Werkschau der Psychrocker Hawkwind: Bis die Wirkung nachlässt

Das Boxset „This Is Your Captain Speaking“ widmet sich dem stoischen und ausufernd psychedelischen Schaffen der britischen Space-Rock-Pioniere Hawkwind.

Lemmy (3. von links mit Fuckfinger) und die Hawkwind-Schmöker Bild: Promo

Hawkwind waren vor allem live ein Ereignis. In der Tradition von Velvet Underground und den frühen Pink Floyd brachten sie eine psychedelische Mixed-Media-Show von kuriosem Schauwert auf die Bühne. Mit opulenter Lightshow, Installationen ihres Cover-Künstlers Barney Bubbles, Revueeinlagen etwa von der körperbemalten Ausdruckstänzerin Stacia und mit einem richtigen Dichter.

Meistens war das Robert Calvert; war dieser „unwell“, sprang auch der Scifi-Autor Michael Moorcock ein –, dessen pathetische Psychopredigten Konzerte von Hawkwind zum „Space Ritual“ machen sollten, einer Art Science-Fiction-Messe.

Hawkwind waren Kunstkacke im Quadrat und einer der Gründe, warum es später Punk geben musste. Einerseits. Andererseits bestanden sie aber genau nicht aus Konservatoriumsstrebern, die den Graben zwischen E und U überbrücken wollten und sich in drögen Klassikexegesen ergingen, sondern aus Dilettanten, die gern Trips einwarfen und dann zusammen improvisierten, bis die Wirkung nachließ.

Von wirklichen Art-Rockern wurden Hawkwind als „Zwei-Akkorde-Band“ geschmäht. Dave Brock, ihr Gitarrist, der auch am Moog-Synthesizer herumschraubte, behielt noch den klarsten Kopf. Von ihm stammen viele Kompositionen der Anfangstage, die jetzt in dem Boxset „This Is Your Captain Speaking … Your Captain Is Dead“ dokumentiert sind.

Hawkwind: „This Is Your Captain Speaking … Your Captain Is Dead. The Albums And Singles 1970 bis 1979“ (Parlophone/Warner)

Geräusche erzeugen

Der Saxofonist Nik Turner bekannte, dass sie damals wenig von Musik verstanden. „Ich konnte nicht Saxofon spielen und kann es heute noch nicht. Aber ich konnte damit eine Menge Geräusche erzeugen, und das reichte.“ Das Fundament ihrer Songs bestand aus schlichtem, oft beeindruckend stoischem, ja stumpfem Boogie. Nicht von ungefähr konnte ihr seit 1972 mitpolternder Bassist Ian „Lemmy“ Kilmister seinen letzten Hawkwind-Song „Motörhead“, als man ihn 1975 ausgerechnet wegen Drogenbesitzes aus der Band warf, ohne Weiteres zum Erkennungsstück seines neu gegründeten Drei-Mann-Abbruchunternehmens ummodeln.

In gewisser Weise leuchtete diese strukturelle Simplizität auch den Punks ein. Mit der Zunge in der Backe haben die Sex Pistols später „Silver Machine“ gecovert, den immer wieder neu aufgelegten Überhit der Band. Hawkwind waren Spät-Hippies durch und durch. Sie lebten zusammen in einem besetzten Haus. Ähnlich wie die Kommune von Grateful Dead praktizierten sie ein offenes Gruppenkonzept mit ständigen Besetzungswechseln und versuchten noch einmal den Acid Rock zu beerben, als er eigentlich längst obsolet war.

LSD im Regen

Aber die notorische Westküsten-Groovyness ging den Londonern ab, nicht zuletzt der naive Optimismus, mit ein bisschen LSD-Bewusstseinserweiterung die Welt retten zu können. Sie kamen aus dem regnerischen England, und entsprechend düster und dystopisch klang ihr durch Echo, Hall und diverse Phasenmodulationseffekte und massiven Synthesizereinsatz zum Blubbern, Flirren und Jaulen gebrachter Space Rock, den sie dann auch gleich zum eigenen Genre erklärten.

