Gelächter im swingenden Schaufelrad

DEA LOHER Andreas Kriegenburg inszeniert Dea Lohers neues Stück „Diebe“ am Deutschen Theater Berlin im Stile eines Stationendramas

Ein ganz normaler Versicherungsagent ist das nicht: Erwin verkaufte einst Spezialpolicen für höhere Gewalt und war gleichzeitig unschlagbar im Aufspüren von menschlichem Versagen. Mira plant auch nicht einfach nur eine Abtreibung. Sondern verneint, ein Kind haben zu können, wenn man selbst nicht weiß, wo man herkommt. Also sucht ihr Freund, der eigentlich Bestatter ist, nach einem Lebenden: dem anonymen Samenspender, der Miras Vater ist.

Und doch wird noch ein totes Kind zu beklagen sein: Erwins Sohn, der, einsam und verarmt, aus der Wohnung gesprungen ist. Ein Fall, bei dem selbst der Vater höhere Gewalt nicht mehr von menschlichem Versagen unterscheiden kann. Die Figuren in Dea Lohers neuem Stück „Diebe“ stammen aus der Gegenwart. Aber es ist eine zeitlose Schicksalsgemeinschaft, in die ihre Leben verwoben sind. Unkalkulierbare Kräfte müssen ertragen werden, die sich mal in die eine, mal in die andere Richtung wenden, das ganze Kippelige der Existenz, das jenseits von kulturellen oder gesellschaftspolitischen Zuschreibungen existiert.

Dea Loher hat im deutschen Theater eine herausragende Rolle als Schmerzensfrau, die auch Verlierern und Ausgestoßenen eine Stimme verleiht und existenzielle Nöte zeigt. Umso größer ist die Überraschung über den Geist der Komödie, der in der „Diebe“-Inszenierung von Andreas Kriegenburg am Deutschen Theater Berlin herrscht. Gelächter passt bei Lohers Figuren also auch. Jazzig-swingende Musik, die viele Szenen untermalt, trägt zusätzlich zur Lockerheit bei.

Atmosphärisch ist es eine Art Puppenhaus, in dem gespielt wird. Nur ganz anders angelegt: Wie ein drehendes Schaufelrad klappen hell gepinselte Räume auf, die auch Spielfläche sind. Finn (Jörg Pose), der Sohn, der sich umbringen wird, liegt dort verstrubbelt zwischen Daunendecken. Und wenn sich das Rad nach oben dreht, befördert es unten neue Figuren zutage. Am Anfang sitzt Linda (Judith Hofmann) allein am Tisch, der für drei gedeckt ist, und erzählt, dass sie einen Wolf gesehen hat, doch keiner glaubt ihr.

Schon glaubt sie es selbst nicht mehr – ein kleines Drama über das Verschwinden der Dinge und darüber, auch als Beobachter kaum Gewissheit zu haben. Es geht dann aber leider mit realen Begegnungen weiter. Im Stil eines Stationendramas trifft Linda die Supermarktleiterin, den Bestatter ihres Bruders, den Freund des Bruders, der am Ende an einem Gedeck sitzen wird. Begegnungen, aus denen sich ein Befindlichkeitspanorama bilden könnte, wenn, ja wenn klarer wäre, durch welche Mentalitätsgeschichte die Figuren eigentlich gehen und was von außen auf sie wirkt.

Das Bühnenschaufelrad, das vor- und zurückdreht, liefert schöne metaphorische Bilder: Der Ehemann der Supermarktleiterin wird an einem Arm in die Lüfte gehoben, abgehängt von ihrer Karriere. Gabi und ihr Freund kleiden die Wand provisorisch mit Fotos von Möbeln, ein kurzer Moment des Glücks, bis sich das Rad weiter bewegt. Warum soll man sich immer nur im Unglück erkennen, wie es das Theater so liebt, und die Versuche, das eigene Schicksal zu bestimmen, nicht als Witz erzählen?

Kriegenburg hat zahlreiche Stücke von Dea Loher zur Aufführung gebracht und ihnen meist ein optimistischeres Weltbild entgegengesetzt. Aber die Komik gerät im Laufe des Abends zunehmend überzeichnet.

Vom einstigen Samenspender Schmitt und seiner Ehefrau bleibt nur die Karikatur eines biederen 60er-Jahre Ehepaars, das zwischen Erotik und Angstlust changiert. Albern geht es auch auf dem Polizeirevier zu, wenn eine Frau nach 43 Jahren Warten ihren Ehemann als vermisst meldet.

Das Überzeichnen stört die rädchenartige Zusammengehörigkeit der Figuren und verstellt den Blick auf den Kern von Lohers Stück. Nach vier Stunden Kriegenburg offenbart er sich am ehesten im letzten Standbild: Die zwölf Schauspieler stehen vorne auf der Bühne und schauen über das Publikum hinweg in die Ferne. Alle zum ersten Mal gemeinsam und doch jeder für sich, in stummer Ratlosigkeit, was da noch kommen mag. Aber das große Drama kann einen auf den letzten Drücker nicht mehr packen. SIMONE KAEMPF