Uralte Äpfel dauerhaft ganz frisch

Neuester Trend aus den USA: Eine Chemikalie stoppt den natürlichen Fäulnisprozess. Mit ihr behandeltes Obst sieht deshalb auch nach Monaten noch erntefrisch aus. Weder sind Nebenwirkungen erforscht, noch gibt es eine Kennzeichnungspflicht

AUS STOCKHOLMREINHARD WOLFF

Die Äpfel am Obststand können wie frisch vom Baum aussehen – und in Wirklichkeit ein Jahr alt sein. Möglich macht das eine Chemikalie. Wissenschaftsdeutsch heißt sie 1-Methylcyclopropen, die US-Agrofresh vertreibt sie seit 2002 allerdings unter dem Namen SmartFresh. Der Witz des Gases ist: Die Chemikalie verlangsamt den natürlichen Reife- und Fäulnisprozess so stark, dass Äpfel auch nach Monaten noch völlig frisch aussehen und von tatsächlich frisch gepflückten nicht mehr zu unterscheiden sind.

Auch in der EU ist die Substanz inzwischen zugelassen. Allerdings unterliegt ihre Verwendung keiner Kennzeichnungspflicht. So ist unklar, inwieweit auch deutsche und europäische Obstanbauer ihre Ernte mit SmartFresh begasen. Bekannt ist aber, dass sie vor allem in Nord- und Südamerika, Südafrika und Neuseeland reichlich zur Anwendung kommt.

Die Chemikalie ist laut der Stockholmer Tageszeitung Svenska Dagbladet kürzlich auf einer Obstanbaukonferenz als „revolutionär“ gefeiert worden, „da man endlich das von der jeweiligen Fruchtsaison abhängige Angebot durch einen gleichmäßigen Warenfluss ersetzen kann“. Und man hofft, bald auch Ananas, Avocados, Bananen und sonstigen Früchten ein längeres Leben eingasen zu können. Doch auch wenn sich dank 1-Methylcyclopropen ein einwöchiger von einem einjährigen Apfel im Biss kaum unterscheidet, ist das Resultat für den Verbraucher eher zweifelhaft. Zwar wird der Fäulnisprozess fast gestoppt, doch durch die Begasung wird der Abbau der Vitamine, vor allem des Vitamin-C-Gehalts, offenbar weit weniger gut verlangsamt. „Die Studien, die ich kenne, sind insoweit nicht sehr überzeugend“, sagt Katarina de Verdier von einer großen Fruchtimportfirma.

Dazu kommt Unsicherheit über mögliche schädliche Gesundheitswirkungen der Behandlungsmethode. Der Großteil aller Importäpfel ist derzeit noch auf herkömmliche Art kräftig gespritzt. Wie diese Chemikalien auf die Begasungsmethode reagieren, ist unbekannt.

Allerdings: Die 1-Methylcyclopropen-Konzentrationen, die zur Begasung gebraucht werden, sind äußerst gering. Was laut Harri Vertio, Generalsekretär der finnischen Krebsschutzorganisationen, aber nichts über deren jeweilige Gefährlichkeit aussagt. „Niemand kann derzeit garantieren, dass die künstliche Frische risikofrei ist“, so Vertio.

Karl Schmitz, Geschäftsführer der „Bundesvereinigung der Erzeugerorganisationen Obst und Gemüse e.V.“, hält die Methode vor allem für unnötig. Es herrsche sowieso ein Überangebot an Äpfeln. Zwischen Juli und September hätten Äpfel aus drei Ernten in den Supermärkten gelegen: Reste der alten europäischen Ernte von 2004, Überseeernte von 2005 und europäische Ernte von 2005. Es helfe daher niemandem in der Branche, die Äpfel immer länger frisch zu halten. Schmitz: „Da verliert nämlich jeder, vom Produzenten bis zum Konsumenten. Und alle Zahlen beweisen, dass die Verbraucher nicht mehr essen, weil die Äpfel billiger sind.“

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