Das erinnerte eher an Soundtracks zu Horror-B-Movies von Roger Corman. Und spätestens als sich der schwer depressive Calvert um die Ausgestaltung des lyrischen Kosmos kümmerte, herrschte auch textlich ein anderer Ton. In seinem „Hawkwind Log“, aus dem er zwischen den Stücken deklamierte, ist die Erde bereits 1987 ausgebrannt. Mit der Single „Urban Guerilla“ probte man schließlich sogar den Aufstand. „You took my dream and canned it / It is not the way I planned it / I’m society’s destructor / I’m a petrol bomb constructor / I’m a cosmic light conductor / I’m the people‘s debt collector / So watch out Mr. Business Man / Your ’s about to blow.“

Als die IRA wie auf Befehl in London Bomben hochgehen ließ, boykottierte die BBC den Song, und Hawkwinds Plattenfirma United Artists zog die Single mit windelweichen Entschuldigungen aus dem Verkehr, obwohl sie sich auch ohne Airplay ziemlich hoch in den Charts platziert hatte. Von „Satire“ war die Rede, die mit dem echten Straßenkampf in keinem Zusammenhang stehe.

Die übernächste Renegatengeneration

Lemmy bezweifelte das. Genau das sei Bob Calverts Ding gewesen. Und Lemmy verteidigte auch den Song als einen der besten, den Hawkwind je aufgenommen hätten. Ohne Dave Brocks Verspultheiten an der Leadgitarre und die psychedelischen Metaphernrudimente hätte ein vollwertiger Proto-Punksong draus werden können. Die übernächste Renegatengeneration in Gestalt von Mudhoney und Primal Scream hat das erkannt und sich dann seiner angenommen.

Aber die Acid Heads sollten sich weiterhin angesprochen fühlen. Trippy war diese Musik noch stets. „Ihre Musik kann dich – auch ohne Drogen – auf eine Reise schicken“, schrieb das westdeutsche Musikmagazin Sounds begeistert über das Debütalbum.

Zum einen durch die repetitiven Strukturen, nicht zuletzt das mantraartige Riffing, das die Songs ins Meditative hinüberprügeln sollte, zum anderen durch die sphärische, schwebende, eher flüchtige und flüssige Aggregatzustände betonende Klangästhetik. Das machte Hawkwind später wieder anschlussfähig an diverse retrograde Spielarten von Madchester, über Neo-Psychedelia bis zu Stoner Rock, in dessen Reihen sie als Stammväter hofiert werden, was ihren Alben und Touren bis heute Aufmerksamkeit beschert.

Unnachahmliche Art

Die Probleme, die solche auf Entgrenzung zielende Musik zumindest nüchternen Hörern mitunter bereitet, hat Lemmy in seiner unnachahmlichen Art beschrieben. „Sie schrubbten ihr Programm runter, und das Publikum stand die ganze Zeit bewegungslos rum. Ich dachte: Scheiße, ich muss unbedingt in dieser Band spielen. Ich kann mir die Typen nämlich nicht angucken.“

Improvisatorische Musik macht am meisten Spaß, wenn man sie selbst macht. Am besten sind Brock und seine wechselnden Mitstreiter, wenn der Rock den Space halbwegs kontrolliert und die futuristische Geräuschkulisse nicht zum Selbstzweck wird. Kanonische Songs wie „Master Of The Universe“ oder „Psychedelic Warlords (Disappear In Smoke)“ bewahren so Suggestionskraft über die Zeiten hinweg.

Die immerhin zehn CDs umfassende Hawkwind-Dokumentation enthält viel Musik, ist aber lieblos zusammengestellt. Nicht mal ein Booklet spendiert man den Novizen, und die Liner notes sind völlig unlesbar bei den auf CD-Größe geschrumpften Covers. Zudem enthält die Box, obschon man mit dem Untertitel „The Albums And Singles 1970 bis 1979“ wirbt, nur Songs der frühen Werkphase bis 1974. Die beiden essenziellen Livealben „Greasy Truckers Party“ und „Space Ritual“ gehören zwingend dazu. Einerseits ist „This Is Your Captain Speaking … Your Captain Is Dead“ also eine Mogelpackung.

Andererseits war das Hawkwind-Konzept Mitte der Siebziger weitgehend ausgereizt. In späteren Jahrzehnten hat man sich ohnehin nur noch produktionstechnisch den Zeitläuften angepasst, in den Metal-Achtzigern etwa den Gitarren-Amp aufgedreht. Die Sounds, die das Debüt noch als gelungene Weiterentwicklung von Acid Rock gefeiert hatten, winkte bereits „Doremi Fasol Latido“ (1973) und „Hall Of The Mountain Grill“ (1974) gelangweilt durch. „Während die letzten Relikte der Hippie-Psychedelic-Welle mit Space-Orgien und Pseudo-Science-Fiction durchs All zischen, wartet die irdische Rockgemeinde gähnend auf die Bruchlandung.“ Da konnte sie lange warten.

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