Debatte um Social Freezing: Die Moderne schlägt zu

Immer mehr Firmen bieten Mitarbeiterinnen an, ihre Eizellen für später einzufrieren. So vermischen sie Privates mit Beruflichem.

Soziale Kontrolle aus dem Nebel: Aufbewahrung unbefruchteter Eizellen. Bild: imago/science photo library

Mit dem Angebot, ihren Mitarbeiterinnen das frühzeitige Einfrieren von Eizellen zu bezahlen, damit sie in späterem Alter schwanger werden können, sind Apple und Facebook in Deutschland überwiegend auf Ablehnung gestoßen. Getreu dem Motto „Bad news are good news“ ist ihnen damit ein geschickter Werbecoup gelungen. Sie präsentieren sich als einfallsreiche Unternehmen, die weder Kosten noch Mühe scheuen, um ihre Mitarbeiterinnen zu fördern. Sie geben sich einmal mehr unkonventionell, technikaffin und innovationsfreudig.

Und wer will es einer Frau verwehren, den Zeitraum, in dem sie Kinder bekommen kann, zu verlängern? Die neue Technologie kann Freiheitsspielräume eröffnen und die Abhängigkeit von der biologischen Uhr mindern. Ein wünschenswerter Schritt zu mehr Chancengleichheit der Geschlechter?

Frauen planen ihre Schwangerschaften ohnehin bereits unter beruflichen Aspekten. Die Verhütungsmittel, von Konservativen zunächst genauso empört abgelehnt wie jetzt das Social Freezing, werden heute selbstverständlich angewandt, um den Zeitpunkt der Mutterschaft zu wählen. So gesehen liegt Social Freezing auf einer längst bekannten Linie. Und warum sollte man es einer Frau verbieten, eine weitere technische Option zu nutzen? Zumal in einem liberalen Staat, der den Lebensstil von Frauen nicht zu bewerten hat, auch nicht in Bezug auf ihre Fortpflanzung.

Dass sich die beiden christlichen Kirchen flugs gegen das Social Freezing ausgesprochen haben, scheint säkulare Befürworter einer technisch unterstützten Selbstgestaltung zu bestätigen: Hier dürfte es um Fortschritt gehen, um Freiheit! – So weit, so gut.

Urban Wiesing, 56, ist Arzt, Philosoph und Professor am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Tübingen.

Geringe Erfolgsquoten

Doch die Sache ist komplizierter. Da wären zunächst einmal die Erfolgsquoten. Die Technologie ist nicht nur teuer, sie ist auch weitgehend erfolglos, insbesondere im fortgeschrittenen Alter, und dafür ist das Social Freezing ja vorgesehen. Die Erfolgsquoten der In-vitro-Fertilisation sind ernüchternd: Nur 15 Prozent der Frauen bekommen ein Kind pro Behandlungszyklus. Dieser Anteil gilt für jüngere Frauen, ab 30 Jahren verschlechtert sich die Erfolgsquote, ab 40 sinkt sie auf kaum mehr als 5 Prozent. Viel höher wird die Quote auch nicht durch mehrere Therapiezyklen. Also lassen sich die Frauen auf eine Technologie ein, bei der ab 40 etwa 90 Prozent nicht mit dem gewünschten Kind rechnen dürfen.

Gleichwohl, wenn eine Frau um diese Erfolgs- oder besser Misserfolgsquote weiß und trotzdem bereit ist, viel Geld auszugeben, und wenn für das Kindeswohl gesorgt ist – wo sind die tragfähigen Argumente, es ihr zu verbieten, solange sie vorher korrekt aufgeklärt wurde? Doch an Aufklärung mangelt es gegenwärtig in den reproduktionsmedizinischen Zentren, die ihre Erfolge geschickt schönen.

Social Freezing wird getragen von den Motiven der Moderne. Die Natur beherrschen, ja überwinden, den Zufall eliminieren, Freiheitsspielräume erweitern, Lebensstile individualisieren, sich selbst verwirklichen – all das sind höchst bekannte Motive der säkularen Moderne, die paradoxerweise quasireligiösen Charakter angenommen haben. Auch die Unterscheidung zwischen natürlich und künstlich verliert ihre Relevanz. Es spielt keine Rolle, auf welche Weise das Kind gezeugt wurde. Das letzte Credo lautet: Jede Frau entscheide nach eigenen Vorstellungen für sich selbst, solange das Kindeswohl gewahrt bleibt.

Typische Ambivalenz des Wandels

Doch all dies ist nicht ohne einen Preis zu haben. Und nicht alles, was sich nicht verbieten lässt, muss deshalb auch zu einem guten Leben beitragen. Die Moderne kommt bekanntermaßen mit einem dauerhaften Wandel der Lebenswelt und mit zahlreichen ungefragten Herausforderungen daher. Sie zeigt im Social Freezing einmal mehr ihre typische Ambivalenz. Denn das Verfügen über Lebensbereiche durch Technologie geht mit einem Über-sich-verfügen-Lassen einher. Aus der Option für Frauen, die Phase ihrer Reproduktionsfähigkeit zu verlängern, ergibt sich der zumindest subtile Druck, genau dies auch zu tun. Es ist doch illusorisch zu glauben, von dieser Möglichkeit ginge keine Normativität des Faktischen aus. Erleiden Frauen, die auf die neue Technologie verzichten, nicht automatisch Nachteile gegenüber ihren Konkurrentinnen? Die Technologie ist verfügbar, und von nun an stellt sich die Frage, ob Frau sie nutzen will.

