Wo sind denn die Frauen?

KAUKASUS Schriftstellerinnen erobern die Literaturszene Georgiens. Der Sammelband „Techno der Jaguare“ will nun auch in Deutschland zu ihrer Entdeckung beitragen

VON ELISE GRATON

Die kaukasische Literaturszene scheint viele spannende Autorinnen hervorzubringen. Spätestens seit ihrem zweiten Roman „Mein sanfter Zwilling“ ist die deutschsprachige, aus Georgien stammende Autorin Nino Haratischwili kein Geheimtipp mehr: Ihre bewegende Geschichte zweier sich liebender Adoptivgeschwister wurde auf der Frankfurter Buchmesse 2011 mit dem Preis der unabhängigen Verlage geadelt. Ein Jahr später begeisterte die ebenfalls georgische Schriftstellerin Tamta Melaschwili die hiesige Leserschaft: Ihr ins Deutsche übersetzter Debütroman „Abzählen“ über den Krieg aus Teenagersicht wurde sowohl vom Publikum als auch von der Kritik durchweg positiv aufgenommen.

Zur Entdeckung dieser und weiterer fünf georgischer Erzählerinnen soll jetzt auch der Band „Techno der Jaguare“ beitragen – mit Kurzgeschichten, Romanauszügen, bis hin zu einem Einakter. Sowohl im Genre als auch im Ton zeugen die ausgewählten Texte von großer Lebhaftigkeit und Vielfalt: Anna Kordzaia-Samadaschwili etwa erzählt im flirrenden Perspektivwechsel von einer plumpen Frau, der überraschend attraktive Männer verfallen sind; Maka Mikeladze bedient sich einer feinen Prise Surrealismus und Fantasy (dem Nacken ihrer Protagonistin entwachsen Bücher); und Tamta Melaschwili lässt sich genüsslich die macho-derbe Krimisprache der 40er auf der Zunge zergehen, während ihre Heldin, eine Profikillerin, zum ersten Mal dem eigenen Gewissen begegnet. Eines haben die Texte der zwischen 1964 und 1983 geborenen Autorinnen jedenfalls alle gemeinsam: Die Hauptrolle gehört einer Frau.

Den Impuls zu diesem Sammelwerk erhielt Herausgeberin Manana Tandaschwili bei der Frankfurter Buchmesse 2010. Damals, als sie gemeinsam mit ihrem Kollegen Jost Gippert eine erste Anthologie georgischer Gegenwartsliteratur vorstellte, soll eine Besucherin gefragt haben: „Wo sind denn die Frauen?“ Ups. Tatsächlich waren im ersten Band ausschließlich Männer vertreten.

„Die Frage hat mir imponiert“, erzählt die Professorin und Leiterin des Frankfurter Literatursalons Euterpe, die sich sofort ans Werk machte und nun die in Buchform erschienene Wiedergutmachung liefert.

„In den letzten Jahren beherrscht die gesellschaftliche Rolle der Frauen zwar vermehrt die Debatte, und Georgien hat Fortschritte in Richtung Demokratie gemacht“, so Tandaschwili, doch trotzdem sei die Gesellschaft noch sehr patriarchalisch geordnet. „Frauen, die sich als Schriftstellerin auf der nationalen Bühne behaupten, waren lange eine Seltenheit.“

Und selbst wenn fast alle der in „Techno der Jaguare“ vertretenen Autorinnen bereits mit einem Saba, dem prestigeträchtigsten Literaturpreis Georgiens, bedacht wurden, werden sie jenseits der Fachjury oft nicht wahrgenommen, geschweige denn gutgeheißen. Erst recht nicht, wenn sie Tabus brechen und Rollenbilder hinterfragen.

Die plumpe Frau aus Anna Kordzaia-Samadashwilis „Das historische Gedächtnis“ etwa häuft bergeweise offene Beziehungen an, während sie einen Whiskey nach dem anderen kippt. Für ihre Erzählung erntete die Autorin und Journalistin 2003 den Saba-Preis für das beste Debüt – aber auch wüste Beschimpfungen.

Jenes Paradoxon der gleichzeitigen Anerkennung und Ablehnung beschäftigt Tino, die Protagonistin aus Maka Mikeladzes „Eine mit Buch und ihre erlesene Leserschaft“. Als diese sich eines Morgens im Spiegel betrachtet, muss sie feststellen, „dass ihr über Nacht ein Buch aus dem Kopf gewachsen ist“ – die wuchernde literarische Berufung, die sich nicht verbergen lässt, beunruhigt sie: „Wer weiß, wie die Leute darauf reagieren … Was sie wohl sagen würden?“

Die Autorin setzt Optimismus und Lebensfreude gegen düstere Bilder, und so entscheidet sich Tino schließlich, „kein graues Dasein“ zu führen. Sie trägt ihre Bücher fortan als stolze Frisur.

Starken Frauen begegnet man in „Techno der Jaguare“ so einigen: Eine hartnäckige Journalistin, eine kontaktfreudige Weltenbummlerin oder eine kühle Profikillerin. Sie alle sind allein unterwegs, statt sich an einen Mann zu binden, ziehen sie die Freuden wechselnder Liebhaber vor. Mit Witz, Ironie und Scharfsinn durchschauen sie die Herren, wie sie sich verzweifelt an das traditionelle Rollenbild der Frau (gepflegtes Aussehen, sanftes Benehmen) klammern.

Dass die Heldinnen imstande sind, ihr Leben eigenständig zu meistern und sexistische Demütigungen zu entlarven, wird in den Texten von der Männerwelt allerdings stets hartnäckig ignoriert. Diese hapernde Kommunikation zwischen den Geschlechtern wird deutschen LeserInnen nicht nur im Zuge der Brüderle-Debatte vertraut vorkommen. Auch die urbane Umgebung, in der die Figuren agieren, wirkt wenig fremd, sondern global konform: Essen bei McDonald’s, Einkauf bei Marks & Spencers und eine seelenlose Halloween-Party obendrauf.

Von der sozialwirtschaftlichen Realität des postsowjetischen Georgiens, von einem durch Krieg mit dem russischen Nachbarn gezeichneten Land, oder gar wie sich dies auf den Alltag der Georgierinnen auswirkt – von all dem bekommt man nichts mit. Das ist schade. Doch umso deutlicher tritt dadurch die Ähnlichkeit der Erfahrungen zutage, die Frauen im Osten wie im Westen in ihrem Kampf um Anerkennung und Gleichberechtigung machen.

Manana Tandaschwili/Jost Gippert (Hg.): „Techno der Jaguare – Neue Erzählerinnen aus Georgien“. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2013, 246 Seiten, 19,90 Euro