Die befreite Frau

Susanne Osthoff will nicht nach Deutschland kommen. Warum sollte sie auch? Ihre Heimat ist Irak. Und sie kann tun und lassen, was sie will – auch wenn es der deutschen Öffentlichkeit nicht gefällt

VON KLAUS HILLENBRAND

Weihnachten naht, und keine Susanne Osthoff ist in Sicht. Es hätte doch so herzerwärmend werden können: die befreite Geisel im Kreis ihrer lieben Verwandtschaft im oberbayerischen Glonn. Ihre 12-jährige Tochter schmiegt sich an die knapp dem Tode Entronnene. Mutter, Schwester und Bruder sitzen mit glänzenden Augen auf der Wohnzimmercoach daneben, die Kerzen des Christbaums werfen ihr warmes und flackerndes Licht. Und alle, von ARD bis Bild, bringen die tränenreichen Bilder.

Keine mediale Idylle

Frau Osthoff hat sich offenbar gegen diese mediale Idylle entschieden. Über ihren genauen Aufenthaltsort ist nichts bekannt. Angeblich trifft sich die 43-jährige Archäologin mit ihrer Tochter in einem nahöstlichen Land. Entgegen der landläufigen Auffassung hat die deutsche Öffentlichkeit kein Recht auf eine glücklich befreite Geisel. Susanne Osthoff kann tun und lassen, was ihr beliebt. Dazu, dass sie sich dieses Recht auch nimmt, kann man ihr nur gratulieren.

Frau Osthoff hatte schon seit Jahren kaum Kontakt zu ihrer Familie, von der es heißt, diese habe ihr einmal anempfohlen, doch lieber Verkäuferin bei Aldi zu werden statt Archäologie zu studieren. Ob sie die Verwandtschaftsbande nun wieder aufleben lässt, ist allein ihre urpersönliche Angelegenheit. Frau Osthoff lebte in den letzten Jahren mehr im Nahen Osten als in Mitteleuropa. Warum sollte sie nun eiligst in die bayerische Heimat reisen? Frau Osthoff ist Muslimin, die nach eigenem Bekenntnis auch gern mal ein Bier trinkt – wie viele Muslime. Warum sollte sie überhaupt Weihnachten in Deutschland feiern? Bier gibt es auch in Beirut.

Doch was steckt hinter all den Forderungen nach der Präsenz „unserer“ Susanne O.? Eine Bringschuld für die von den Deutschen geleistete Solidarität mit der Geisel hat Osthoff jedenfalls nicht. Zu dürftig, ja geradezu beschämend winzig blieben die Kundgebungen für sie in der Heimat. Es ist zu befürchten, dass diese mangelnde Herzlichkeit der Deutschen nicht auf ein fehlendes Nationalgefühl zurückzuführen ist, sondern auf die Person Osthoff selbst. Eine geschiedene Muslimin, das Kind im Internat, hilft im Kriegsgebiet selbstlos den Menschen und begibt sich dabei selbst in Gefahr: Hat so jemand des deutschen Volkes Hilfe überhaupt verdient?

Die private Entführung

Wenn die Bevölkerung schon wenig bis gar nicht am Schicksal der Geisel interessiert war, dann aber reduziert sich die Wo-ist-Osthoff-Suche auf eine mediale Seifenblase, einzig dazu dienend, ein paar schöne Schlagzeilen abzuwerfen, bevor sie zerplatzt. Dass die ehemalige Geisel durch ihre fortwährende Abwesenheit diese Schlagzeilen verhindert hat, kann ihr gar nicht hoch genug angerechnet werden.

Eine Entführung ist nämlich eine höchst private Angelegenheit. Da geht es um Schmerzen, Verzweiflung, Angst. Daran sollten nach der geglückten Befreiung Freunde teilhaben, möglicherweise Psychologen, vielleicht auch der Bundesnachrichtendienst. Wenn es dem Opfer hilft, auch die Öffentlichkeit. Wenn nicht, dann nicht.