Die Gleichzeitigkeit von Verfügen und Über-sich-verfügen-Lassen ist nicht neu. Viele Technologien eröffnen Möglichkeiten, aber zugleich führen sie uns in Abhängigkeiten. Auch wenn der Nutzen im Ganzen gesehen größer ist als die Nachteile (warum sonst hätten sich die Technologien so schnell verbreitet?), so kann das Verhältnis von Verfügen und Über-sich-verfügen-Lassen in bestimmten Situationen durchaus ein schlechtes sein. Diese Frage stellt sich bei jeder Technologie aufs Neue – erst recht beim Social Freezing angesichts dürftiger Erfolgsquoten und der weiteren Folgen.

Petra Reski hat am eigenen Leib erfahren, wie schwer es ist, das Treiben der Mafia in Deutschland publik zu machen. Das liegt nicht nur am Presserecht, sondern auch an der Weigerung, das Problem sehen zu wollen. Mehr in der taz.am wochenende vom 11./12. April 2015. Außerdem: Auf dem Amerikagipfel treffen sich Obama und Raúl Castro. Was bedeutet die angekündigte Öffnung für das Land, das seit fast sechs Jahrzehnten seinen eigenen sozialistischen Weg geht?. Und: Die Codes der Kunstszene und die Gerüche der Rebellion: eine Begegnung mit der Autorin Rachel Kushner. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Denn das Angebot eines Arbeitgebers, den Mitarbeiterinnen Social Freezing zu finanzieren, überschreitet eine Grenze; es ist übergriffig. Es vermischt auf tückisch normative Weise zwei Bereiche, die gegenwärtig eigentlich getrennt werden: Familien- und Berufsleben. Unter modernen Bedingungen ist die Familie ein abgeschotteter Bereich des Privaten, der für die Fortpflanzung, die Weitergabe von angemessenem Verhalten – sprich: Erziehung – und gegenseitige Stützung zuständig ist. Entscheidungen in diesem Bereich unterliegen, solange sie moralisch akzeptabel sind, letztlich der Frage, inwiefern sie authentisch sind. Das Erwerbsleben findet hingegen zumeist außerhalb der Familie und unter anderen Vorgaben statt.

Das Angebot von Facebook und Apple verknüpft nun beide Bereiche auf subtile Weise. Deswegen ist es perfide. Es appelliert an zwei unterschiedliche Sphären und verbindet sie mit einer versteckten Vorgabe. Es betrifft das Private und das Erwerbsleben gleichermaßen mit ihren unterschiedlichen Entscheidungskriterien. Einerseits gilt im Privaten die individuelle biografische Selbstgestaltung der Frau oder des Paares. Andererseits berührt das Angebot die Rationalität des Berufslebens. Und dort sind private Beliebigkeiten nicht gerade karrierefördernd. Hier führt eine Durchrationalisierung der Erwerbsbiografien eher zum Erfolg. Erst recht, wenn die Anforderungen im Berufsleben steigen.

Latenter Zwang

Gleichzeitig bleibt offen, ob die Offerte der Unternehmen primär auf Chancengleichheit und erweiterte, individuellere Gestaltungsmöglichkeiten der Familienbiografie oder auf die Rationalisierung der Erwerbsbiografie abzielt. Beides ist möglich, beides ist angesprochen, und beides lässt sich in der Praxis ohnehin nicht trennen. Die Offerte lässt ihr primäres Ziel offen, und das ist das Perfide. Selbstverständlich ist es nur ein Angebot, keine Frau muss, aber jede kann ihre eigene, individuelle Fortpflanzungsentscheidung treffen. Erwartet das Unternehmen, dass das Angebot genutzt wird? Dazu muss es sich noch nicht einmal äußern. Denn die Erwartung, es zu nutzen, kommt von selbst, allein durch die Anforderungen des Erwerbslebens.

Am Ende stehen der latente Zwang und die ihm folgende schleichende Selbstverständlichkeit, ganz frei und authentisch die Erwerbsbiografie nun auch noch mittels Social Freezing zu optimieren. Die private, persönliche Fortpflanzungsstrategie gelingt am besten, wenn sie zufälligerweise auch mit den beruflichen Anforderungen übereinstimmt.

Insofern stehen beim Social Freezing ganz unterschiedliche Interpretationen nebeneinander: Ermöglicht es erweiterte, authentische Entscheidungen einer Frau, den Zeitpunkt ihrer Mutterschaft selbst zu bestimmen? Oder nötigt es zur weiteren Unterwerfung der Lebensplanung unter das Diktat des Erwerbslebens? Auf beide Fragen kann man mit Ja antworten, und vor allem: Die Antworten schließen sich nicht einmal gegenseitig aus. Die perfekte Ambivalenz.

Eines ist jedoch klar: Die Entwicklung lässt sich nicht rückgängig machen. Social Freezing ist da, und ab jetzt sind Frauen mehr oder weniger explizit mit der Option konfrontiert. Es ist nicht das erste Angebot zur authentischen Selbstgestaltung der eigenen Biografie unter harten ökonomischen Vorgaben – und sicher nicht das letzte. Und ausweichen geht nicht: Wer nicht wählt, hat auch gewählt. Angesichts der ständigen Herausforderungen der Moderne verbleibt einmal mehr nur die mühsam zu erlernende Tugend der Gelassenheit. Denn es ist trotz allem und tröstlicherweise nicht auszuschließen, dass eine Frau auch ohne Social Freezing ein gelingendes Leben führen kann.

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