschland zu werten“, flötet der Verband in seiner Presseerklärung. Die Deutschen sind demnach nicht überversorgt, sondern die Patienten anderer OECD-Länder leider unterversorgt.

Ulrike Elsner, Chefin des Verbands der Ersatzkassen, sieht die vielen Eingriffe eher kritisch: „Das heutige Vergütungssystem belohnt Krankenhäuser, die statt Qualität Masse produzieren. Das muss ein Ende haben“, sagt sie. In deutschen Krankenhäusern werde zu viel und zu schnell operiert, „das schadet den Patienten und den Beitragszahlern“. Auch Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) fragte auf der Krankenhaus-Konferenz von OECD und Gesundheitsministerium am Donnerstag, „ob nicht auch Fehlanreize bestehen“. Prüfen wolle man, „welche Anreize gesetzt werden können, damit die Kliniken profitieren, die eine gute Behandlung anbieten, und nicht die, die einfach nur mehr operieren“. Bahr habe deshalb eine Studie in Auftrag gegeben, die Ende Juni vorliegen soll. Darüber wiederum kann SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach nur lachen: „Seit Jahren ist das Problem bekannt. Die FDP-Gesundheitsminister hätten schon längst eine Strukturreform angehen müssen.“ sagte er der taz. „Es fehlt an der Kompetenz und dem politischen Willen.“

Kleinere Hospitäler versuchten oft, ihre Kassen durch möglichst viele Operationen zu füllen, sie müssten besser finanziert werden. Um zu erkennen, ob ein Eingriff unnötig ist, sollten die PatientInnen eine zweite Meinung einholen können. Diesen Vorschlag habe die SPD schon vor langer Zeit gemacht.

Die Gesundheitspolitikerin der Grünen, Birgitt Bender, sieht auch an anderer Stelle Reformbedarf: „Wir haben in Deutschland zu viele Krankenhausbetten“, erklärt sie. Diese Betten versuchten die Kliniken dann auch zu belegen. „Natürlich ist es für die einzelnen Gemeinden schwer, so ein Haus zu schließen,“ sagt Bender. „Aber eine Bereinigung der Landschaft ist noch zu leisten.“

HEIDE OESTREICH